15. Februar 2016 · Kommentare deaktiviert für „Merkels Nato-Plan in der Ägäis muss sitzen“ · Kategorien: Balkanroute, Deutschland, Europa, Griechenland, Österreich, Türkei · Tags: , ,

Quelle: Die Welt

Merkels neuer Plan geht so: Mit deutscher Unterstützung soll die türkische Küstenwache Boote zurück an die eigene Küste schleppen. Scheitert auch dieses Vorhaben, scheitert die Kanzlerin.

Als am 9. Januar um 10 Uhr morgens der Einsatzgruppenversorger „Bonn“ von Wilhelmshaven aus in See stach, ahnten weder Flottenadmiral Jörg Klein noch die 220 Männer und Frauen an Bord, auf welche Mission sie bald gehen sollten. Denn der schwimmende Koloss, der nicht nur über zwei Helikopter und Geschütze, sondern über ein ganzes Krankenhaus an Bord verfügt, wird mitnichten nur „an mehreren internationalen Manövern im Mittelmeer teilnehmen“, wie die Bundeswehr damals mitteilte.

Am Montag änderte der Kapitän überraschend den Kurs in Richtung Osten. Ziel: die Ägäis. In der Meerenge zwischen der Türkei und Griechenland soll die „Bonn“ mit zehn weiteren Schiffen des „2. Ständigen Marineverbands“ der Nato die Flüchtlingsbewegungen überwachen.

Das mächtigste Militärbündnis der Erde ist also angetreten, um die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel zu verteidigen. Denn die Kanzlerin braucht jetzt schnell Erfolge. In dieser Woche muss sie in Brüssel die anderen Staats- und Regierungschefs auf einem EU-Gipfel doch noch von ihrer „europäischen Lösung“ überzeugen. Sonst wird sie dem Druck, Flüchtlinge auch an der deutschen Grenze zurückzuweisen, nicht mehr lange standhalten können.

Merkel geht die Zeit aus. Davon zeugt ihr Überraschungs-Coup mit der „Bonn“. Denn eigentlich geht es nur um eine Zusammenarbeit der griechischen und der türkischen Küstenwache. Schon im vergangenen September wollte Merkel diese erreichen, im Oktober hatte sie den linkspopulistischen griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras schon einmal so weit. Doch dann stellte sich dessen rechtsnationalistischer Koalitionspartner in den Weg. Wegen uralter Streitereien um unbedeutende Inselchen könne man mit den Türken nicht zusammenarbeiten.

Türke tätschelt Altmaier

Merkel erwog eine Mission unter Führung der EU-Grenztruppe Frontex und zeitweise sogar der deutschen Küstenwache. Der Türkei wurden drei Milliarden Euro versprochen und Griechenland zwei zugedrückte Augen der Euro-Partner bei verschleppten Reformen des Rentensystems. Dann erst erklärten sich die beiden verfeindeten Länder bereit, unter dem Dach der Nato zusammenzuarbeiten.

Der Plan geht so: Der hochmodern ausgerüstete Marineverband unter deutscher Führung überwacht die Flüchtlingsbewegungen und informiert die türkische Küstenwache sofort über auslaufende Schlepperboote. Die bringt sie auf, bevor sie türkische Gewässer verlassen, und zurück an die eigene Küste. Die Flüchtlinge und Migranten kämen also gar nicht mehr auf griechischen Boden, um sich von dort auf die Balkanroute nach Österreich und Deutschland zu machen.

„Wir werden die Flüchtlinge in der Türkei aufnehmen“, versprach Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu am Freitag dem Kanzleramtsminister und Flüchtlingskoordinator Peter Altmaier in München bei der Sicherheitskonferenz. „Aber nur gegen kontrollierte Migration“, fügte er an – Flüchtlinge sollen im Gegenzug direkt von der Türkei nach Europa gebracht werden. Nicht nur der kameradschaftliche Ton, den Çavuşoğlu anschlug, erstaunte die versammelten internationalen Diplomaten, sondern auch die Körpersprache: Mehrmals griff der Türke nach Altmaiers Oberarm, ja tätschelte den Kanzleramtsminister fast. Hier wollte einer bewusst den Eindruck erwecken: Wir sind uns einig.

