27. Februar 2017 · Kommentare deaktiviert für „Die türkische Mauer“ · Kategorien: Syrien, Türkei · Tags: ,

Telepolis | 27.02.2017

An der türkisch-syrischen Grenze entsteht eine 900 km lange Mauer. Eine breit vernetzte Miliz für Erdogan wird aufgebaut

Über Trumps Mauer zu Mexico wird hierzulande viel geschrieben, die Empörung ist groß. Selbst der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim kritisierte die geplante Mauer zwischen Mexiko und den USA:

Ihr baut Mauern, aber Mauern sind nie eine Lösung. Sie werden eingerissen, so wie die Berliner Mauer

Binali Yildirim

Nun ist jedoch die Türkei seit 2014 selbst dabei, eine 500 km lange Mauer entlang der türkisch-syrischen Grenze zu bauen.

Die Mauer der Schande

Der Bau soll im ersten Halbjahr 2017 fertig sein, so die Prognose des türkischen Verteidigungsministers Fikri Isik. 367 km sind davon schon fertiggestellt. Das Ziel der türkischen Regierung ist es, die kurdische Bevölkerung auf beiden Seiten endgültig voneinander zu trennen. Sie will verhindern, dass sich die durch die Grenze geteilten Familien weiterhin treffen, dass das Embargo gegen Nordsyrien ohne Schlupflöcher vollkommen verwirklicht wird.

Denn es gab einen regen Warenhandel im Grenzgebiet, der für viele Familien die einzige Einkommensquelle darstellt. Betroffen sind auch die syrischen Flüchtlinge, die versuchen, in die Türkei zu gelangen. Sie werden von den türkischen Grenzbeamten mit Gewalt zurückgehalten, es kam schon zu mehreren Todesfällen.

Gebaut wird die Mauer von der staatlichen Baugesellschaft TOKI, die auch damit beauftragt ist, die zerstörten Städte mit billigen Wohnblocks wiederaufzubauen. Dagegen gibt es Proteste aus der kurdischen Bevölkerung, die hinter den Wohnungsbaumaßnahmen eine Verdrängungspolitik der Regierung vermutet. Denn es ist geplant, in den Wohnsilos hauptsächlich arabische Syrer, Turkmenen und Gagausen anzusiedeln.

Dass es sich um einen Eingriff in die demographische Zusammensetzung der Bevölkerung im Südosten der Türkei handelt, wird auch daran deutlich, dass Erdogan es Syrern ermöglichen will, bei dem Referendum im April mit abzustimmen. Die syrische Regierung verurteilte den Mauerbau, unter anderem auch weil sie teilweise auf syrischem Territorium gebaut wird – so geschehen in der „Nordsyrischen demokratischen Föderation“ (auch Rojava genannt).

Das syrische Außen- und Auswärtige Ministerium hat den UNO-Generalsekretär und den Präsidenten des UN-Sicherheitsrates dazu aufgerufen, auf die Türkei einzuwirken, den Mauerbau zu beenden. Die Mauer sei eine „Verletzung des Grundsatzes gutnachbarlicher Beziehungen“. Die Mauer verläuft nämlich südlich der Gleise der Bagdad-Bahn, also auf syrischem Territorium.

Dabei kommt es ständig zu Grenzverletzungen, da die Bagger unter dem Schutz des türkischen Militärs auf syrischen Boden vordringen, um die Mauer zu errichten. Die autonome Verwaltung der Nordsyrischen Föderation postulierte, die Mauer stelle eine Verletzung der Souveränität des Volkes dar. Kritiker nennen die Mauer „Die Mauer der Schande“.

Erdogans Milizen

Die Vorbereitung auf einen möglichen Bürgerkrieg scheinen voll im Gange. Der Schwiegervater von Präsident Erdogans Sohn Bilal, Orhan Uzuner, baut für Erdogan eine bewaffnete Miliz auf. Dies berichtete die Zeitung cumhuriyet am Montag vergangener Woche.

Die Miliz soll sich Kardeş Kal Türkiye (brüderliche Türkei) nennen. Uzuner möchte ein großes Netzwerk aufbauen, um in kürzester Zeit bei einem erneuten Putschversuch viele Menschen auf die Straßen mobilisieren zu können. Über Whats-App-Gruppen soll eine schnelle Kommunikation laufen, eine zentrale Whats-App-Gruppe für alle Beteiligten soll dies gewährleisten.

