20. November 2015 · Kommentare deaktiviert für „Western Union : Die Geldverschicker“ · Kategorien: Lesetipps

Quelle: Zeit Online

Western Union ist die Hausbank der Flüchtlinge – und mancher Menschenschmuggler. Porträt eines umstrittenen Finanzdienstleisters

Von Caterina Lobenstein und Arne Storn

Als Jassin Salim* mit durchnässten Kleidern aus dem Schlauchboot stieg, trug er noch genau 50 Dollar am Leib. In einer schwarzen Bauchtasche aus Nylon, fest um die Hüften geschnallt. Salim hatte es nach Europa geschafft, auf die griechische Insel Lesbos. Er war am Leben, aber noch nicht am Ziel. Um weiterzureisen, um die Fähren und Busse, die Züge und Taxis zu bezahlen, die ihn über den Balkan nach Deutschland bringen sollten, brauchte Salim Geld. 1.200 Dollar hatten die Schleuser in der Türkei ihm abgenommen, fast alles, was er bei sich hatte. Also tat er, was viele Flüchtlinge tun, wenn sie pleite sind: Er ging zu Western Union. Denn Western Union ist überall.

550.000 Filialen in fast 200 Ländern hat das Unternehmen – 15-mal mehr als McDonalds. Die Schalter mit dem schwarz-gelben Logo stehen auf den griechischen Inseln und in der usbekischen Steppe, in peruanischen Bergdörfern und chinesischen Metropolen, im Flughafen von Dubai und im Hamburger Hauptbahnhof. Man findet sie nicht in Glaspalästen, sondern in Postfilialen, Handyshops und Internetcafés. Western Union ist das Schmuddelkind der Finanzbranche. Aber der Konzern birgt ein Versprechen, das Millionen Kunden lockt: Bargeld überall auf der Welt zu verschicken und zu empfangen, selbst dann, wenn man kein Konto hat. Einfach, sicher und schnell.

Keine zehn Minuten dauert es, bis Jassin Salim in der Western-Union-Filiale auf Lesbos sein Geld bekommt. Sein Bruder überweist es ihm, ein Arzt, der in Saudi-Arabien lebt. Er schickt Salim einen Zahlencode, und der löst ihn am Schalter ein.

Salim ist ein kleiner Mann mit sauberem Hemd und rasierten Wangen, 42 Jahre alt, verheiratet, Syrer, einer von Tausenden, die ihre Heimat verlassen haben, um nach Deutschland zu fliehen, und die auf dieser Flucht nicht nur essen, trinken und schlafen müssen, sondern auch Geld abheben.

Viele Flüchtlinge haben kein Bankkonto. Western Union ermöglicht ihnen trotzdem Geldtransfers. Und so wachsen entlang der Fluchtrouten die Schlangen vor den Filialen des Konzerns: in Thessaloniki und Belgrad, in Budapest und Wien.

Die Flüchtlinge sind für Western Union ein gutes Geschäft, wenn auch bei Weitem nicht das größte. Die wichtigsten Kunden des Konzerns sind Migranten, die angekommen sind. Die einen Job gefunden haben und einen Teil ihres Lohns in die Heimat schicken: Mexikaner, die in Texas Teller waschen, Senegalesen, die in Italien Tomaten ernten, Iraker, die in Deutschland Taxi fahren.

Mehr als 580 Milliarden Dollar haben Migranten im vergangenen Jahr laut Weltbank in ihre Heimatländer geschickt. Der größte Teil dieses Geldes wird in ärmere Regionen der Welt überwiesen – und fast jeder fünfte Dollar davon mit Western Union. Es gibt Entwicklungsländer, deren Wirtschaft ist von diesen Überweisungen so abhängig wie Deutschland von seinen Exporten. Doch ein Teil des Migrantengeldes kommt gar nicht erst in deren Heimat an. Weil Western Union oft hohe Gebühren verlangt.

Um 150 Euro in bar von Deutschland nach Jordanien zu schicken, kassiert der Konzern insgesamt gut 15 Prozent des Überweisungsbetrags. Nach Nigeria sind es mehr als zwölf, nach Serbien knapp zehn Prozent. Zu viel, findet die Weltbank. Ihre Experten haben berechnet, wie viel den Entwicklungsländern durch die Gebühren entgeht: 20 Milliarden Dollar. Pro Jahr.