240.000 Flüchtlinge aus der Türkei nach Deutschand fliegen

Der Hintergrund: Ein von Deutschen und Türken verhandeltes „Umsiedlungsprogramm“ soll am Donnerstag in Brüssel bei einem Treffen der sogenannten „Koalition der Willigen“ wenigstens in einer Vorstufe beschlossen werden. Die „Willigen“ treffen sich schon am Vormittag in der österreichischen Vertretung in Brüssel: Dreizehn Länder hat Merkel zusammenbekommen, darunter auch die wichtigen Partner Frankreich und Italien. Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu reist auch an.

Welchen Umfang das „Umsiedlungsprogramm“ hat, steht noch nicht fest. In einem Entwurf, aus dem die „Frankfurter Allgemeine“ berichtete, ist davon die Rede, 650 Flüchtlinge pro Tag aus der Türkei nach Deutschland zu fliegen. Das wären 240.000 im Jahr. Aus damit befassten Stellen der Bundesregierung heißt es jedoch, dies sei nicht der aktuelle Stand der Überlegung, vielmehr sei statt fester Werte an ein „atmendes System“ gedacht, also eines mit flexiblen Zahlen. Die Türkei will nämlich, dass die EU sich auf eine Mindestzahl und darüber hinaus auf einen festen Anteil verpflichtet. Kämen wegen des eskalierenden Krieges mehr Syrer in die Türkei, würden auch mehr nach Europa weitergeleitet.

Deutschland hingegen möchte gern eine Art Strafmechanismus installieren. Steigt die Zahl illegaler Grenzübertritte nach Europa über eine gewisse Marke, soll automatisch die Zahl der legalen Flüchtlinge im Flugzeug sinken. Noch keine Einigkeit herrscht über den Start des Gesamtpakts: Wie dicht muss die europäische Außengrenze schon sein, bevor es losgehen kann? Wie willig Europas „Willige“ wirklich sind, wird sich zeigen. Am Samstag erst lehnte der französische Premier Manuel Valls eine Kontingentlösung strikt ab.

Sozialleistungen für Flüchtlinge europaweit angleichen

Auf dem EU-Gipfel am Freitag soll immerhin die Verstärkung der EU-Außengrenzen betont werden. Nach Informationen der „Welt am Sonntag“ steht in dem vom polnischen Ratspräsidenten Donald Tusk verfassten Entwurf der Abschlusserklärung auch das Ziel, die Sozialleistungen für Flüchtlinge europaweit anzugleichen. Das EU-Parlament in Straßburg will zudem bis zum Sommer die gesetzlichen Grundlagen dafür schaffen, dass die griechische Grenze von der EU-Truppe Frontex kontrolliert werden kann.

Reicht das? Davon sind in Europa immer weniger überzeugt. Deshalb treffen sich nicht nur die „Willigen“, sondern auch die „Unwilligen“: Ungarn, Tschechien, Polen und die Slowakei glauben nicht an den Merkel-Plan und wollen lieber selbst die Balkonroute schließen, indem sie Mazedonien mit Polizisten aushelfen und dann die Grenze zu Griechenland abgeriegelt werden kann. Ein entsprechender Zaun wird schon gebaut.

Gefährlicher als die Osteuropäer, die sich um ihren „Gegen-Kaiser“ Viktor Orbán aus Ungarn scharen, sind für Merkel jedoch Überläufer aus den eigenen Reihen: „Die Österreicher sind nur noch formal an unserer Seite“, klagt ein deutsches Regierungsmitglied. „Erst ist die ÖVP umgefallen und jetzt auch Faymann.“ Der sozialdemokratische Alpenkanzler hat im vorigen September sowohl die Politik der offenen Grenzen als auch die „Willkommenskultur“ miterfunden. Aber nun will sein Land in den nächsten Tagen ein Tageskontingent einführen. Das heißt, deutlich weniger Asylsuchende werden ins Land gelassen.

Österreich schaut nicht mehr länger zu

Um einen Stau zu vermeiden, werden es die Westbalkanstaaten den Österreichern gleichtun müssen. In der mazedonischen Hauptstadt sagte Österreichs Außenminister Sebastian Kurz am Freitag, das Land müsse seine Grenze zu Griechenland notfalls komplett für Flüchtlinge abriegeln: „Mazedonien muss darauf vorbereitet sein, den Zustrom vollständig zu stoppen, weil es das erste Land nach Griechenland ist.“ Dabei würde Wien auch helfen und Polizisten und Soldaten entsenden.

Selbst in der eigenen Regierung glauben immer weniger an den Merkel-Plan. Die Alternative – vorgelagerte scharfe Grenzkontrollen auf dem Balkan – findet immer mehr Anhänger in allen drei Berliner Koalitionsfraktionen, vor allem aber im Bundesinnenministerium. Wenn Deutschland schon nicht an seiner Grenze zu Österreich eingreifen möchte, solle man zumindest in Mazedonien helfen, heißt es dort.

