14. August 2016 · Kommentare deaktiviert für „Flüchtlinge auf dem Mittelmeer: Konteradmiral Bergott jagt die Schleppermafia“ · Kategorien: Deutschland, Italien, Libyen, Mittelmeerroute · Tags: ,

Quelle: Spiegel Plus

Die EU-Mission „Sophia“ soll Schlepper im Mittelmeer stoppen. Mit Speedbooten, Hubschraubern und einem Flugzeugträger stellt eine 1200-Mann-Truppe den Schleusern nach. Peter Müller war mit den Soldaten unterwegs – auf einer verzweifelten Jagd.

Der Mann, der Europas Außengrenze verteidigt, wirft einen angestrengten Blick von seinem Kommandostand acht Stockwerke über dem Meer Richtung Süden. Dort, hinter dem Horizont, liegt Libyen, ein Land ohne Ordnung und funktionierende Regierung. Es ist das große Sammelbecken für Flüchtlinge, Zwischenstation für Hunderttausende, die aus dem Herzen Afrikas aufbrechen, um mithilfe von Schleppern Schutz in Europa zu suchen.

Konteradmiral Giuseppe Berutti Bergotto, ein zupackender Mittfünfziger mit Glatze, steht auf der Brücke des italienischen Flugzeugträgers „Garibaldi“, des über 30 Jahre alten Flaggschiffs der Operation „Sophia“ der EU. 1,8 Millionen Quadratkilometer umfasst das Einsatzgebiet, eine Fläche, fünfmal so groß wie Deutschland. „Meine Aufgabe ist es, die Schmuggler an ihrer Arbeit zu hindern“, sagt Berutti Bergotto.

Seit bald einem Jahr versucht die EU, den Schleusern auf der zentralen Mittelmeerroute das Handwerk zu legen. Die Operation „Sophia“ ist die Antwort auf den Tod Tausender Migranten, Menschen, die auf dem Weg zu einem besseren Leben in Europa ertranken. Fünf Schiffe, mehrere Flugzeuge und Hubschrauber sowie 1200 Soldaten aus 24 EU-Staaten sind derzeit im Einsatz. Auch die Bundeswehr ist mit zwei Schiffen und über 120 Soldaten beteiligt. Es ist ein zähes Geschäft.

Mehr als 153.000 Menschen kamen 2015 über das zentrale Mittelmeer, in diesem Jahr dürften es kaum weniger sein. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration hat die Zahl der Flüchtlinge Anfang Juli deutlich zugenommen. In diesem Jahr sollen bereits 3000 Migranten im Mittelmeer gestorben sein, bald so viele wie im gesamten vergangenen Jahr.

„Sophia“ ist aber nicht nur eine humanitäre Aktion. Die EU will beweisen, dass sie in der Lage ist, ihre Außengrenzen zu schützen. Gerade jetzt, wo sich Zweifel mehren, ob und wie lange sich der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan noch an den Flüchtlingsdeal mit der EU hält, und Terroranschläge bei vielen Menschen Ängste vor Fremden befeuern.

Im abgedunkelten Lagezentrum der „Garibaldi“ überwacht Kapitän Domingo Gómez-Pamo aus Spanien, was sich auf See tut. Der Stabschef sitzt etwas erhöht auf einem Stuhl mit Lederpolster, von hier aus hat er mehrere Bildschirme im Blick. Sie zeigen Wetter, Radarbilder und vor allem die Position der Schlepperboote. Das Lagebild wird ständig auf den neuesten Stand gebracht.

Auf dem Meer ist es an diesem Morgen relativ ruhig, die größten Probleme gibt es auf dem libyschen Festland.

Auf der „Garibaldi“ beobachten sie die Entwicklungen in Libyen genau, die ungeklärten politischen Verhältnisse in dem Land sind ein großer Nachteil für die EU-Mission, keiner weiß das besser als Stabschef Gómez-Pamo. Sein Heimatland Spanien hat schon einmal eine Flüchtlingskrise in den Griff bekommen. Vor gut zehn Jahren kamen Tausende aus Westafrika auf den Kanarischen Inseln an. Spanien organisierte damals eine Frontex-Operation und zwang die Flüchtlingsboote schon in der Nähe der afrikanischen Küste zur Umkehr. Das klappte, weil man mit Ländern wie Mauretanien und Senegal verhandeln konnte.

Das funktioniert mit Libyen nicht. Die Regierung der Nationalen Einheit ist zwar von den Vereinten Nationen anerkannt, doch längst nicht überall im eigenen Land. Da es noch niemanden gibt, der eine entsprechende Einladung aussprechen könnte, dürfen die „Sophia“-Schiffe weiterhin nicht in libysche Gewässer einfahren.

Kleine Erfolge sind deshalb mit großem Aufwand erkauft. Zuletzt gelang mit deutscher Beteiligung ein Coup. Am Morgen des 9. Juli hatte ein spanisches Aufklärungsflugzeug in aller Frühe verdächtige Schiffe entdeckt, für die Soldaten bot sich ein gewohntes Bild: Ein Boot mit zwei Schleppern an Bord zog ein Schlauchboot mit fast 150 Flüchtlingen. Als sie die internationalen Gewässer erreichten, räumte der dritte Schleuser Navigationsgerät und Satellitentelefon in das Boot, dann kappten die drei die Leinen zu den Flüchtlingen und machten kehrt in Richtung Küste.

