01. April 2016 · Kommentare deaktiviert für „Flüchtlinge als Informanten: Asyl vom BND“ · Kategorien: Deutschland · Tags:

Quelle: Zeit Online

Wie vielen Flüchtlingen hat der BND Asyl ermöglicht? Die Regierung hat Zahlen veröffentlicht, der Umfang der umstrittenen Methode ist aber noch immer nicht klar.

Von Kai Biermann und Christian Fuchs

In den vergangenen 15 Jahren haben mindestens 1.000 Flüchtlinge in Deutschland Asyl erhalten, weil sie deutschen Geheimdiensten und Polizeibehörden Hinweise und Informationen gaben. Das zeigen Zahlen der Bundesregierung, die sie als Antwort auf zwei Kleine Anfragen der Linkspartei veröffentlicht hat. Gleichzeitig belegen die Daten, dass alle deutschen Sicherheitsbehörden Migranten als Informationsquelle nutzten und dass diese umstrittene Art der Abschöpfung trotz anderslautender Beteuerungen nicht beendet wurde.

Von 1958 bis 2013 betrieb der Bundesnachrichtendienst eine getarnte Organisation namens Hauptstelle für Befragungswesen (HBW). Sie sollte nach Deutschland eingereiste Migranten befragen und so Informationen über verschiedene Regionen der Welt sammeln. Die HBW kooperierte dazu mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und horchte die Menschen verdeckt aus. Bei vielen Gesprächen waren auch amerikanische Geheimdienstmitarbeiter anwesend, ohne dass dies den Befragten klar war.

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Quelle: Antwort der Bundesregierung 18/7399, Antwort der Bundesregierung 18/7929

Gaben Geflüchtete bei den Gesprächen interessantes Wissen preis oder wurden sie sogar vom BND als Quelle angeworben, dann bat der Nachrichtendienst das Bamf anschließend darum, ihnen Asyl zu gewähren. Der Kontakt zum deutschen Geheimdienst würde für sie ansonsten Folter, Bestrafung oder den sicheren Tod bedeuten, würden sie wieder in ihre Heimat abgeschoben, lautete die Begründung. Geheimdienstinformanten unter den Flüchtlingen werden durch dieses Vorgehen schon seit 1972 geschützt, gab die Regierung jetzt bekannt. Intern wurden diese Vorgänge Interventionsfälle genannt.

Diese Praxis wurde im Rahmen des NSA-Untersuchungsausschusses des Bundestages bekannt. Genau wie die Tatsache, dass nicht nur der BND auf diese Art Informationen abschöpfte, sondern auch der Verfassungsschutz, die Landeskriminalämter, der Zoll und Landespolizeibehörden. Der Umfang dieser geheimen Informationsbeschaffung lässt sich nun erst anhand der veröffentlichten Zahlen ersehen. Demnach haben deutsche Sicherheitsdienste in den Jahren 2000 bis 2015 in insgesamt 998 Fällen interveniert.

Die große Mehrheit entfällt mit 842 Interventionsfällen auf den BND. An zweiter Stelle kommen die Landesämter für Verfassungsschutz mit insgesamt 45 Fällen, dann verschiedene Landespolizeien mit 42 Fällen. „Erstaunlich ist, in welchem Ausmaß auch Landesbehörden Flüchtlinge unter Druck setzten“, sagt Martina Renner. Die Abgeordnete der Linkspartei sitzt im NSA-Ausschuss und hat die Kleinen Anfragen gestellt. Sie findet es „höchst suspekt, wenn Geheimdienste, Zoll und Polizei Schutzsuchenden im Falle einer Zusammenarbeit Aufenthaltstitel versprechen, zumal damit die Qualität der gewonnen Informationen äußerst fragwürdig ist“.

Die Sorge ist nicht unberechtigt. Flüchtlinge, die sich Hilfe in ihrem Asylverfahren erhoffen, erzählen sicher alles, was der Fragende hören will. Der dramatischste Fall dieser Art ist der des Informanten mit dem Tarnnamen Curveball. Dessen Lügen führten letztlich 2003 zum Krieg der USA gegen den Irak.

