07. September 2017 · Kommentare deaktiviert für „Flüchtlinge in Ungarn: Ungeliebt und ausgegrenzt“ · Kategorien: Europa, Ungarn, Video · Tags: ,

ARD Tagesschau | 06.09.2017

Vor zwei Jahren zog Ungarn einen Zaun nach Serbien, um Flüchtlinge zu stoppen. Diejenigen, die bis dahin in das Land kamen und seither um Asyl baten, wurden unwürdig behandelt. Die tagesthemen zeigen, wie es den Flüchtlingen geht, die heute noch in Ungarn sind.

Von Michael Mandlik, ARD-Studio Wien

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NZZ | 06.09.2017

Nach dem Quotenentscheid des EuGH: Ungarn zieht in die Schlacht

Die Regierung Orban reagiert angriffig auf das Quotenurteil des Europäischen Gerichtshofs und betrachtet dieses als nicht verpflichtend. Die Slowakei dagegen akzeptiert den Entscheid. Das ist Zeichen eines Risses in der Visegrad-Gruppe.

von Meret Baumann, Wien

«Die wahre Schlacht beginnt erst.» Mit diesen martialischen Worten hat Ungarns Aussenminister Peter Szijjarto den Entscheid des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) kommentiert, der die Umverteilung von Asylsuchenden innerhalb der EU für rechtmässig erklärt. Budapest werde alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um sicherzustellen, dass niemand gegen den Willen der ungarischen Bevölkerung im Land angesiedelt werden könne. Szijjarto sprach von einem empörenden, inakzeptablen Urteil und fügte gewohnt undiplomatisch an, die Politik habe das europäische Recht «vergewaltigt». Er erachte den Quotenbeschluss des Innenministerrats vom September 2015 nach wie vor als nicht verbindlich.

Keine Rechtsmittel

Es ist allerdings offen, welche rechtlichen Schritte die Regierung unternehmen will. Der an der Pressekonferenz in Budapest ebenfalls anwesende Justizminister Laszlo Trocsanyi räumte ein, dass der EuGH abschliessend urteile und keine Rechtsmittel bestünden. Er betonte zudem die Gefahr, dass nun ein permanenter Umverteilungsmechanismus etabliert werde, dabei müsse Europa einen anderen Weg einschlagen.

Die ungarische Regierung argumentiert seit Monaten, ein Verteilschlüssel sei das falsche Signal und er könne auch nicht funktionieren, da die Asylsuchenden gar nicht in die ostmitteleuropäischen EU-Länder wollten. Es sei zudem ein Widerspruch, dass Ungarn die Kosten für die unternommene Grenzsicherung allein tragen müsse, erklärte Szijjarto. Laut einem Bericht der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» lehnte Brüssel den ungarischen Antrag auf Beteiligung an den Aufwendungen für den Bau des Grenzzauns in einem Schreiben von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ab.

Ungarn und die Slowakei hatten die Klage gegen den Quotenbeschluss gemeinsam angestrengt, und nach dem Machtwechsel in Warschau Ende 2015 schloss sich Polen dieser an. Ungarn und Polen haben als einzige Länder auch noch keinen einzigen Asylsuchenden im Rahmen des Programms aufgenommen. Die Slowakei übernahm immerhin 16 Personen, mehr als Tschechien oder Österreich. Ministerpräsident Robert Fico erklärte in Bratislava, die Regierung werde das Urteil respektieren. An der grundsätzlichen Ablehnung des Quotensystems ändere dies allerdings nichts. Auch die polnische Regierungschefin Beata Szydlo bekräftigte die Haltung Warschaus in der Migrationspolitik, wonach das Land aus Sicherheitsgründen keine Asylbewerber aufnimmt.

Was der Entscheid des Gerichtshofs für die ostmitteleuropäischen Länder konkret bedeutet, ist offen. Die Pflicht, die Quoten zu erfüllen, steht zwar nun fest. Allerdings hinkt die Umsetzung des Programms gewaltig hinter dem angestrebten Ziel her, und es läuft am 26. September aus. Am wahrscheinlichsten ist deshalb, dass die bereits im Juni eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren gegen jene Länder, die keinerlei Kooperationswillen zeigen, vorangetrieben werden. Es geht dabei neben Ungarn und Polen auch um Tschechien, das zwar 12 Flüchtlinge aus Griechenland aufgenommen hat, seit einem Jahr aber niemanden mehr einreisen lässt.

In der Ablehnung der europäischen Flüchtlingspolitik bildet die aus Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei bestehende Visegrad-Gruppe eine Einheit. Szijjarto betonte am Mittwoch in seinen Ausführungen denn auch, Budapest zähle auf diese Verbündeten. Die slowakische Reaktion, das Urteil respektieren zu wollen, unterstreicht aber die in den letzten Monaten manifest gewordene Spaltung der Gruppe, wenn es um die Beziehung zu Brüssel geht. Während Ungarn und Polen auf rabiate Konfrontation setzen und die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban jüngst bekräftigte, man werde Warschau im laufenden Rechtsstaatsverfahren vor allfälligen Sanktionen bewahren, suchten Tschechien und die Slowakei zuletzt auffallend die Nähe zu Frankreich und Deutschland.

Nicht mit den «Schmuddelkindern»

Fico sagte vor drei Wochen, die Basis seiner Politik sei, Kerneuropa nahe zu sein. Er sei an der regionalen Zusammenarbeit in der Visegrad-Gruppe zwar interessiert, lebenswichtig für die Slowakei sei aber die EU. Tschechiens Regierungschef Bohuslav Sobotka regte kürzlich einen Beobachterstatus für sein Land bei Sitzungen der Euro-Zone an, obwohl es die Gemeinschaftswährung vorläufig nicht einführen will. Prag begegnet damit der Furcht, im Integrationsprozess abgehängt zu werden. Ende August trafen Fico und Sobotka ferner mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem österreichischen Kanzler Christian Kern in Salzburg zusammen. Macron und Kern streben eine Anpassung der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern in ein anderes EU-Land an. Während vor allem Polen dies kategorisch ablehnt, zeigten sich Fico und Sobotka erstaunlich kompromissbereit.

All dies zeigt, dass die Slowakei und Tschechien nicht bereit sind, durch die Allianz mit den europäischen «Schmuddelkindern» Polen und Ungarn ihr Verhältnis zur EU zu beschädigen. Die «wahre Schlacht» werden Budapest und Warschau voraussichtlich alleine austragen müssen.

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