25. Februar 2017 · Kommentare deaktiviert für „Kollaborateure gesucht“ · Kategorien: Afrika, Deutschland, Europa · Tags:

iz3w 359 | März, April 2017

Wie die EU afrikanische Staaten für die Flüchtlingsabwehr einspannen will

Die EU versteht unter der Bekämpfung von Fluchtursachen in erster Linie die Bekämpfung von Flucht. Für diesen Zweck will sie afrikanische Länder in die Pflicht nehmen, mit einer Politik von Zuckerbrot und Peitsche. Nicht alle afrikanischen Regierungen spielen dabei uneingeschränkt mit.

von Christian Jakob

Als Angela Merkel im Oktober 2016 nach Afrika reiste, besuchte sie auch Niger. Deutschland werde dem Land »im Kampf gegen die illegale Migration helfen, kündigte die Kanzlerin an. LKWs und »Kommunikationsausrüstung« für zehn Millionen Euro versprach sie dem Staatschef Mahamadou lssoufou. Außerdem sollten mit deutscher Hilfe Jobs geschaffen werden für Menschen, die derzeit vom Menschenschmuggel leben. Dafür sicherte Merkel 17 Millionen Euro zu.

Die Hauptroute durch die Sahara führt bislang über die Stadt Agadez durch den Niger. Fast jedeR, die oder der an der Küste Libyens in ein Boot Richtung Europa steigt, kommt hier entlang.

lssouffou ahnte deshalb, dass mehr drin war. »Wir brauchen so etwas wie einen Marshall-Plan, sagte lssouffou. Er sollte eine ganze Milliarde Euro kosten. Es brauche eben »massive Unterstützung für unser Land«, erklärte er die hohe Forderung.

Fünf Monate ist das jetzt her. Und tatsächlich legte die EU noch einiges drauf. Mindestens 300 Millionen Euro an Hilfe wurden Niger in Aussicht gestellt. Die Gegenleistung kam prompt: Die Armee begann, den Weg Richtung Libyen stärker zu kontrollieren.

Die Preise für die Passage nach Libyen verdreifachten sich, berichtete Marina Schramm, Vize-Programmleiterin der International Organisation for Migration (IOM) in Niger, Ende Januar in Berlin.

Und noch etwas hatten die aus dem Norden zurückkehrenden Flüchtlinge den IOM-Mitarbeiterlnnen in Niger verraten: Weil die nigrische Armee sich nun vor allem an den wenigen Brunnen entlang der Route postiert, die die Schlepper normalerweise passieren müssen, wählen diese nun weit längere Wege abseits der Wasserstellen – eine lebensgefährliche Entwicklung. Seit 2013 wurden hunderte Todesfälle von MigrantInnen durch Wassermangel auf der Transsahara-Route gezählt – und das schon zu Zeiten, als die Brunnen noch gefahrlos angesteuert werden konnten.

»Positive und negative Anreize«

Begonnen hatte alles auf dem Höhepunkt der so genannten »Flüchtlingskrise« im November 2015. Da hatte die EU die Afrikanische Union zum Migrationsgipfel nach Valetta geladen. Den Regierenden in Berlin, Brüssel und Paris schwante, dass das, was 2015 auf dem Balkan geschah, sich wiederholen könnte, selbst wenn es keinen Krieg in Syrien und keinen IS mehr gibt. Gut 700.000 Menschen kamen zwischen 2010 und 2015 insgesamt aus Afrika als Asylsuchende in die EU. Das sind nicht viele, aber die Zahlen steigen. 2013 waren es 40 Prozent mehr als im Vorjahr, 2014 die Hälfte mehr, 2015 immerhin 20 Prozent. »Dramatisch zunehmen« könnte die Migration aus Afrika, sagte der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) kürzlich.

Beim Gipfel in Valletta gelobten die Afrikanerlnnen »gemeinsame Anstrengungen im Kampf gegen die irreguläre Migration«. Den als Gegenleistung hochtönend aufgelegten »EU Emergency Trust Fund for Africa« (EUTF) indes hielten sie zu Recht für Etikettenschwindel. Der Löwenanteil des Fonds war längst als Entwicklungshilfe im Haushalt eingestellt. Allzu bereitwillig auf die Wünsche der EU einzugehen, kam für die meisten afrikanischen Länder ohnehin nicht in Frage: Rücküberweisungen von MigrantInnen sind wichtig, Abschiebungen bei der Bevölkerung unbeliebt. So geschah wenig und die EU wurde zusehends unzufriedener.