Jeder Einzelne soll aber auch eigene Whats- App-Gruppen gründen, womit er selbst schnell mobilisieren kann. Funkanlagen sollen in allen Regionen bereitgestellt werden, damit eine nahtlose Funkkommunikation möglich ist. Eine Gruppe mit dem Namen „Zello“ soll sich darum kümmern. Sie soll auch die Verbindung zu einem Radiosender herstellen, der eigens für die Miliz aufgebaut werden soll. Zweck des Radios ist es in erster Linie, die Aktivitäten der Miliz bekannt zu geben.

Aber auch Propaganda für den Präsidenten und sein Referendum soll über den Sender laufen. Es werden auch verschiedene Schulungen für die Mitglieder von Kardeş Kal Türkiye angeboten, wie zum Beispiel „Erste-Hilfe“. Das Ministerium für Gesundheit zertifiziert die „Erste-Hilfe-Ausbildung“. Schulungen soll es auch zu Kommunikation- und Informationssicherheit gegeben, auch Funklizenzen sollen erworben werden können.

Die Generaldirektion für zivile Luftfahrt bildet sie an unbemannten Drohnen aus. Angeführt wird die Miliz von Bilal Erdogans Schwiegervater. Bilal ist der Sohn von Präsident Erdogan und soll in dubiose Ölgeschäfte mit dem IS und Geldwäsche in Italien verwickelt sein.

Im Falle eines erneuten Putschversuchs, Sabotageaktion wie die Unterbrechung des Stromnetzes oder des Internet soll ein mobiles Warnsystem über Handmegaphone und Sirenen die Massen mobilisieren. Die Etablierung dieser Miliz bedeutet letztendlich nichts anderes als die staatliche Förderung einer bewaffneten Bürgerwehrtruppe, die jederzeit und an jedem Ort gegen die Kritiker eingesetzt werden kann.

Spezialeinheiten des Volkes

Eine weitere Miliz ist schon seit Monaten im Aufbau: Die Halk Özel Hareketi (HÖH), was so viel heißt wie „Spezialeinheiten des Volkes“. Immer wieder werden Autos mit der Aufschrift HÖHgesichtet, die mit einem alten osmanischen Emblem und türkischer Fahne versehen sind.

Diese Gruppe hat auch einen Verein mit einer sehr nationalistisch-islamistisch geprägten Website, die darauf schließen lässt, dass es sich um eine Miliz ähnlich der Spezialeinheit Osmanli Ocaklarihandelt.

Es gibt Befürchtungen, dass sich aus diesen Milizen heraus eine Art Islamische Garde für Erdogan herausbilden könnte ähnlich wie die Pasdaran im Iran. Der CHP – Abgeordnete Hamut Tanal fragte vergangene Woche im Parlament nach, ob die Aktivitäten der HÖH der Regierung bekannt seien und ob sie an offizielle Stellen angebunden seien.

AKP-Nationalismus auf dem Vormarsch

Der Ton der AKP wird immer nationalistischer. Die Grenzen zwischen der faschistischen MHP und der AKP verschwimmen. Auf der Jubel-Veranstaltung des türkischen Ministerpräsidenten in Oberhausen forderte eine junge Türkin vor laufender Kamera die Einführung der Todesstrafe. Der anwesende Reporter des Boulevardblattes BILD, selbst ein Deutsch-Türke, war sichtlich entsetzt:

Die rot-weiß beflaggte Menge ruft jetzt immer wieder „Allahu Akbar“ (Arabisch; auf Deutsch: Gott ist groß) und forderte den Politiker sogar auf, die Todesstrafe in der Türkei wieder einzuführen!…Ich schweige, schaue mich um und fühle mich auf zwei Weisen fehl am Platz: Zum einen, weil das nicht meine Türkei ist, die hier gefeiert wird. Zum anderen, weil mir deutlich signalisiert wird: Du bist kein Yildirim-Fan, du bist hier nicht willkommen!.

Celal Cakar

In der Türkei trat der Ministerpräsident Binali Yildirim am Rednerpult der AKP öffentlich mit dem Wolfsgruß der faschistischen Grauen Wölfe auf. In dem am 21.2.2017 von Sputnik-Türkei veröffentlichtem Video sagte er:

Meine nationalistischen und idealistischen Freunde haben „Mein Vaterland und mein Volk zuerst“ gesagt und so haben wir uns gemeinsam auf den Weg gemacht. Wie könnten wir das vergessen?

Binali Yildirim

Der Druck auf die Bevölkerung wächst. Die Spaltung der Gesellschaft wird immer mehr forciert.

„Die (Nein-)Stimme, die ihr abgebt, ist gleichzeitig eine Stimme der Unterstützung für die PKK. Sagt anschließend nicht, dass ihr davon nichts gewusst hättet. (…) Die PKK hat zu einem ‚Nein‘ beim Verfassungsreferendum aufgerufen. Alle die an der Urne mit ‚Nein‘ stimmen werden, zeigen, dass sie sich bewusst sind, dass sie anschließend genauso wie die PKK behandelt werden. Nicht, dass ihr danach beleidigt seid.“ Dies sagt der oberste Staatsanwalt von Antalya. So unabhängig ist also die Justiz in der Türkei.

