07. April 2016 · Kommentare deaktiviert für „Schleuser profitieren von geschlossenen Grenzen“ · Kategorien: Balkanroute, Mittelmeerroute · Tags: ,

Quelle: Zeit Online

Die Bundespolizei sieht kaum Anzeichen dafür, dass durch das Abkommen mit der Türkei weniger Flüchtlinge in Griechenland ankommen. Schleuser reagierten mit neuen Routen.

Von Veronika Völlinger

Das Abkommen mit der Türkei hat nach Einschätzung deutscher Sicherheitsbehörden kaum Auswirkungen auf die Zahl neu ankommender Flüchtlinge in der Europäischen Union. „Die gegenwärtig rückläufigen Anlandungszahlen sind primär auf die schlechten Witterungsverhältnisse zurückzuführen und derzeit kein Indikator für die angestrebten Wirkungen von Maßnahmenpaketen“, zitierte die Welt aus einem unveröffentlichten Lagebericht der Bundespolizei zur Migration. Die Zahl der in Griechenland festsitzenden Menschen wächst laut dem Bericht weiter.

Dafür profitieren der Bundespolizei zufolge die Schleuser von geschlossenen Grenzen in Europa und dem Deal zwischen der EU und der Türkei. Die illegale Migration setze sich „nicht zuletzt aufgrund des hohen Kontrolldrucks partiell im Dunkelfeld“ fort, heißt es in dem Bericht. Zahlungsfähige und -willige Migranten treffen demnach auf Schleuser, die ihr Geschäft wieder aufnähmen und die Lage für sich ausnutzten.

Dass die Schleuser ihr Geschäft anpassen, ist auch an neuen Angeboten zu beobachten. Für ein vielfaches der bisherigen Preise böten Schleuser in sozialen Netzwerken mittlerweile neue Routen von der Türkei nach Italien an, berichtete Spiegel Online. Auch die Landroute über Bulgarien werde wieder verstärkt angeboten. Das UN Flüchtlingshilfswerk UNHCR meldete, dass am 31. März ein Boot mit 22 Menschen aus Syrien und Somalia von Griechenland nach Otranto, im Südosten Italiens, übergesetzt sei.

Laut dem Bericht der Bundespolizei sei allerdings „kaum festzustellen“, dass Flüchtlinge massenhaft auf Routen wie Albanien, Bulgarien oder das Schwarze Meer ausweichen. Staaten würden sich dennoch auf eine Verlagerung der Flüchtlingsrouten einstellen.

Über die zentrale Mittelmeerroute nach Italien seien dagegen in den ersten Monaten 2016 deutlich mehr Flüchtlinge gekommen als im Vorjahreszeitraum. Der Anstieg betrug dem Migrationsbericht der Bundespolizei zufolge 44 Prozent. UNHCR spricht sogar von einem Anstieg von mehr als 80 Prozent. Demnach seien in den ersten drei Monaten 2016 von Nordafrika nach Italien 18.784 Menschen gekommen.

Anstieg auf alternativen Routen

Aktuellere Zahlen bestätigen den Trend. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) beobachtet seit dem Inkrafttreten des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei am 20. März einen starken Anstieg alternativer Routen. So seien bis zum 3. April in Italien 700 Prozent mehr Flüchtlinge angekommen, in Bulgarien 378 Prozent. Das bedeutet auch wieder mehr Hilfseinsätze auf hoher See: Am Mittwoch rettete die italienische Küstenwache ein Boot mit mehr als 300 Menschen an Bord, das in Ägypten gestartet war.

Spiegel Online berichtete, dass Flüchtlingsschleuser auch die zentrale Mittelmeerroute wieder verstärkt in sozialen Netzwerken bewerben, etwa von Libyen aus. Diese Route gilt als gefährlicher. Westliche Geheimdienste schätzen, dass momentan 150.000 bis 200.000 Fluchtwillige in Libyen warten. Ein direkter Zusammenhang zu den Grenzabriegelungen auf dem Balkan ist aber nicht klar, weil es ist zurzeit praktisch unmöglich ist, von der Türkei auf dem Landweg nach Libyen zu kommen. Unter den Neuankömmlingen sollen kaum Syrer, sondern vor allem Menschen aus Nigeria, Gambia, dem Senegal, Mali und anderen westafrikanischen Staaten gewesen sein, meldete das UNHCR.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will als Reaktion auf die geänderten Routen, dass die EU auch mit nordafrikanischen Staaten über Abschiebeabkommen nach dem Vorbild des EU-Türkei-Deals verhandelt. Weil Libyen kein funktionierender Staat ist, sind Verhandlungen allerdings nicht möglich.

Wie sich die Zahl der in Europa ankommmenden Flüchtlinge entwickle, hängt nach Ansicht der Bundespolizei davon ab, wie erfolgreich die Vereinbarungen mit der Türkei umgesetzt werden. „Intensivierte Maßnahmen der türkischen Sicherheitsbehörden sind bislang nur punktuell erkennbar und führen bislang zu keiner Veränderung der Migrationslage“, heißt es in dem Lagebericht.

Gleichzeitig warnen die deutschen Sicherheitsbehörden davor, dass die Lage in überfüllten Flüchtlingslagern in Griechenland eskalieren könnte. „Ohne die zeitnahe Rückführung nicht schutzberechtigter Personen werden durch das Verbringen und Festhalten von Migranten in Aufnahme- oder Rückführungseinrichtungen gewaltsame Ausschreitungen voraussichtlich weiter zunehmen“, heißt es in dem Papier.

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