24. Februar 2017 · Kommentare deaktiviert für „Das kann keinem Menschen zugemutet werden“ · Kategorien: Deutschland · Tags: , ,

der Freitag | 23.02.2017

Interview Matthias Lehnert ist Anwalt für Aufenthaltsrecht. Er hofft, dass das Bundesverfassungsgericht die Abschiebungen nach Afghanistan als Verletzung der Grundrechte wertet

Der Freitag: Am Wochenende hat die EU mit Afghanistan ein Abschiebeabkommen vereinbart, gestern Abend startete in München erneut ein Flugzeug mit abgelehnten Asylbewerbern in Richtung Kabul. Die Regierung argumentiert, es gebe dort sichere Regionen. Stimmt das?

Matthias Lehnert: Unabhängig von den Bemühungen der EU oder der Bundesrepublik, Abschiebungen nach Afghanistan zu erleichtern, sind und bleiben sie juristisch und vor allem menschenrechtlich höchst problematisch. Wie brüchig und unsicher die Situation im Land ist, zeigt der neueste Bericht vom UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR). Eine Rückkehr nach Afghanistan kann eigentlich keinem Menschen zugemutet werden. Die Berichte vom UNHCR, aber auch von anderen Organisationen zeigen vielmehr, dass mehr oder weniger im gesamten Gebiet von Afghanistan noch Krieg herrscht. Es ist ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, der sich über das ganze Land erstreckt. Es gibt zwar einzelne Regionen, die weniger davon betroffen sind, aber auch dort ist die Situation fragil und unabsehbar, und die Zahl der Anschläge ist im gesamten Land im vergangenen Jahr nochmal erheblich gestiegen.

Wie sieht es mit der Versorgungslage für Geflüchtete aus, die nach Afghanistan zurückkehren müssen?

Immer mehr Afghanen sind innerhalb des Landes vor dem Krieg auf der Flucht, es gibt eine hohe Zahl von Binnenflüchtlingen, viele von ihnen leben unter katastrophalen Bedingungen. Hinzu kommt, dass unglaublich viele Afghanen, die nach Pakistan oder in den Iran geflohen sind, zurückkehren. Pakistan hat in den vergangenen Monaten hunderttausende afghanische Flüchtlinge zur Rückkehr gezwungen. Der Staat ist nicht in der Lage noch mehr Menschen aufzunehmen. Das bestätigt auch der afghanische Minister für Flüchtlingsangelegenheiten, Sayed Hussain Alimi Balkhi, wenn er sagt, er könne nicht sicherstellen, dass die Menschen, die aus Europa nach Afghanistan zurückkehren, dort eine menschenwürdige Perspektive haben.

Es gibt eine Verfassungsbeschwerde gegen die Abschiebungen nach Afghanistan. Wie stehen die Chancen, dass Karlsruhe die Abschiebungen generell untersagt?

Bislang hat das Bundesverfassungsgericht im Dezember erst eine Abschiebung vorläufig untersagt – ohne selbst inhaltlich Stellung zu nehmen, sondern aus formalen Gründen, weil das Bundesamt sich in dem Verfahren noch nicht hinreichend mit den neuen Entwicklungen in Afghanistan beschäftigt hatte. In der endgültigen Entscheidung, und es werden noch weitere Verfahren hinzukommen, muss das Bundesverfassungsgericht nun selbst und ernsthaft prüfen, ob Abschiebungen nach Afghanistan gegen die Grundrechte verstoßen – ob also das Leben bei einer Rückkehr bedroht ist und ob ein menschenwürdiges Leben gewährleistet wäre. Meines Erachtens ist das Ergebnis klar: Denn eine Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit für jeden Menschen zu gefährlich und unzumutbar. Es bleibt zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht das genauso sieht – und sich nicht von der politischen Erwägungen der Bundesregierung anstecken lässt.

Haben Sie Mandanten, denen eine Abschiebung nach Afghanistan droht?

Berlin beteiligt sich momentan noch nicht an den Abschiebungen nach Afghanistan, es sind andere Bundesländer, die da vorrangig dabei sind. Von daher hatte ich als Anwalt bisher noch keine unmittelbare Berührung mit Abschiebungen nach Afghanistan. Aber ich habe Mandaten aus Afghanistan, deren Antrag auf Asyl abgelehnt wurde. Ich beobachte einen zunehmend restriktiven Umgang mit Asylbewerbern aus diesem Land.

Es gibt die politische Vorgabe, dass die Asylverfahren beschleunigt werden sollen. Wie erleben Sie die Arbeit des Bundesamts für Flüchtlinge und Migration?