HDP-Abgeordneter wird Mandat entzogen

Die nächste Stufe der Dekonstruktion der parlamentarischen Opposition wurde nun eingeläutet. Figen Yüksekdağ, der inhaftierten Ko-Vorsitzenden und Abgeordneten der HDP, wurde am vergangenen Montag das Abgeordnetenmandat entzogen. Sie ist nun offiziell keine Parlamentsabgeordnete mehr. Der Beschluss erfolgte auf Anordnung des Staatspräsidenten und wurde im türkischen Parlament verlesen.

Begründet wurde diese Aberkennung des Mandats damit, dass Figen Yüksekdağ von einem Gericht zu einer Strafe verurteilt worden ist. Es ist davon auszugehen, dass dieser Beschluss nun auf alle weiteren vor Gericht stehenden HDP-Abgeordneten angewendet wird.

Erdogan will in Deutschland für seine Diktatur werben

Wie aus Diplomatenkreisen in Ankara am Mittwoch bekannt wurde, beabsichtigt Erdogan im März nach Nordrhein-Westfalen zu kommen, um für seine Präsidialdiktatur zu werben. Auf dem Weg zu einem offiziellen Besuch in Straßburg will er einen Zwischenstopp machen.

Aber es dürfte schwierig werden, eine Halle für den Jubelauftritt zu finden, Die Kölner Lanxess-Arena und der Düsseldorf Congress Sport&Event signalisierten, dass sie kein Interesse an einer derartigen Veranstaltung haben.

„Auch wenn es eine Anfrage gäbe, würde sich ein Auftritt Erdogans in der Kölner Lanxess-Arena nicht wiederholen“, sagt ein Sprecher auf Anfrage. Der Geschäftsführer der Düsseldorf Congress Sport&Event, Hilmar Guckert sagte: „Veranstaltungen, die ein derartiges öffentliches Spannungsfeld erzeugen, sind für uns uninteressant.“

Widerstand gegen Erdogan-Besuch

Widerstand gegen einen Erdogan-Besuch gibt es aus fast allen Parteien. Der CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach ruft dazu auf, alle politischen und rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um diesen Auftritt zu verhindern. Das wird nicht einfach sein, denn Erdogan will als Privatperson nach Deutschland reisen. Über diesen Taschenspielertrick ist Bosbach besonders empört: „Erdogan kann doch nicht sagen: Heute morgen bin ich Staatspräsident, am Mittag Privatperson – und am Abend natürlich wieder Staatspräsident.“

Natürlich sei jeder Besuch Erdogans in Deutschland der Besuch des türkischen Staatspräsidenten. Die Linke fordert Angela Merkel auf, diesen Besuch zu unterbinden. Als Kanzlerin hätte sie diese Möglichkeit. Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen beruft sich dabei auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster:

Demnach sei es Sache des Bundes zu entscheiden, ob und unter welchen Rahmenbedingungen sich ausländische Staatsoberhäupter oder Regierungsmitglieder auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland im öffentlichen Raum durch amtliche Äußerungen politisch betätigen dürfen.

„Die Freiheit der Meinungsäußerung darf nicht missbraucht werden“

Das rot-grün regierte NRW versucht ebenfalls einen Auftritt Erdogans zu verhindern. Landesinnenminister Jäger (SPD) äußerte im Gespräch mit dem Kölner Stadtanzeiger: „Die Freiheit der Meinungsäußerung darf hier nicht missbraucht werden, um für eine Verfassungsänderung in der Türkei zu werben, mit der Grundrechte eingeschränkt und die Todesstrafe wieder eingeführt werden sollen.“

Die säkularen türkischen Organisationen machen nun neben den kurdischen Organisationen ebenfalls mobil gegen das Referendum, denn längst geht es nicht mehr nur um die Verfolgung von linken Türken oder Kurden. Auch die konservativen, kemalistisch geprägten Staatsbürger, die mehrheitlich die CHP wählten, sind mittlerweile dem Staatsterror ausgesetzt.

Die Bundesregierung sollte sich gut überlegen, ein derartiges einseitiges Spektakel zuzulassen. Denn die Opposition hat keine Möglichkeit, Werbung mit prominenten Politikern und Politikerinnen für ihre „Nein-Kampagne“ in Deutschland zu machen, da ihre wichtigsten Vertreter und Vertreterinnen entweder inhaftiert sind oder nicht ausreisen dürfen.

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