Auf dem Balkan wuchs der Konzern rasant

Vor einigen Jahren gab es eine Onlinepetition gegen Western Union: „Stoppt die exorbitanten Gebühren“ hieß die Kampagne des internationalen Netzwerks Avaaz, fast 400.000 Menschen unterzeichneten sie. Doch Western Union ist nicht nur umstritten, weil es an Menschen verdient, die wenig haben. Sondern auch, weil es schmutziges Geld verschickt: das von Menschenschmugglern zum Beispiel.

Dabei fing alles ganz harmlos an. Als Western Union 1851 gegründet wurde, versendete sie kein Geld, sondern Telegramme, Börsenticker und Faxe. Das Unternehmen war eine Telegrafengesellschaft. 1871 bot es erstmals jenen Service an, in dem es heute Weltmarktführer ist: Bargeldtransfers, zunächst nur innerhalb der USA. Es dauerte noch mehr als hundert Jahre, bis Western Union damit begann, Überweisungen weltweit anzubieten.

Die Entscheidung kam zum richtigen Zeitpunkt. Es war in den 1980er Jahren, Western Union steckte in einer Krise und wurde aufgekauft. Doch mit der Globalisierung stieg die Zahl der Migranten, immer mehr Auswanderer schickten immer mehr Geld in ihre Heimat, um Verwandte und Freunde zu unterstützen. Von 1990 bis 2000 verdoppelte sich die Summe der Rücküberweisungen weltweit, von 2000 bis 2010 vervierfachte sie sich sogar. Western Union wurde wieder eigenständig. 2006 ging der Konzern an die Börse.

Immer engmaschiger wurde das Netz, das Western Union um den Globus spannte. Statt eigene Büros mit eigenen Mitarbeitern einzurichten, nistete sie sich bei fremden Firmen ein: in Banken und Postfilialen, in Lebensmittelgeschäften und Zeitungskiosken. Deshalb hat Western Union heute zwar eine halbe Million Filialen, aber nur 10.000 feste Mitarbeiter.

In der Fläche wuchs der Konzern vor allem durch Verträge mit Banken und Postfirmen. Er bekam Zugang zu deren Filialnetz – und konnte sich so auf einen Schlag ganze Länder erschließen.

In die entlegenen Winkel gelangte Western Union durch die Kooperation mit Zeitungsläden, mit Handy- und Gemüseverkäufern. Jeder Kioskbesitzer kann sich heute auf der Homepage von Western Union als Vertragspartner bewerben. Hält der Konzern den Bewerber für vertrauenswürdig, erhält dieser Schulungen und Überweisungssoftware – und bei jeder Transaktion eine Provision. Der Kioskbesitzer bekommt eine neue Einnahmequelle und Western Union einen neuen Standort. Rund ein Viertel aller Schalter ist heute in solchen Läden zu Hause.

Allein in der Türkei hat Western Union die Zahl ihrer Filialen innerhalb weniger Jahre von rund 30 auf gut 7.000 gesteigert. Auch auf dem Balkan wuchs der Konzern rasant – dort wo die Flüchtlinge heute Schlange stehen.

Ende September, drei Tage nach seiner Ankunft auf der Insel Lesbos, nach der Überfahrt aufs griechische Festland und einer Busfahrt durch Mazedonien und Serbien, steht Jassin Salim in der Hauptpost von Belgrad, in einem alten Schalterraum. Von den Wänden blättert die Farbe, es riecht nach kaltem Rauch und feuchtem Putz. Jahrelang stand der Raum neben der großen Schalterhalle leer. Doch weil immer mehr Flüchtlinge kamen, um bei Western Union Geld zu holen, haben die Postbeamten in Belgrad zwei weitere Schalter aufgebaut. Bis raus auf die Straße hätten die Syrer und Afghanen gestanden, sagt der Wachmann, der vor der Tür an seiner Kippe zieht.

Der Vorstandschef ist wie seine Kunden Migrant

Diesmal will Jassin Salim kein Geld abheben. Er will Geld verschicken, an seine Frau, die noch in Syrien lebt. Der Strom in Salims Heimatstadt Daraa falle immer öfter aus, sagt er, der Diesel für die Generatoren sei unbezahlbar geworden. Und so überweist er von dem wenigen Geld, das ihm sein Bruder schickt, einen Teil an seine Frau. Salim schiebt einen Packen Scheine durch den Schlitz im Plexiglas, zerknitterte serbische Dinar. Die Dame am Schalter lässt die Scheine durch eine Zählmaschine rattern: 58.000 Dinar, knapp 500 Euro. Die Dame blättert durch Salims Pass, dann reicht sie ihm die Überweisungsnummer: 834-877-6240. Die schickt Salim per SMS an seinen Schwager in Beirut, und der bringt es wenig später über die syrische Grenze zu Salims Frau. Seit Salim seine Ehefrau aus der Ferne versorgt, verbirgt sich seine Liebe hinter einem zehnstelligen Zahlencode.

