07. April 2016 · Kommentare deaktiviert für „Flüchtlingsrouten nach Europa: Schmuggler locken mit neuen Angeboten“ · Kategorien: Balkanroute, Mittelmeerroute · Tags:

Quelle: Spiegel Online

Schlepper versuchen, aus dem EU-Abkommen mit der Türkei Kapital zu schlagen. In sozialen Netzwerken ködern sie Flüchtlinge und Migranten mit neuen Routen nach Europa – die aber teurer und riskanter sind.

„Was ist der beste Weg?“, „Geht die Grenze in Griechenland wieder auf?“, „Wie viele kommen derzeit durch Griechenland durch?“ In Facebook-Gruppen von arabischsprachigen Menschen, die nach Europa wollen, häufen sich solche Fragen.

Von denjenigen, die dort schreiben, weiß kaum einer, dass die EU und die Türkei inzwischen ein Flüchtlingsabkommen getroffen haben. Aber sie sehen, dass es wie bisher nicht mehr nach Europa geht: Die Bilder der Menschen, die im Lager Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze festsitzen, gingen um die Welt.

Schleuser ködern deshalb in den sozialen Netzwerken mit neuen Routen. „Wir bieten Bootsfahrten von der Türkei nach Italien für 6000 Dollar pro Person“, wirbt ein Schmuggler in der Türkei. Ein anderer bietet Bootsfahrten vom türkischen Mersin nach Italien ab 4500 Euro an.

Zum Vergleich: Die Überfahrt von der Türkei auf die griechische Inseln kostete bislang mindestens 700 Dollar. Der illegale Weg nach Europa wird nun noch mehr als bisher zum Privileg der Wohlhabenderen, während das europäisch-türkische Abkommen zumindest syrischen Flüchtlingen nun einen sicheren, legalen Weg nach Europa öffnet.

Die Schmuggler passen flexibel ihre Angebote an

Ein Schmuggler in der Türkei, der sich Abu Wail nennen lässt, lockt in sozialen Netzwerken gleich mit einer ganzen Reihe neuer, teurer Angebote: „Meine syrischen und irakischen Brüder in der Türkei. Wie soll man den Problemen in Griechenland und Mazedonien sowie dem Risiko des Meeres entkommen? Es gibt die Möglichkeit, sicher und komfortabel zu reisen von Istanbul bis nach Sofia in Bulgarien im Auto ohne auch nur einen Schritt zu Fuß zu gehen“, wirbt er. „Für Erwachsene kostet dies 2500 Euro pro Person, und für Kinder unter zehn Jahren ist es der halbe Preis. Kinder unter vier Jahre reisen gratis. Diese Reisen sind speziell für Familien und Gruppen gedacht“, heißt es weiter.

„Ist das der Preis nur bis Sofia oder die komplette Reise?“, fragt ein Iraker aus Bagdad. „Nur bis Sofia“, antwortet der Schmuggler – und bietet Alternativen an: „Mit ungefähr zwei Stunden Fußmarsch von Istanbul nach Sofia in Bulgarien für 1800 Euro“ oder „mit weniger als zwei Stunden Fußmarsch und ohne Flussüberquerung für 2000 Euro von Istanbul nach Griechenland“. Reisen von Griechenland nach Deutschland kosten zwischen 2500 und 3000 Euro.

Die neuen Angebote zeigen, wie schnell sich die Schmuggler auf neue Entwicklungen einstellen. Der Landweg von der Türkei aus war vor ein paar Jahren schon einmal die attraktivere Option als die gefährliche Reise mit Booten über das Meer. Als Griechenland und Bulgarien Zäune entlang ihrer Landgrenzen errichteten und gleichzeitig die Ägäis-Balkanroute relativ mühelos von den Flüchtlingen zu absolvieren war, änderten sie ihr Angebot – und nun offenbar wieder.

Gefährlichere Routen werden wieder attraktiver

Abu Suar, ein Schmuggler im Libanon, wirbt in den sozialen Netzwerken mit einer anderen, hochriskanten Option: „Nach der Schließung der Balkanroute bieten wir Flüge an vom Libanon, von Syrien und Jordanien in den Sudan und Libyen nach Italien“, wirbt er.

Ein Syrer, der angibt, früher in einem der großen Hotels von Damaskus angestellt gewesen zu sein und nun im Libanon zu leben, fragt nach dem Preis. „2600 Dollar pro Person“, antwortet der Schmuggler. „Du fliegst in den Sudan. Dort wird dich jemand am Flughafen abholen und weiter nach Libyen bringen.“ Der Sudan ist eines der wenigen Länder, in das Syrer noch ohne Visum einreisen können, daher der Umweg.

Der Weg über Libyen nach Italien wird als zentrale Mittelmeerroute bezeichnet. Sie gilt als gefährlicher als die Ägäisroute, weil der Weg über das Meer rund hundertmal so lang ist. Im vergangenen Jahr wurde sie im Vergleich zur südöstlichen Mittelmeerroute über die griechischen Inseln und den Balkan weniger genutzt. Das könnte sich 2016 wieder ändern.

Die neuen Routen spiegeln sich bereits in den jüngsten Zahlen der „Internationalen Organisation für Migration“ (IOM) wider. Als Trends seit dem 20. März, also dem Tag, an dem das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei in Kraft trat, notiert die IOM an Neuankömmlingen: Italien – plus 700 Prozent, Bulgarien – plus 378 Prozent, Zypern – plus 270 Prozent. Im Vergleich dazu blieb die Lage in Griechenland mit plus 24 Prozent fast unverändert – und das, obwohl normalerweise mit Beginn des Frühlings die Zahlen immer steigen.

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