11. April 2016 · Kommentare deaktiviert für „Neue Blaupausen aus Brüssel: Erste Einschätzungen von PRO ASYL“ · Kategorien: Europa · Tags:

Quelle: Pro Asyl

Die öffentliche Wahrnehmung der EU-Kommissions-Vorschläge zur Reformierung des EU-Asylsystems reduziert sich auf die Frage der Verteilung von Asylsuchenden in Europa. Ein erster Blick ins Papier zeigt aber: Unter der wohlklingenden Formel „mehr Europa“ verbirgt sich eine restriktive Vision. Es drohen massive Herabstufungen von Flüchtlingsrechten.

Keine Alternativen zu Dublin?

Die EU-Kommission präsentiert in ihrer 20-seitigen Mitteilung vom 6. April zwei Vorschläge für Änderungen im Asylsystem. Die erste Variante: Eine Ergänzung der Zuständigkeitsregelung um einen „Fairness-Mechanismus“, der als Korrektiv dienen soll. Im Falle der Überlastung eines Mitgliedstaats soll ein Notverteilungsmechanismus greifen, um den betroffenen Staat zu entlasten. Die Kommission erhofft sich von dieser Version, den Druck auf die Staaten an den Außengrenzen aufrecht zu erhalten, ihre Grenzen gegen Schutzsuchende abzuschotten. Die zweite Variante, die das Papier vorschlägt, bestünde in einem permanenten europäischen Verteilschlüssel.

Dabei handelt es sich um alte Konzepte, die schlussendlich keine tatsächliche Alternative zum dysfunktionalen Dublin-System darstellen. Unter dem Strich ist das gesamte Kommissionspapier darauf ausgerichtet, das Dublin-System zu retten – und zwar mittels massiver Sanktionierung von Schutzsuchenden.

Zwang zum Verbleib im festgelegten Aufnahmestaat

Die Kommission macht deutlich: die Reformen sollen vor allem dem Ziel dienen, Asylsuchende und anerkannte Flüchtlinge in EU-Mitgliedstaaten festzusetzen und dies mit Zwang durchsetzen. Wer weiterwandert – etwa weil Familienangehörige oder Communities in einem anderen Land leben – soll sanktioniert werden. Die Mitgliedstaaten sollen verpflichtet werden, Asylsuchende in den als verantwortlich ausgemachten Staat abzuschieben. Ob dabei auch die aktuell bestehende Möglichkeit, das Asylverfahren mit einem „Selbsteintritt“ doch im eigenen Land durchzuführen, gestrichen werden soll, bleibt unklar.
Massive Sanktionen bei Weiterreise

Im Falle einer Abschiebung in den für sie verantwortlichen Mitgliedstaat, sollen die betroffenen Asylsuchenden lediglich ein Schnellverfahren durchlaufen – und zwar ohne automatische aufschiebende Wirkung, sollte ein Rechtsbehelf gegen einen negativen Bescheid eingelegt werden. Außerdem sollen Abgeschobene, bei einer angeblich drohenden „Gefahr des Untertauchens“ Bewegungseinschränkungen innerhalb des zuständigen Mitgliedstaates auferlegt bekommen, materielle Aufnahmebedingungen sollen auf Sachleistungen beschränkt werden können.

Auch anerkannte Schutzberechtigte sollen an der Weiterreise in andere EU-Staaten gehindert werden – die Pflicht zur Rückübernahme von Statusinhaber*innen soll nun auch in der Dublin-Verordnung verankert werden. Eine „irreguläre Weiterwanderung“ könnte zu einer Überprüfung der Schutzbedürftigkeit und gegebenenfalls zum Entzug des Schutzstatus führen, so will es die Kommission. Darüber hinaus solle die Daueraufenthaltsrichtlinie so verändert werden, dass die Fünfjahresfrist jeweils erneut zu laufen beginnt, sobald ein anerkannter Schutzberechtigter den zuständigen Mitgliedstaat ohne Erlaubnis verlässt. Erst dann kann derjenige sich unter bestimmten Voraussetzungen in einem anderen Mitgliedsland niederlassen.

Widerrufsverfahren und Abschiebungen: Keine dauerhafte Schutzperspektive mehr

Geht es nach der Kommission, soll Schutz in Europa nur noch auf Zeit gewährt werden – nur so lange, wie das Risiko der Verfolgung oder ernsthaften Schadens fortbestehe. Mittlerweile führe die Gewährung von internationalem Schutz jedoch meist zu einem permanenten Aufenthalt. Regelmäßige Überprüfungen sollen Widerrufsverfahren Tür und Tor öffnen. Eine dauerhafte Schutzperspektive soll in Europa zur Ausnahme werden.

Die unterschiedlichen Verfahrens- und Aufnahmebedingungen in den einzelnen Staaten sollen nun durch ein gemeinsames Asylverfahren ersetzt werden, das die Kommission in einer neuen Verordnung festschreiben will. Zentral soll hierbei die gemeinsame Einstufung von „sicheren Herkunftsländern“ sein, um Schutzsuchende aus den entsprechenden Ländern möglichst in Schnellverfahren abzulehnen und abzuschieben. Eine Anpassung soll ebenso hinsichtlich der Festlegung von „sicheren Drittstaaten“ erfolgen – mit dem Ziel einer gemeinsamen Liste.

Programm zur Schwächung von Flüchtlingsrechten in Europa

Beim genaueren Hinsehen erweisen sich die „Reformvorschläge“ der Kommission als Programm zur Schwächung von Flüchtlingsrechten in Europa. Obwohl sich gezeigt hat, dass das Dublin-System grundlegend funktionsuntüchtig ist, wird nur an den Symptomen herumgedoktert – zu Lasten der Schutzsuchenden. Statt mit einer „großen europäischen Lösung“ haben wir es bei den Vorschlägen der EU-Kommission nur mit einer kollektiven Beschneidung von Flüchtlingsrechten zu tun.

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