14. April 2016 · Kommentare deaktiviert für „Griechenland: Ausweglose Situation für Flüchtlinge“ · Kategorien: Griechenland

Quelle: Telepolis

Regierung und Medien suchen die Schuld am Aufruhr der Flüchtlinge und Immigranten bei den freiwilligen Helfern. Die Vereinbarung mit der Türkei funktioniert nicht, Flüchtlinge landen im Gefängnis

Wassilis Aswestopoulos

Die griechische Regierung hat zusammen mit der einheimischen Medienlandschaft befunden, dass an dem Aufruhr der Flüchtlinge und Immigranten vom Sonntag im wilden Camp am Grenzort die solidarischen freiwilligen Helfer schuld sind.

Die Jagd auf die nicht in großen internationalen Hilfsorganisationen registrierten Helfer ist eröffnet. In und um Idomeni finden Ausweiskontrollen aller Ankommenden statt. Es gab am Dienstag 15 Festnahmen. Am Mittwoch gesellten sich sieben weitere dazu.

Am Sonntag hatten Flüchtlinge und Immigranten versucht, den Grenzzaun förmlich umzurennen. Sie erhofften sich auf diese Weise entweder, den direkten Weg für eine Weiterreise nach Nordeuropa zu öffnen oder mit ihrer Aktion ein Fanal zu setzen. Sie sollen über ein Flugblatt oder aber über gezielte Mundpropaganda der unter Generalverdacht stehenden freiwilligen Helfer agiert haben.

Der griechische Rundfunk meldete noch am Sonntag, dass Deutsche und Niederländer aus der EJR Mazedonien, speziell aus Gevgelija angereist seien und den Flüchtlingsaufstand organisiert hätten. Die Presse in Griechenland behauptet zudem, dass die Helfer versprochen hätten, den Flüchtlingen Molotowcocktails für eine Attacke auf den Grenzzaun zu liefern.

Die griechische Koordinationsgruppe für Flüchtlinge war gemäß ihres Sprechers Giorgos Kyritsis mit dem Einsatz der eigenen Polizeikräfte zufrieden. Die griechische Polizei habe, so die offizielle Verlautbarung, Schlimmeres verhindert. Während ein Teil der Flüchtlinge und Immigranten den Grenzzaun stürmten, schossen die Ordnungskräfte der EJR Mazedonien mit Tränengas und Blendgranaten, aber auch mit Plastikgeschossen bis ins Flüchtlingslager tief ins griechische Staatsgebiet hinein

„Die heute Geschundenen sind die Dschihadisten von morgen“

Ein gleiches Bild wie am Sonntag bot sich am Mittwoch. Diesmal probierten Marokkaner und Afghanen, den Zaun in Eidomeni einzureißen. Erneut schossen die Grenzer der EJR Mazedonien mit Gummigeschossen, Blendgranaten und Tränengas und wieder antworteten die Immigranten mit Steinen.

Diesmal jedoch griff die griechische Polizei aktiver ein. Die Einsatzpolizisten drängten sich zwischen die Fronten und verhinderten somit größere Ausschreitungen. Bürgerschutzminister Nikos Toskas fürchtet, dass die „heute Geschundenen die morgigen Dschihadisten sein werden“.

Es ist absehbar, dass die Ausweglosigkeit der Situation und die geschlossenen Grenzen immer wieder zum Ausbruchsversuch führen werden. Umso mehr ist die Regierung daran interessiert, die Schuldigen am Dilemma oder zumindest einen Sündenbock zu bestrafen.

Die Hexenjagd auf Solidarität

Die Allilegioi, „Solidarische“, genannten freiwilligen Helfer eignen sich für letztere Rolle besonders gut. Sie sind meist in kleinen Gruppen organisiert und anders als die Helfer der großen Hilfsorganisationen nicht unter dem Schutzmantel einer internationalen Organisation registriert.

Unter den am Dienstag zunächst Festgenommenen waren fünf Deutsche, zwei Briten, ein Niederländer, ein Österreicher, ein Portugiese, zwei Schweden, ein Tscheche und zwei Griechen. Einer der Deutschen hatte ein langes Messer dabei. Für ihn gab es nach der Verhaftung einen Gerichtstermin im September. Der nach der Erhebung der offiziellen Anklage frei Gelassene behauptet, das Messer, offenbar ein Küchenmesser, für die Zubereitung von Mahlzeiten für die Flüchtlinge mitzuführen. Es nutzt ihm nichts, er muss vor Gericht erscheinen.

Bis auf einen Griechen wurden alle anderen ohne Auflagen frei gelassen. Bei ihm waren Dutzende leerer Getränkeflaschen gefunden worden. Nach amtlicher Lesart war dies Material für die Herstellung von Molotow-Cocktails. Erst nach Stunden konnte der Unglückliche zweifelslos nachweisen, dass er schlicht Leergut einer in Idomeni aufgestellten Kantine mit sich führte.

Die Solidarischen versuchen, sich zu wehren. Sie informieren sich gegenseitig darüber, dass die von der Polizei auf freiem Feld durchgeführten Leibesvisitationen schlicht illegal sind. Dagegen beharrt Kyritsis darauf, dass die Polizeiaktionen nicht nur fortgeführt, sondern auch intensiviert werden.