Am 7. Juni 2016 beschrieb Kommissionsvize Frans Timmermans die ab sofort gültige neue Afrika-Politik als »Mischung aus positiven und negativen Anreizen«. Drittländer, die »effektiv« mit der EU zusammenarbeiten, seien zu »belohnen«‚ für die anderen solle es »Konsequenzen geben«. Wer in Zukunft nicht dabei hilft, Europa unerwünschte MigrantInnen vom Hals zu halten, soll nicht nur Hilfszahlungen, sondern auch Markzugänge verlieren. Acht Milliarden Euro will die EU allein bis Ende des Jahrzehnts in Afrika ausgeben, um »Ordnung in die Migrationsströme« zu bringen, sagte Timmermans. Der Großteil dieses Geldes soll der Stimulation von Privatinvestitionen in Afrika dienen Aus ihrem Entwicklungsbudget will die EU drei Milliarden Euro abzweigen, die Mitgliedsstaaten sollen dasselbe drauflegen. Unternehmen sollen dadurch bis 2020 sagenhafte 62 Milliarden Euro zusätzlich in Afrika investieren – jedenfalls in den Ländern, die beim Grenzschutz mitmachen. Das, so die Hoffnung, werde Jobs schaffen, die schließlich die jungen Menschen in Afrika halten.

»Das sind Gelder der Entwicklungszusammenarbeit«, kritisiert Inge Brees von der NGO CARE in Brüssel. Hilfe konzentriert sich so auf Länder, die für die Migrationskontrolle interessant sind – und fehlt dementsprechend woanders. Genauso sei es beim EU-Türkei-Deal gewesen: Die Erdogan zunächst versprochenen drei Milliarden Euro stammen im Wesentlichen aus dem Topf der EU-Nothilfeagentur ECHO. »Das hätte sonst auch für andere Krisen zur Verfügung gestanden«, sagt Brees. Das Gleiche GiZt für den mittlerweile auf 2,5 Milliarden Euro angewachsenen EUTF. Auch darin stecken vor allem noch nicht verplante Mittel des EU-Entwicklungsbudgets.

Die europäische Hilfe wird so zum Druckmittel gegenüber einer Reihe der ärmsten Staaten der Welt. Unverblümter und umfassender als früher wird Hilfe an Bedingungen geknüpft, umgewidmet, konzentriert: Dahin, wo Europas politische Prioritäten liegen.

Diese Tendenz zeichnet sich schon seit Jahren ab. Sichtbar wurde sie etwa bei der Jahrespressekonferenz der staatlichen deutschen Entwicklungsagentur GiZ im vergangenen Juli. Die GiZ ist für alle Entwicklungsthemen zuständig: Klimaschäden, Nachhaltigkeit, sauberes Wasser, Ernährung, Land, Bildung, Gesundheit und so fort. Auf der Pressekonferenz war von alledem aber praktisch nichts zu hören. GiZ-Vorstand Tanja Gönner sprach ausschließlich davon, was die GiZ in Sachen Flüchtlinge tut. Der Kampf gegen Armut als Bekämpfung irregulärer Migration – das ist das neue Paradigma der Entwicklungszusammenarbeit.

Seit Monaten verhandelt die EU mit Hochdruck über »Migration Compacts« genannte Vereinbarungen – bislang mit Libanon, Jordanien sowie den fünf »Prioritätsstaaten« der neuen Afrikapolitik: Senegal, Mali, Nigeria, Niger und Äthiopien. Nun sollen auch Afghanistan, Pakistan, Bangladesch, Irak, Eritrea, Somalia sowie weitere Länder in Westafrika hinzukommen. Deutschland setzt sich hinter den Kulissen vehement für einen »Compact« auch mit Ägypten ein. Ein »engeres Zusammenarbeiten zu gemeinsamen Interessen« seien die »Compacts«‚ heißt es bei der Kommission.

Eines der wichtigsten Projekte dabei ist das GiZ-Programm »Better Migration Management«. Die EU gibt dafür 40 Millionen Euro, Deutschland weitere sechs. Es soll nach Auskunft der GiZ »das Migrationsmanagement am Horn von Afrika verbessern« und »Schleusertum und Menschenhandel eindämmen«. Partnerstaaten sind nicht nur Djibouti, Kenia und Somalia, sondern auch Diktaturen wie Äthiopien, Sudan und Eritrea. Eritrea, eine der schlimmsten Diktaturen der Welt, ist seit 2008 kein offizieller Partner mehr der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Vom BMZ-kofinanzierten »Better Migration Management« profitiert es wohl trotzdem: Die Ausbildung eritreischer Beamtlnnen im eigenen Land sei zwar ausgeschlossen, heißt es bei der GiZ, in Äthiopien aber dürften sie an Schulungen teilnehmen. Auch eine Finanzierung von Projekten in Eritrea selbst schließt die GiZ nicht aus, solange sie über Dritte wie die UN-Anti-Schmuggelorganisationen UNODC geschieht.

