09. April 2016 · Kommentare deaktiviert für Nein, das Boot ist noch längst nicht voll! · Kategorien: Deutschland · Tags:

Quelle: Grundrechtekomitee

Die Medien berichten über die Lage der Flüchtlinge in Idomeni, aber auch über die Situation derer in Piräus, Athen, auf den griechischen Inseln und anderswo. Wir sehen Kinder, die im Dreck, bei Regen, unter skandalösen Lebensbedingungen spielen, sehen die verzweifelte Lage von Familien und deren Versuche, einen sicheren Hafen zu finden. 60% der Flüchtlinge in Griechenland sind Frauen und Kinder (UNHCR). Berichte, die Anteilnahme hervorrufen. Inzwischen aber hindert die Polizei Journalist*innen immer häufiger daran, mit den Flüchtlingen zu sprechen und von deren Lage zu berichten.

Die europäischen Staatschefs haben entschieden, dass weder Mitleid noch Menschenrechte die Leitlinien europäischen Handelns sein können. Abwehr von Flüchtlingen bleibt das Ziel europäischer Politik und Negation europäischer Werte der Weg. Geltendes Recht wird außer Kraft gesetzt. Flüchtlinge dürfen zwar nicht in Länder abgeschoben werden, in denen ihnen politische Verfolgung oder die Gefahr einer Kettenabschiebung in das Verfolgerland drohen. Mit der Türkei aber wird ein menschenverachtender und völkerrechtswidriger Deal geschlossen, der die Flüchtlinge zur Ware macht. Die Türkei erhält Geld und wird zum sicheren Drittstaat erklärt, der für Flüchtlinge, aber auch für Kurden in der Türkei, höchst unsicher ist. Amnesty International berichtet, dass „die Türkei seit Januar fast täglich syrische Männer, Frauen und Kinder in Gruppen von bis zu 100 Menschen nach Syrien abgeschoben hat“. Völlig aussichtslos ist die Situation für die Flüchtlinge aus anderen Herkunftsländern, denen fast zwangsläufig Abschiebungen und Kettenabschiebungen drohen.

Die Flüchtlinge, die Europa keineswegs überfordern würden, werden aus Griechenland abgeschoben. Ihr individuelles Recht auf Asyl und rechtliches Gehör wird mit Füßen getreten. Wenige syrische Flüchtlinge, und nur syrische, erhalten im Gegenzug ein Ticket in eines der EU-europäischen Länder. Montag, 4. April 2016, begann die „Rückführung“ derjenigen, die zu Illegalen, zu illegal Eingereisten gemacht worden waren. Als hätten sie eine Chance, legal Schutz zu suchen, als wäre es illegal, Schutz in Europa zu suchen.

Daniel Deckers kommentiert für die FAZ: „Wer gefühllos zuschaut, wie Menschen unter Zwang in die Türkei zurückgebracht werden, die nach einer gefährlichen und womöglich qualvollen Odyssee sich, auf einer griechischen Insel angekommen, schon fast am Ziel ihrer Reise wähnten, der hat kein Herz.“ (4.4.2016) Dass Rechtsstaatlichkeit und Völkerrecht in der Türkei nicht garantiert sind, stellt er nicht in Abrede, die Versäumnisse der EU-Staaten erwähnt er und zieht dennoch den Schluss, dass die Sortierung in ,echteʻ Flüchtlinge, „Asyl- und andere Schutzberechtigte“, und „andere Migranten“ außerhalb Europas erfolgen müsse. Aber wieso muss diese Prüfung außerhalb und nicht innerhalb Europas erfolgen? Kommentar wie auch europäische Politik setzen dies voraus, ohne diese Frage auch nur im Ansatz beantworten zu wollen.

Dieses Europa, das in vielen Facetten und auf vielerlei Weise selbst beigetragen hat zu den Umständen, die heute Menschen in die Flucht treiben, muss endlich die Verantwortung für die eigene Politik übernehmen. Die Prüfung der Schutzbedürftigkeit von denen, die nach Europa geflohen sind, ist europäische Aufgabe. Legale Fluchtwege sind zu schaffen. Es muss schon zu denken geben, dass ausgerechnet der Chef der Grenzschutzbehörde Frontex, Fabrice Leggeri, in einem Interview mit der ZEIT die Dublin-Regelung als veraltet kritisiert und EU-Europa auffordert, „legale Wege für Flüchtlinge in die EU“ zu schaffen, „damit Europa seiner Verpflichtung nachkommt, Asylsuchenden Schutz zu gewähren“. Verblüffend ist es, dass der Chef der Organisation, die die Abschottung Europas zur Aufgabe hat, dieses Europa daran gemahnt, dass es „pure Verzweiflung“ sei, „die die Menschen nach Europa“ fliehen lässt.

Diese Abschottung Europas führt weiterhin zu immer mehr Toten in der Ägäis und in anderen Teilen des Mittelmeeres. Allein dieses Jahr sind laut pro asyl bereits 709 Menschen bei der Überfahrt umgekommen.

„Wer über gewissen Dingen den Verstand nicht verliert, der hat keinen zu verlieren.“ (Gotthold Ephraim Lessing) In Anbetracht der Ignoranz offizieller europäischer Politik muss ein Aufschrei deutlich machen: Dies geschieht nicht in unserem Namen! Angesichts der Lage der Flüchtlinge möchte man mit ihnen verzweifeln, besser aber ihren Protest unterstützen und hier fortführen. Insofern sind Aufrufe, die Flüchtlinge aus Idomeni und Griechenland jetzt aufzunehmen, Gebärden des Protests, die vom gleichzeitigen Wissen um ihre Vergeblichkeit getragen sind. Aber wenn diese Stimmen verstummen würden, dann stünde es wirklich schlecht um Europa.

Elke Steven (Referentin, Geschäftsstelle Köln)

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