Der Druck auf Griechenland müsse erhöht werden, damit Athen der Pflicht zur Sicherung der EU-Außengrenze endlich nachkomme. Das Kanzleramt lehnt einen solchen Schritt, der einer Grenzschließung innerhalb Europas gleichkommt, weiter kategorisch ab. In der Euro-Krise wurde an Griechenland zu hohen Kosten festgehalten – jetzt möchte man das Land nicht vorschnell fallen lassen.

Gemeinsam will die große Koalition immerhin daran arbeiten, die Anreize für Flüchtlinge, nach Deutschland zu kommen, weiter abzubauen. Nach Informationen der „Welt am Sonntag“ wollen sich Vertreter von Union und SPD in dieser Woche treffen, um das nächste Asylpaket zu schnüren. Weitgehend einig ist man sich darüber, die Ansiedelung von Flüchtlingen besser zu steuern. Metropolen sollen mit der Integration von Asylsuchenden nicht alleingelassen werden. Deutschlandweit soll die Last besser verteilt werden, insbesondere auf ländliche Räume.

Drohung mit Klage gegen Merkel

Denn während die Bundesregierung noch auf gesunkene Flüchtlingszahlen verweist, bereiten sich die Länder schon auf deren Wiederanstieg vor. Im Frühjahr, wenn die Ägäis sicherer und der Balkan wärmer ist, werden wieder mehr Menschen kommen, glauben alle. Von 16 Bundesländern planen deshalb zehn ihre Plätze in landeseigenen Erstaufnahmeunterkünften in den kommenden Monaten auszubauen.

Trotz Hoffnungsschimmer bleibt die Gesamtlage für Merkel also düster: Sie hat ihr Konzept in Europa nicht durchsetzen können und steht auch in Deutschland zunehmend allein. Die „Zwischenbilanz“ ihrer Flüchtlingspolitik, die sie im Januar für die Zeit nach dem EU-Gipfel angekündigt hatte, fiele mau aus. Doch Merkel wird sie vielleicht gar nicht ziehen müssen. Das verdankt sie ausgerechnet ihrem ärgsten Widersacher: CSU-Chef Horst Seehofer. Der bayerische Ministerpräsident hat in den vergangenen Tagen eine spektakuläre Wende vollzogen.

„Wir werden sehen, wie die internationalen Bemühungen ausgehen“, hatte Seehofer noch Anfang Februar in einem Fernsehinterview gedroht, „und wenn sie negativ ausgehen, dann werden wir versuchen, unsere Position rechtlich beim Bundesverfassungsgericht durchzusetzen.“ Auch einen Termin nannte Seehofer: „Wenn, dann müssten wir bis Ende Februar die Klage einreichen.“ Davon gingen bis zuletzt alle in in der Bundesregierung, aber auch in der bayerischen Staatsregierung aus.

„Herrschaft des Unrechts“

Doch am Donnerstag entschied der Ministerpräsident sich urplötzlich um. Er fuhr an diesem Tag weder in die Staatskanzlei, noch absolvierte er öffentliche Termine, sondern blieb zu Hause – „in Klausur mit sich selbst“ nennen sie so etwas in München halb spöttisch, halb ängstlich. Denn selbst Vertraute staunten am Freitagmittag über ihren Chef. Seehofer wolle doch erst nach den Landtagswahlen am 13. März entscheiden, ob er klage, meldeten auf einmal die Agenturen.

Damit bleibt Merkel nicht nur die heikle Zwischenbilanz in der kommenden Woche erspart, sondern vielleicht sogar wegen Fristverzug die Klage. Den Brief der bayerischen Landesregierung in dieser Sache hat sie seit 14 Tagen nicht beantwortet.

Seehofers Kehrtwende blieb am Wochenende das große Rätsel in Berlin wie in München. Tage zuvor hatte er doch mit einem Besuch bei Wladimir Putin die Autorität Merkels angegriffen und in einem Interview die „Herrschaft des Unrechts“ in Deutschland beklagt. Das öffentliche Echo auf beide Aktionen war freilich verheerend. Am Mittwoch telefonierten Merkel und Seehofer, auch die „Herrschaft des Unrechts“ kam dem Vernehmen nach zur Sprache. Danach überlegte Seehofer neu.

Mitarbeit: Peter Issig,

Christoph Schiltz, Thorsten Jungholt

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