Je stärker der Druck auf die Staaten Afrikas wird, Geflüchtete aufzuhalten, desto eher sperren sie sie ein. Das Genfer Institut Global Detention Project zählt aktuell in Ägypten 41 Internierungseinrichtungen für Flüchtlinge, in Libyen 33, in Marokko 16, im Senegal fünf, in Tunesien zwei, in Mauretanien eines – sämtlich Partnerländer der EU. Die Bedingungen in den Lagern sind meist grauenhaft. Die deutsche Botschaft in Niger sprach gegenüber dem Auswärtigen Amt Ende Januar gar von »KZ-ähnlichen Zuständen« in den Lagern in Libyen. Und trotzdem: Nach Auskunft von Manlio Scopigno, dem Kommandanten der EU-Marinemission EUANVFOR Med, eruieren IOM und die EU-Mission EUBAM Libya derzeit, welches dieser Lager nach EU-Standards umgebaut werden kann, um Flüchtlinge aus dem Mittelmeer dorthin zurückbringen zu können.

Am liebsten aber wäre es der EU, die Menschen kämen gar nicht erst bis zum Mittelmeer. Sie überzieht den afrikanischen Kontinent mit einem immer dichteren Netz von Kontrollmechanismen, die die Bewegungsfreiheit vor allem Richtung Norden einschränken. Gao im Nordosten Malis etwa ist eines der zentralen Drehkreuze, hier verläuft die meistfrequentierte Transsahara-Migrationsroute Richtung Norden. Zwischen Mali und Niger herrscht eigentlich die Freizügigkeit der ECOWAS-Region. Doch die nigrische Po1izei weist immer mehr Reisende ab. »Was an dieser Grenze geschieht, sind die direkten Auswirkungen des Valetta-Gipfels«, sagt Eric Camden, der seit 2009 für die Caritas vor Ort ist.

Laissez-Passer nur bei Abschiebungen

Und doch ist es keineswegs so, dass Afrika die Wünsche der EU in Sachen Migrationskontrolle einfach erfüllt. Die bislang größte Schlappe erlitt die EU am 29. Dezember. An diesem Tag näherten sich zwei Flugzeuge der malischen Hauptstadt Bamako, beide gestartet in Paris-Orly, an Bord jeweils ein Mann, den Frankreich nach Mali abschieben wollte. Beide hatten keinen Pass.

Ihre Abschiebung war ein Testlauf für die künftige Praxis der EU-Länder. Viele Flüchtlinge und MigrantInnen aus Afrika haben entweder keinen Pass oder lassen ihn verschwinden. Wird ihr Asylantrag abgelehnt, was meist der Fall ist, können sie nicht abgeschoben werden, denn die Ausländerbehörden brauchen ein Reisedokument. Bislang gab es dazu vor allem einen Weg: Die Botschaften der mutmaßlichen Herkunftsländer. Doch die sind den Ausländerbehörden oft keine Hilfe. Die »AG Rück«, eine in Deutschland mit Abschiebungen befasste Arbeitsgruppe von Bund und Ländern, kritisiert, die Botschaften würden ihre Bürgerlnnen vor den deutschen Behörden schützen. Es fehle das »politische Interesse an Rückführungen«. Manche Länder wollten gar Zugeständnisse oder Geld abpressen. Kurzum: Kein Pass, keine Abschiebung.

Schon vor Jahrzehnten hat sich die EU einen Ausweg für dieses Problem ausgedacht. Es heißt Laissez-Passer. Dieses Papier soll als Ersatz für einen Pass dienen und einen Grenzübertritt ermöglichen. Doch bislang weigerten sich – mit Ausnahme des lnselstaats Kap Verde – sämtliche Länder Afrikas offiziell, es zu akzeptieren. Zum einen würde dies innenpolitisch wie Verrat an der eigenen Bevölkerung aufgefasst. Zum anderen verlören die Botschaften die Souveränität zu prüfen, ob jemand tatsächlich Bürgerln des jeweiligen Landes ist.

Die wichtigste Forderung der EU an die afrikanischen Staaten und zugleich Kern der »Migration Compacts« war deshalb die Unterzeichnung von Rücknahmeabkommen. Diese sollen die Partnerstaaten zu dreierlei verpflichten. Erstens: Sie sollen BürgerInnen so genannter Drittstaaten, also fremder Länder, bei Abschiebungen aufnehmen, wenn sie durch ihr Territorium nach Europa gelangt sind (wenn etwa eine Kamerunerin über Marokko nach Spanien gelangt, schiebt Spanien sie nicht nach Kamerun ab, sondern nach Marokko). Zweitens: Anders als bislang sollen die afrikanischen Botschaften schnell Pässe für eigene BürgerInnen ausstellen, wenn diese abgeschoben werden sollen. Und drittens: Falls die Botschaften nicht mitspielen, sollen die Länder akzeptieren, dass die EU einfach selbst die Reisepapiere ausstellt: Die Laissez-Passers.

