28. August 2017 · Kommentare deaktiviert für Rom: Räumungen und offene Kämpfe von Flüchtlingen · Kategorien: Italien, Social Mix

NZZ | 28.08.2017

Eine Zwangsräumung legt die Überforderung Roms mit seinen Flüchtlingen offen

Romina Spina, Lecce

In Italien hat die Frage der Unterbringung von anerkannten Flüchtlingen eine heftige Debatte ausgelöst. Grund ist ein Vorgang in Rom, der tief blicken lässt: Die Behörden können derzeit nicht sagen, wo mehrere hundert Migranten unterkommen sollen, nachdem diese vor einer Woche gewaltsam aus einem besetzten Bürogebäude im Herzen der Hauptstadt vertrieben worden waren. Am Donnerstag waren Polizeikräfte erneut gegen rund hundert Personen vorgegangen, die nach der Zwangsräumung unter freiem Himmel auf einer nahe gelegenen Piazza übernachtet hatten.

Kritik an der Stadtverwaltung

Es war zu dramatischen Szenen gekommen, als Polizisten frühmorgens Wasserwerfer und Schlagstöcke selbst gegen Frauen, ältere und behinderte Personen eingesetzt hatten, um den Platz endgültig zu räumen. Bei weiteren Zwischenfällen hatten einige Flüchtlinge Steine und Gasflaschen gegen die Sicherheitskräfte geworfen.

Seit Oktober 2013 hatten gegen 800 Flüchtlinge und Migranten in dem zentral gelegenen Gebäude in der Nähe des Hauptbahnhofs Termini Zuflucht gefunden. Eine Mehrzahl kommt aus Eritrea und Äthiopien. Bei den meisten handelt es sich nicht um Wirtschaftsmigranten oder Asylbewerber, sondern um Personen, die seit Jahren in Italien leben und die der Staat als Flüchtlinge anerkannt hat. Dieser Status ist für viele Migranten eine wichtige Etappe. In Italien können sie danach sechs Monate lang Unterkunft und Verpflegung in einem Flüchtlingsheim beanspruchen – danach werden sie ohne Aussicht auf Staatshilfe vor die Tür gesetzt. Bei der Suche nach einer Wohnung oder Arbeitsstelle stehen sie oft alleine da. Hinzu kommt, dass der Mangel an bezahlbarem Wohnraum in den Städten ohnehin akut ist, selbst für Einheimische.

Die Vorfälle der vergangenen Tage veranschaulichen die Grenzen der Flüchtlingspolitik sowie die fehlende Koordination zwischen den beteiligten Akteuren. Nach den Räumungen wurde von mehreren Seiten Kritik sowohl gegen den Polizeieinsatz als auch gegen die offensichtlich überforderte Stadtverwaltung laut. Das Innenministerium, die Region Latium, der Vatikan, Hilfsorganisationen und der Polizeichef, der Präfekt und die Flüchtlinge selbst bemängelten die Arbeit von Bürgermeisterin Virginia Raggi – ihr Büro hatte für die zwangsevakuierten Migranten keine alternativen Lösungen parat. Raggi versuchte die Schuld für das Fiasko auf andere politische Institutionen zu schieben. Von der Region Latium hiess es, die dafür bestimmten Ressourcen stünden seit Ende Mai bereit.

Angesichts der anhaltenden Polemik kündigte die Stadtverwaltung an, eine Alternative für etwa hundert Flüchtlinge gefunden zu haben. Knapp die Hälfte von ihnen könne vorübergehend in einer nahe gelegenen Provinz unterkommen. Viele indes schlugen das Angebot aus, da sie sich nach den ersten schwierigen Jahren in Rom halbwegs integrieren konnten und deshalb die Stadt nicht verlassen wollten. Am Sonntag meldete sich zudem der Bürgermeister der kleinen Gemeinde zu Wort, die die Flüchtlinge hätte aufnehmen sollen. Er bestätigte, dass keinerlei Abkommen mit der Römer Stadtverwaltung bestehe und dass die Einwohner sowieso gegen einen solchen Transfer seien.

100 weitere Gebäude im Fokus

Nach der Zwangsräumung war zunächst auch die harte Linie des Innenministeriums in die Kritik geraten. Bald zirkulierte eine neue Anordnung, die festlegte, dass Räumungen erst dann durchgeführt werden könnten, wenn für die Bewohner alternative Lösungen bestünden. Roms Präfektin Paola Basilone hatte angekündigt, dass in der Stadt knapp hundert weitere besetzte Gebäude geräumt werden müssten, wo insgesamt zwischen drei- und viertausend Menschen lebten. Am Montag wollte Innenminister Minniti unter anderem die Möglichkeit prüfen, Flüchtlingen jene Bauten bereitzustellen, die der Staat vom organisierten Verbrechen beschlagnahmt hat. Was in der Zwischenzeit mit den obdachlosen Flüchtlingen passieren soll, ist unklar.

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