Die Zahl der bearbeiteten Anträge hat sich erhöht, beim BAMF wurden ja auch sehr viele neue Mitarbeiter eingestellt. Das Bundesamt hat sich eine Unternehmensberatung geholt, es gab ein Briefing, wie man die Verfahren effektiver gestalten kann, und wie man die Erledigungszahlen erhöht. Im Einzelfall kann ein schnelles Verfahren für den Antragsteller zwar positiv sein, aber konkret hat es in den letzten Monaten zur Folge gehabt, dass die Qualität der Entscheidungen weiter gesunken ist. Das hat vor allem damit zu tun, dass die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die wegen der Zunahme der Flüchtlingszahlen eingestellt wurden, qualitativ deutlich schlechtere Arbeit leisten, als die bisherigen Mitarbeiter. Ganz einfach weil ihre Ausbildung weniger umfangreich ist. Die Einarbeitungszeit für Anhörer und Entscheider für die Asylverfahren im Bundesamt ist wesentlich kürzer geworden. Und das macht sich auch in den Asylbescheiden bemerkbar, es gibt viele Fehleinschätzungen. Schnelle Entscheidungen zu treffen, hat im Endeffekt auch zur Folge, dass mehr geklagt wird.

Die Bundesregierung plant weitere Änderungen beim Asylrecht. Dabei wurden die Gesetze bereits mit den Asylpaketen I und II enorm verschärft. Wie erleben Sie die Folgen bei Ihren Mandanten?

Gravierende Folgen hat die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte, was vor allem syrische Geflüchtete betrifft. Das wirkt sich ganz stark auf die psychische Situation der Menschen aus. Eigentlich sind sie als Schutzberechtigte anerkannt, sie dürfen in Deutschland leben, aber ihnen wird verwehrt, ihre Familie nachzuholen. Sie sind mit der Situation konfrontiert, zwei oder drei Jahre darauf warten zu müssen, wieder mit ihren Angehörigen zusammenleben zu dürfen. Manche überlegen sich, zurückzugehen in den Libanon oder die Türkei, obwohl dort desaströse Zustände herrschen und es keinem Menschen zugemutet werden kann, dort zu leben. Die Verschärfung der Hürden für den Nachweis von krankheitsbezogenen Abschiebungshindernissen ist ebenfalls hart. Gerade für psyschich kranke Menschen, etwa mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung, soll es – so will es das Gesetz – fast unmöglich sein, wegen der Erkrankung ein Bleiberecht in Deutschland zu bekommen – das ist verheerend – und menschenrechtlich ein Skandal.

Sie haben gerade erwähnt, dass Sie Mandanten haben, die überlegen, in den Libanon oder die Türkei zurückzukehren. Die Bundesregierung hat vor kurzem angekündigt, die „freiwillige Rückkehr“ von Geflüchteten zu forcieren. Kann man von Freiwilligkeit reden?

Also eine Rückkehr von geflüchteten Menschen ist im Wortsinn niemals freiwillig, denn die Menschen haben sich – mehr oder weniger erzwungenermaßen – entschieden, nach Deutschland zu kommen, um hier Schutz zu suchen. Wenn ihnen dieser Schutz verwehrt wird oder wenn ihnen verwehrt wird, ihre Familie nachzuholen, dann ist eine Rückkehr – wohin auch immer – niemals freiwillig.

Im Moment wird viel über das Abschiebabkommen der EU mit Afghanistan berichtet. Die EU-Kommission plant zurzeit aber auch, Geflüchtete bald wieder nach Griechenland abzuschieben.

Die Kommission will ab März wieder das Dublin-System für Griechenland installieren, nachdem es jahrelang – vor allem durch Gerichtsurteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – untersagt war, Menschen dorthin abzuschieben. Ich werte diese Wiedereinführung des Dublin-Systems für Griechenland als politische Opportunitätsentscheidung, ähnlich wie bei den Abschiebungen nach Afghanistan oder bei der Festlegung sicherer Herkunftsstaaten. Griechenland hat immer noch kein hinreichend funktionierendes Aufnahme- und Anerkennungssystem für Geflüchtete. Es ist völlig abwegig, Menschen dorthin abzuschieben, wenn man sich vor Augen führt, wie die Situation der 10.000 Flüchtlinge auf den Ägäis-Inseln ist. Auch der Fall der türkischen Militärangehörigen, die offensichtlich aus Gründen politischer Verfolgung aus der Türkei nach Griechenland geflohen sind und dann von griechischen Behörden abgelehnt wurden, offenbart, dass es in Griechenland auf behördlicher Ebene keinen hinreichenden Schutz für politisch Verfolgte gibt. Die EU-Kommission versucht etwas durchzudrücken, was menschenrechtlich eigentlich nicht möglich ist.

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