Mali ist ein Land, dessen BewohnerInnen traditionell zum Arbeiten auswandern, manche nach Europa, vor allem in die ehemalige Kolonialmacht Frankreich. Seit langem gibt es deshalb ein Ministerium für Malierlnnen im Ausland, eine starke Interessenvertretung der Diaspora. Von Abschiebungen hält es nicht viel. In einem internen Papier hat die EU-Kommission im Januar 2016 die Lage so beschrieben: Migration gelte dort »kulturell als Erfolgsmodell«, die »wirtschaftliche Bedeutung von Überweisungen ist zu berücksichtigen«. Der Auswärtige Dienst der EU notierte: »Die Regierung ist gegen Rücknahmeabkommen.« So wurden zuletzt nur rund elf Prozent der ausreisepflichtigen Malierlnnen abgeschoben. Die EU will diese Quote unbedingt steigern.

Mehr als ein Jahr nach dem Gipfel von Valletta und sechs Monate, nachdem die EU ihre Sanktionsdrohung ausgestoßen hatte, hatte noch kein einziger Staat Afrikas seine Unterschrift unter ein Rücknahmeabkommen gesetzt. Erst am 11. Dezember 2016 verkündete die EU, dass der niederländische Außenminister Bert Koenders im EU-Auftrag und sein Amtskollege Abdoulaye Diop aus Mali ein Rücknahmeabkommen für abgelehnte malische Asylbewerberlnnen unterzeichnet hätten. Es wäre der erste Sieg der EU in dieser Sache gewesen, Mali wäre der erste Staat auf dem afrikanischen Festland, der sich auf einen solchen Vertrag mit der EU einlässt. Doch nach heftigen Protesten in Mali dementierte der Außenminister Diop umgehend: Es sei gar kein Rücknahmeabkommen unterzeichnet werden. Entsprechende Meldungen seien »Lüge«. Es seien lediglich im Rahmen des Migrationsdialoges mit der EU neun Projekte im Umfang von 145 Millionen Euro für Mali vereinbart worden. Das Ganze zog sich hin bis zu jenem Tag, an dem in Paris die beiden Männer ins Flugzeug nach Bamako gesetzt wurden, die keinen Pass hatten, sondern nur die Laissez-Passers, die die EU als Abschiebe-Allzweckwaffe so gern zur Verfügung hätte.

Doch Mali spielte nicht mit. Am Abend des 29. Dezembers ließen die malischen Grenzpolizisten am Flughafen von Bamako die beiden Männer nicht einreisen. Die Papiere seien kein gültiges Identitätsdokument, erklärte die Regierung. Stundenlang protestierten französische Begleitpolizisten und die Fluggesellschaften. Sie wollten nicht einsehen, die Männer nun auf eigene Kosten zurückfliegen zu müssen. Doch die malischen Beamten blieben hart. Am nächsten Morgen waren die beiden Männer wieder in Paris. Die bislang wohl größte afrikapolitische Offensive der EU endete im Eklat.

Die Stimmung ist frostig

Der nächste Akt spielte erneut auf Malta. Maltas Premierminister Joseph Muscat hatte für den 8. und 9. Februar wieder die Afrikanerlnnen eingeladen – zum Valletta II-Gipfel. Die EU drängte auf Rücknahmeabkommen, wollte messbare Ergebnisse bei den Abschiebungen. Auf der Tagesordnung klang das so: Eine »bessere lmplementierung sicherstellen«. Die Stimmung war frostiger als beim ersten Gipfel.

132 Jahre nach der kolonialen Berliner Afrika-Konferenz formt Europa auch heute wieder Afrikas Grenzen nach seinen Interessen. Wie sehr der Kontinent auf der politischen Agenda steht, zeigen die Pläne für die im November übernommene deutsche G20-Präsidenschaft. Sie fällt in das Jahr, in dem Wahlen in den wichtigsten EU-Staaten Frankreich und Deutschland anstehen. Die Rechtspopulistlnnen sind im Aufwind, kaum eine Frage wird die Wahlen stärker beeinflussen als der Kampf gegen irreguläre Migration. »Verantwortung übernehmen – besonders für Afrika« heißt daher die »3. Säule« des Programms der Bundesregierung. Im Juni will Merkel die Präsidentlnnen des Kontinents zum Gipfel »Partnerschaft mit Afrika“ einladen. Am G20-Treffen in Hamburg wenige Wochen später sollen einige von ihnen als Gast teilnehmen dürfen. Afrikas Präsidentlnnen dürfen kommen, damit seine BürgerInnen es nicht tun.

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