01. Dezember 2016 · Kommentare deaktiviert für „Merkel hat ihre Politik geändert. Das verdient Respekt“ · Kategorien: Afrika, Deutschland, Europa

Quelle: Welt | 30.11.2016

Paul Collier ist ein weltberühmter Migrationsforscher. Die Flüchtlingspolitik Angela Merkels hat er harsch kritisiert. Nun ist er zufrieden mit der deutschen Politik – und berät die Kanzlerin sogar.

Von Eva Ladipo

Anfang des Jahres machte der ehemalige Weltbank-Direktor Paul Collier, einer der angesehensten Migrations- und Armutsforscher der Welt, Schlagzeilen mit seiner harschen Kritik an Angela Merkel. Ihre Entscheidung, die Grenzen zu öffnen, habe indirekt zu mehr als 17.000 toten Flüchtlingen geführt und eine vielfache Zahl von Menschen in die Hände von Schleppern getrieben.

Die Welt: Herr Professor Collier, haben Sie die Seiten gewechselt? Sind Sie in der Flüchtlingspolitik plötzlich einer Meinung mit Angela Merkel?

Paul Collier: Mitnichten. Ihr Verhalten im Sommer 2015 halte ich nach wie vor für falsch. Offene Grenzen sind keine Lösung. Frau Merkel hat damit eine Massenmigration ausgelöst, die sowohl unserer Gesellschaft als auch den Gesellschaften der Herkunftsländer schadet. Doch mittlerweile hat die Kanzlerin ihre Strategie geändert – und dafür gebührt ihr großer Respekt.

Die Welt: Worin besteht der Strategiewechsel?

Collier: Die deutsche Regierung hat verstanden, dass allen Seiten am meisten geholfen ist, wenn Bürgerkriegsflüchtlinge in sicheren Drittländern nah ihrer Heimat bleiben, und wenn Wirtschaftsflüchtlinge sich erst gar nicht auf den Weg machen. Darauf sollte sich Deutschland konzentrieren, wenn es im Dezember den Vorsitz der G20 übernimmt: auf die Schaffung glaubwürdiger Hoffnung in Flüchtlingslagern und Herkunftsländern.

Die Welt: „Glaubwürdige Hoffnung“ – das klingt aber reichlich verschwommen.

Collier: Hören Sie – glaubwürdige Hoffnung ist das, was man für ein menschenwürdiges Leben braucht. Meine Eltern zum Beispiel hatten keine. Sie mussten beide die Schule mit zwölf verlassen. Ihr Leben war elend und hoffnungslos. Auch deshalb tue ich alles, was ich kann, damit die ärmste Milliarde der Welt Zuversicht entwickeln kann. Es ist nicht besonders komplex und keine Quantenphysik: Die Menschen brauchen eine Perspektive – nur die Aussicht, dass es langsam besser wird. Ein bisschen Hoffnung genügt, damit sie bleiben.

Die Welt: Und damit wäre nicht nur dem überforderten Europa geholfen, sondern auch Afrika?

Collier: Selbstverständlich. Afrika braucht die Jungen, Gebildeten, Durchsetzungsstarken, die sich derzeit auf den Weg nach Europa machen.

Die Welt: Und wie wollen Sie die Hoffnung schaffen, die diese Leute zum Bleiben bewegt?

Collier: Sehen Sie sich die Hilfsprogramme in den Flüchtlingslagern in Jordanien an. Dort werden Arbeitsplätze geschaffen, syrische Flüchtlinge bekommen eine Ausbildung. Wenn ihre Heimat befriedet ist, können sie zurückkehren und beim Aufbau mithelfen. Diese Art von wirtschaftlicher Zusammenarbeit müssen wir auch mit Afrika entwickeln. Das heißt, es geht nicht um humanitäre Hilfe, sondern es geht um groß angelegte wirtschaftliche Entwicklung, also zuerst um den Aufbau von Infrastruktur.

Die Welt: Zuletzt ist vor allem China als Großinvestor in Afrika aufgetreten.

Collier: Das stimmt, doch derzeit sinkt das Interesse Chinas eher, weil die Rohstoffpreise eingebrochen sind. Davon abgesehen, sollten wir den Chinesen ohnehin nicht das Feld überlassen. Wir sollten in Afrika präsent sein, und zwar in großem Maßstab.

Die Welt: Und wer soll das finanzieren?

Collier: Daran arbeiten wir gerade – auch in Vorbereitung des G-20-Gipfels im Juni. Es geht darum, Mechanismen zu entwickeln, die das Risiko für private Investoren in Afrika tragbar machen. Das Risiko muss reduziert, verteilt und gemeinsam getragen werden – etwa indem man Anlageklassen für afrikanische Infrastrukturprojekte schafft, die auch für Pensionsfonds interessant sind.

Die Welt: Es gab schon so viel guten Willen und so viele Afrika-Initiativen, die am Ende folgenlos im Sand verliefen. Warum sollte es diesmal anders sein?

Collier: Glauben Sie mir – ich arbeite seit Jahrzehnten auf dem Gebiet, und diesmal fühlt es sich anders an. Es geht nicht mehr um Moral oder Ideologie wie früher in der Entwicklungshilfe, sondern um akuten politischen Druck. Dazu trägt aus europäischer Sicht natürlich die Flüchtlingskrise bei. Doch auch die afrikanischen Regierungen müssen nach dem Ende des Rohstoffbooms umdenken. Sie hatten zehn gute Jahre, die sind nun vorbei. Das Pro-Kopf-Einkommen in Afrika wird in diesem Jahr um etwa 1,4 Prozent sinken, im Rest der Welt um etwa zwei Prozent steigen. Die Schere geht immer weiter auf – wenn das nicht in einer Katastrophe enden soll, muss etwas passieren.

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