Zu den insgesamt sieben Verhafteten des Mittwochs gehörte erneut eine Deutsche. Im Auto der Frau wurde Pfefferspray gefunden. In einem anderen Auto saßen zwei Norwegerinnen und ein Norweger, sowie eine Engländerin. Ihnen wurde unter anderem ein mitgeführtes Funkgerät zum Verhängnis. Dieses sei in der Lage Polizeifunk abzuhören, hieß es. Am Nachmittag wurde ein tschechisches Pärchen festgenommen. Hier bestand der Fund der Polizei aus einer kleinen Menge Haschisch und einem Messer.

Die medial und von Seiten der Regierung gescholtenen Solidarischen wehren sich nach Kräften. Sie berichten ihrerseits den griechischen Medien gegenüber von peinlichen Leibesvisitationen in aller Öffentlichkeit. Zusätzlich dazu kursieren die Bekanntmachungen zahlreicher Gruppen auch auf Englisch.

Die Jagd auf die Solidarischen ist nicht nur auf Idomeni begrenzt. Auch in Piräus werden die Helfer verdächtigt, den dort Campierenden von einer Fahrt in staatliche Camps abzuraten. Die Regierung hat in Piräus mehrsprachige Flyer verteilen lassen. Darin beteuert sie ihre Liebe zu den Flüchtlingen und Immigranten.

Piräus: anlaufende Räumung

Im mittlerweile an die chinesische Cosco verkauften Hafen läuft die schrittweise Räumung etwas schneller ab als in Idomeni. Das Passagierterminal E 3 ist bereits geräumt. Die dort Campierenden wurden zum Terminal E 1 gebracht. Täglich reisen einige der Flüchtlinge, vor allem Syrer ab. Ihnen wurde mit einem neuen Containerlager im Werftgebiet Skaramanga eine durchaus attraktive Alternative geboten. Trotzdem läuft die Räumungsaktion im Großen und Ganzen nur schleppend an. Die Regierung konnte ihr Versprechen, den Hafen bis zum 12. April zu räumen, nicht einhalten.

Die Solidarischen der steinernen Lagerhallen von Piräus haben sich daher mit einer Bekanntmachung an die Öffentlichkeit gewandt. Darin erklären sie, dass sie den Flüchtlingen und Immigranten weder die Abreise in staatliche Lager noch einen Aufruhr nahe legen würden. Vielmehr sei ihnen daran gelegen, dass die Menschen die Wahrheit über ihre Lage erfahren sollten.

Vereinbarung mit der Türkei funktioniert nicht

Und die ist alles andere als gut. Die Vereinbarung mit der Türkei scheint nach Aussagen des EU-Immigrationskommissars Dimitris Avramopoulos nicht zu funktionieren.

Schließlich landen die in die Türkei zurück Geschickten nicht in Lagern, sondern schlicht im Gefängnis. Aber auch in Griechenland ist der Staat nicht in der Lage, wie gefordert, innerhalb von 25 Tagen Asylverfahren abzuschließen.

Hoffnungslos überfüllte staatliche Lager

Per Gesetz müssen daher die zur Abschiebung vorgesehenen Immigranten aus den geschlossenen Abschiebegefängnissen entlassen werden. Sie hatten bei ihrer Verhaftung einen entsprechenden Antrag gestellt. Die ersten von ihnen waren direkt bei Inkrafttreten des neuen griechischen Asylrechts am 20. März in Haft. Sie müssen somit am 14., spätestens jedoch bis zum 15. April entlassen werden.

Es ist fraglich, wohin die Menschen, die sich laut geltendem Recht fortan frei im Land bewegen dürfen, dann gehen werden. In Athen sind auch die staatlichen Lager mittlerweile hoffnungslos überfüllt. Der ehemalige Flughafen Ellinikon platzt mit nunmehr mehr als 6.000 Insassen aus allen Nähten. Es gibt keine Klimatisierung der seinerzeit aus Sicherheitsgründen ohne Möglichkeit zur Fensteröffnung gebauten Terminalhallen.

Die Regierung wird damit, selbst wenn sie Piräus jetzt räumen kann, schnell wieder das gleiche Phänomen erleben. Denn meisten der bald frei Gelassenen sitzen auf den griechischen Inseln fest. Per Schiff werden sie höchstwahrscheinlich in Piräus ankommen.

Nach Lesbos wird dagegen am Samstag der katholische Papst Franziskus reisen, um dort mit dem orthodoxen Patriarchen Bartholomäos, dem Erzbischof von Athen und ganz Griechenland, Ieronymos II, und Premierminister Alexis Tsipras zusammenzutreffen. Die Kirchenfürsten möchten ihre Solidarität mit den Flüchtlingen demonstrieren.

500 Flüchtlinge werden Gelegenheit haben, dem Gipfeltreffen beizuwohnen. Kaum nachvollziehbar ist, dass die Regierung die Straßen und Gassen von Mytilene, der Hauptstadt Lesbos räumen lässt, damit die hohen Herren keine auf Straßen campierenden Flüchtlinge zu Gesicht bekommen.

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