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Quelle: Antwort der Bundesregierung 18/7399, Antwort der Bundesregierung 18/7929

Die Zahlen zeigen auch, für welche Regionen der Welt sich der Bundesnachrichtendienst und andere Behörden interessieren: Es sind vor allem der Nahe und Mittlere Osten. In den Jahren 2000 bis 2005 waren es außerdem die GUS-Staaten, die früheren Teilrepubliken der Sowjetunion mit Ausnahme der drei baltischen Staaten. Insgesamt 121 Interventionsfälle gab es bei Geflüchteten aus den GUS-Staaten. 2005 existierte zudem ein starkes Interesse für Afrika und Asien – es war das Jahr der Bombenanschläge in Scharm al-Scheich, London und Bali.

Allein nach der Zahl betrachtet fanden die meisten dieser verdeckten Befragungen in den Jahren 2000 bis 2004 statt. Mehr als die Hälfte der Interventionsfälle entfällt auf diesen Zeitraum.

Zu dieser Zeit begannen auch die verdeckten Aktionen und Drohnenangriffe von US-Luftwaffe und CIA im Jemen, in Pakistan und Somalia. Die Hauptstelle für Befragungswesen des BND kooperierte eng mit dem Militärgeheimdienst der Vereinigten Staaten, der Defense Intelligence Agency (DIA). Der BND führte dem US-Dienst Flüchtlinge als Informanten zu oder teilte die gewonnenen Informationen mit ihm. Vier amerikanische Agenten saßen zuletzt sogar bei der HBW und durften die Flüchtlinge selbst für ihre Zwecke befragen. Die so gewonnen militärisch relevanten Informationen sollen auch dazu genutzt worden sein, Ziele für amerikanische Drohnen im Nahen Osten und in Afrika aufzuspüren. Die Bundesregierung dementiert, dass die abgefischten Daten militärisch genutzt wurden. Aussagen des amerikanischen Drohnenpiloten Brandon Bryant im NSA-Untersuchungsausschuss lassen aber Zweifel an diesem Dementi zu.

Das Bamf als williger Helfer des BND

Die neuen Daten zeigen auch, wie hörig das Flüchtlingsamt den Sicherheitsdiensten gegenüber war. Das Bamf gewährte fast in jedem der annähernd 1.000 Interventionsfälle Asyl. Nur 2002 lehnte das Amt zwei Mal die Anerkennung von „Nachfluchtgründen“ für zwei Personen aus den GUS-Staaten und vom Balkan ab. Sie erhielten kein Aufenthaltsrecht in Deutschland, trotz ihres Kontaktes zum Geheimdienst.

Offiziell hat der Bundesnachrichtendienst die heimliche Befragung in Erstaufnahmeeinrichtungen 2013 beendet. Wie die Zahlen zeigen, scheint die Bedeutung auch vorher schon abgenommen zu haben. Ab 2006 gab es pro Jahr nur noch ungefähr 50 Interventionsfälle. Ganz aufgegeben aber haben die Dienste diese Methode nicht. Recherchen von DIE ZEIT und ZEIT ONLINE zeigten, dass BND und Verfassungsschutz weiter in Flüchtlingsunterkünften stationiert sind und nach wie vor Asylbewerber als Quellen rekrutieren. Das räumt die Regierung nun indirekt auch ein und schreibt: Der Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz würde auch heute noch „in Einzelfällen anlassbezogene Kontaktaufnahmen mit Asylsuchenden“ durchführen. In den zwei Jahren nach dem Ende der Befragungsstelle 2014 und 2015 meldete der BND außerdem acht Kontaktaufnahmen zu Flüchtlingen aus dem Nahen Osten an das Bamf, der Verfassungsschutz eine.

Ob das Bild dieser umstrittenen Abschöpfungsmethode damit nun endlich vollständig ist, lässt sich auch nach Veröffentlichung der Zahlen nicht sagen. Bei ihrer Betrachtung (hier alle Zahlen als GoogleDoc) fällt eine Diskrepanz auf. Die Bundesregierung hat die Interventionsfälle ein Mal nach den Behörden aufgelistet, die die Befragung durchgeführt hatten, ein zweites Mal nach der Herkunft der Befragten. Zwischen beiden Statistiken gibt es jedoch eine Differenz. Demnach haben die Behörden 998 Menschen befragt, aber nur für 803 Interventionsfälle gibt es Auskunft zur Herkunft der Befragten. Wie die Abweichung von 195 Fällen zustande kommt, erklären die Antworten der Bundesregierung auf die parlamentarischen Anfragen der Linken nicht.

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