Für die Überweisung von Belgrad nach Beirut zahlt Salim eine Gebühr von fast sieben Prozent. Die tatsächlichen Kosten liegen noch höher. Denn Salim darf von Belgrad aus nur serbische Dinar verschicken. In Beirut wird der Wert dieser Dinar von Western Union wieder in Dollar umgerechnet. Zu einem Wechselkurs, der vom Markt abweicht – und Western Union einen zusätzlichen Gewinn beschert.

Im Durchschnitt kosten Überweisungen bei Western Union insgesamt zwar nur 5,2 Prozent des Überweisungsbetrags. Doch gerade in Ländern, die arm und auf private Überweisungen aus dem Ausland angewiesen sind, liegen die Gebühren oft höher. „Western Union ist in vielen Gegenden die einzige Möglichkeit, Geld zu überweisen und zu empfangen“, sagt die Ökonomin Kirsten Schuettler von der Weltbank. „Es gibt kaum Konkurrenz, und das lässt die Gebühren steigen.“ Seit Jahren fordert die Weltbank, dass Dienste wie Western Union ihre Gebühren senken – auf höchstens drei Prozent. Doch bis heute fließt ein großer Teil des Migrantengeldes häufig nicht nach Beirut oder Nairobi, sondern nach Englewood, einen Vorort von Denver, nahe der Rocky Mountains in den USA.

Dort, wo die Großstadt ausfranst und kleine Hügel zwischen den Bürogebäuden hervorragen, steht die Zentrale von Western Union. „Willkommen in Denver“, sagt Hikmet Ersek, auf Deutsch. Genauer: in gedehntem Österreichisch. Um 4.30 Uhr sei er aufgestanden, Australien anrufen, „verstehn’s“. Ersek ist der Vorstandschef von Western Union, ein Hüne mit mächtigem Schädel und einer markanten Furche auf der Stirn. Im Gesprächsraum neben seinem Büro hängen Fotos. Eins von Bill Clinton, mit lobendem Brief; eins zeigt ihn mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan.

Erseks Vita hätte sich die PR-Abteilung von Western Union nicht besser ausdenken können. Er ist wie seine Kunden Migrant. Nur mit einem Unterschied: Er ist angekommen, und zwar ganz oben. Ersek wurde als Sohn eines muslimischen Türken in Istanbul geboren und wuchs dort auf. Mit 19 zog er nach Wien, ins Land seiner katholischen Mutter. Er studierte Wirtschaft, ging zu der Firma, die heute Mastercard heißt, arbeitete sich hoch. 1999 wechselte er zu Western Union, 2010 wurde er Vorstandschef. Das schaffen in den USA nur wenige Europäer.

5,6 Milliarden Dollar hat Erseks Konzern im vergangenen Jahr eingenommen. Jeder fünfte Dollar blieb dabei als Gewinn hängen. Zu viel, sagen die Kritiker von Western Union. Normal, sagt Hikmet Ersek. Andere Finanzdienstleister machten 50 Prozent Gewinn. „Ist alles eine Frage der Perspektive, right?“

Ersek muss das Filialnetz finanzieren, die Provisionen für die Kioskbetreiber, Banken und Postfirmen, die die Hälfte aller Kosten ausmachen. „Wenn wir das nicht machen würden, wären wir nicht im letzten Dorf auf den Philippinen oder in Afrika“, sagt er. Und überhaupt – er beugt sich nach vorn über die Tischplatte – sei es ja nicht verwerflich, Geld zu verdienen. Ein großer Teil von Western Union gehört klassischen Investmenthäusern: Vanguard, Blackrock, Fidelity. Sie muss Ersek zufriedenstellen. „Aktionäre wollen immer mehr“, sagt er.

„Mehr Umsatz, höhere Margen, mehr Geld.“

Vor zwei Jahren reiste Ersek in den Süden der Türkei, in ein Flüchtlingslager nahe der syrischen Grenze. „Sie sehen da Syrer mit Kindern, die sind seit Jahren dort“, sagt er. Viele dieser Syrer sind mittlerweile nach Europa aufgebrochen und zählen nun zu Erseks besten Kunden: Sie heben während der Flucht nicht nur einmal bei ihm ab, sondern auf jeder Etappe neu. Denn kein Flüchtling trägt gern viel Geld bei sich.
Menschenschmuggler machen ihre Geschäfte meist in bar