In der Kommandozentrale der „Garibaldi“ sprach Konteradmiral Berutti Bergotto mit seinem Rechtsberater: Reichen die Beweise, um die Menschenhändler vor Gericht zu bringen? Die Spanier meldeten, sie hätten den ganzen Vorgang gefilmt, sogar Bilder lägen vor, auf denen die Gesichter der Schleuser gestochen scharf zu erkennen seien. Berutti Bergotto gab den Befehl, loszuschlagen.

Zunächst stieg von der „Garibaldi“ ein Hubschrauber auf, er sollte den Schleppern den Rückweg abschneiden. Denn nur wenn die Soldaten die Schlepper außerhalb der libyschen Gewässer festsetzen, können diese in der EU vor Gericht gestellt werden. Die Grenze ist wie eine unsichtbare Wand mitten auf See. Gleichzeitig ließ das deutsche Versorgungsschiff „Werra“ zwei Speedboote zu Wasser. Mit ihnen raste ein finnisches Boardingteam auf die Schleuser zu und nahm sie in Gewahrsam.

Es war eine europäische Operation, wie es sie nur selten gab: spanisches Flugzeug, italienischer Kommandant, deutsches Schiff, finnische Soldaten. Ein italienisches Patrouillenboot rettete die Flüchtlinge, die „Werra“ nahm sie später an Bord. Das Boot der Schleuser wurde ebenfalls verladen – als Beweisstück.

Es ist ein schöner Erfolg, aber eben nur ein kleiner. 92 Schleusereiverdächtige sind mithilfe der Mission „Sophia“ bis heute gefasst worden, 92 von Tausenden, die in dieser Milliardenbranche ihr Geld machen. Ein Ende des Geschäftsmodells ist nicht in Sicht: In Libyen sollen bis zu 800.000 Menschen auf ihre Überfahrt nach Europa warten, warnte die EU-Polizeibehörde Europol. Das Geschäft der Schlepper lässt sich nur wirksam an Land bekämpfen.

„Sophia“ war von Beginn an eine Mission des schlechten Gewissens. Nachdem am 18. April 2015 an einem einzigen Tag 800 Menschen im Mittelmeer ertrunken waren, beschlossen die Staats- und Regierungschefs der EU auf einem eilig einberufenen Sondergipfel die gemeinsame Operation. Zu ihrem Namen kam die Mission erst, als die ersten Schiffe bereits im Einsatz waren. Operation „Sophia“ ist nach einem Flüchtlingsbaby benannt, das auf der deutschen Fregatte „Schleswig-Holstein“ geboren wurde. 20.700 Menschen habe „Sophia“ bereits gerettet, sagen EU-Offizielle.

Umstritten ist die Mission dennoch. Italienische NGOs beklagen, dass „Sophia“ das Leben von Flüchtlingen eher gefährde. Da die Schlepper wüssten, dass jedes Boot nach der Rettung Schiffbrüchiger zerstört wird, schickten sie die Migranten immer öfter in Seelenverkäufern aufs offene Meer. Auch das britische House of Lords übt Kritik. „Eine Mission, die nur in internationalen Gewässern agieren darf, kann die Schleusernetzwerke nicht zerstören, die im libyschen Sicherheitsvakuum regelrecht aufblühen“, monieren die Lords.

Hilfe soll nun von der Nato kommen, das Militärbündnis will die Europäer vor allem bei der Aufklärung unterstützen, entsprechende Operationspläne werden derzeit erstellt. Doch mit Schiffen allein lässt sich der Flüchtlingsstrom nicht stoppen, darüber sind sich nicht nur die Offiziere auf der „Garibaldi“ im Klaren, auch in Brüssel setzt sich diese Einsicht durch. Weil Libyen keine handlungsfähige Regierung hat, strebt die EU Abkommen mit Herkunfts- und Transitländern wie Äthiopien, Mali, dem Senegal oder Nigeria an. Geplant ist ein ähnlicher Deal wie mit der Türkei, die Kritik wird daher nicht lange auf sich warten lassen: Entwicklungshilfe werde daran geknüpft, dass die Zahl der Flüchtlinge sinkt.

Dienstagvormittag, auf der „Garibaldi“ werfen sich italienische Marineinfanteristen in Montur. Auf die Operation „Sophia“ kommen neue Aufgaben zu. Zum einen soll sich die EU-Mission künftig auch um die Ausbildung der libyschen Küstenwache kümmern. Vor allem aber soll sie außerdem das Waffenembargo der Vereinten Nationen überwachen und so den Nachschub an die Terrormiliz IS in Nordafrika unterbinden.

Entsprechend müssen die Soldaten künftig nicht nur Schlepper in Nussschalen festsetzen, sondern größere Schiffe notfalls gegen den Willen der Besatzung durchsuchen. Ausgestattet mit Gefechtshelm, kugelsicherer Weste und Maschinenpistole, seilen sich vier Soldaten von einem Hubschrauber ab, der über dem Heck des Flugzeugträgers kreist. Die Übung ist nicht ohne Risiko, der Wind bläst kräftig, und der Pilot hat alle Hände voll damit zu tun, den Hubschrauber über der Landezone zu halten. Sobald die Soldaten auf dem Deck aufsetzen, bringen sie ihre Waffen in Anschlag und stürmen los.

Immerhin, die Aktion endet trotz starken Windes und hohen Seegangs ohne Verletzte. Ein kleiner Erfolg, wenn auch zunächst nur auf dem eigenen Schiff.

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