Das Flüchtlingshilfswerk der UN warnt vor bewaffneten Banden, die über den Balkan ziehen, die Handys, Pässe und Bargeld stehlen. Man sieht die Angst vor den Räubern in den Parks von Belgrad, wo Syrer und Afghanen auf der Erde dösen, den Rucksack fest umklammert. Man sieht sie in den Bussen, wo die Männer das Geld für die Tickets aus ihren Unterhosen ziehen. „Wir sind leichte Beute“, sagt Jassin Salim. „Ich zahle lieber ein paarmal mehr die Gebühr, als alles auf einmal abzuheben und dann alles zu verlieren.“ Als er das sagt, sitzt Salim im Bus nach Kroatien. Draußen ziehen zerfallene Hütten vorbei. Drinnen stinkt es nach nassen Kleidern und Schweiß.

In der Western-Union-Zentrale in Englewood riecht es nach nichts. Kein Parfüm, kein Schweiß, kein Hauch aus der Welt da draußen, nur die kühle, feuchte Plastikluft aus den Klimaanlagen. „Moving money for better“ heißt das Motto des Konzerns – Geld verschicken für eine bessere Welt. Es ist nur so, dass zu dieser Welt auch Kriminelle zählen.

Menschenschmuggler, die Flüchtlinge wie Jassin Salim nach Europa bringen, machen ihre Geschäfte meist in bar. Manchmal aber benutzen sie Zahlungsdienste, zum Beispiel Western Union. Der Ermittler Gerald Tatzgern, der beim Bundeskriminalamt Österreich Menschenschmuggler verfolgt, sagt: „Manche Schleuserbanden verschicken mit Western Union ihr Geld.“ Der Kriminologe Andrea di Nicola von der Universität Trient erzählt von Kapitänen, die Flüchtlinge von der Türkei nach Griechenland fahren und von ihren Hintermännern über Western Union ausgezahlt werden. Ermittlungs- und Finanzbehörden auf der ganzen Welt blicken misstrauisch auf das Unternehmen. Sie fürchten, dass mit dessen Hilfe Attentate finanziert, Drogen geschmuggelt und Menschen geschleust werden. Reguläre Banken werden heute strenger kontrolliert, deshalb sucht sich das schmutzige Geld neue Wege.

Für Hikmet Ersek ist das ein unangenehmes Thema. Er sagt, sein Unternehmen tue viel, um nicht zum Handlanger von Kriminellen zu werden. Seine Leute prüfen die Identität der Kunden, die regelmäßig Geld überweisen. Computer überwachen die Höhe der überwiesenen Beträge, den Zeitpunkt der Transaktion, sie scannen, ob sich in einer Filiale besonders viele Überweisungen ballen. Erkennt das System verdächtige Muster, schlägt es Alarm. Dann werden Transaktionen gestoppt oder den Behörden gemeldet. „Wir machen solche Kontrollen überall, dauernd“, sagt Ersek. Jeder vierte seiner 10.000 Mitarbeiter beschäftige sich mit dem Kampf gegen Kriminalität. „Das Geld ist gutes Geld“, sagt Ersek, „und wenn es missbraucht wird von diesen Trotteln, diesen Kriminellen, ärgert mich das persönlich.“

Wie leicht sich die Kontrollsysteme überlisten lassen, sieht man in Belgrad, in der Hauptpost, wo auch Jassin Salim sein Geld verschickt hat. Dort stehen an einem Septembertag drei syrische Flüchtlinge. Sie wollen Geld abheben, aber sie haben keinen Pass. Also werden sie weggeschickt. Eine halbe Stunde später kommen sie wieder, mit einem Mann im Schlepptau, der für sie seinen Pass vorzeigt. Die Syrer diktieren ihm den Zahlencode – und der Mann empfängt das Geld, stellvertretend für sie.

So wie die drei Syrer machen es die Menschenschmuggler, die keine Spuren hinterlassen wollen: Sie schicken jemanden vor. „Viele Schleuser verbergen sich hinter fremden Identitäten“, sagt der Ermittler Gerald Tatzgern. „Dann erkennt man sie auch mit den besten Kontrollsystemen schwer.“

An einem kühlen Donnerstag Ende September passiert der Flüchtling Jassin Salim den Grenzübergang bei Freilassing in Bayern, wenig später erreicht er Berlin. Er hat gute Chancen, Asyl zu bekommen. Seine Frau wird ihm womöglich erst nach Jahren folgen dürfen. Bis dahin wird Salim Kunde von Western Union bleiben. Er wird seiner Frau Geld aus der Ferne schicken. Mit einem zehnstelligen Zahlencode.

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