29. Oktober 2015 · Kommentare deaktiviert für „Notstand und Notwehr“ · Kategorien: Deutschland · Tags: ,

Quelle: Telepolis

von Peter Nowak

In der Flüchtlingskrise werden in der sogenannten Mitte der Gesellschaft Konzepte diskutiert, auf die die Pegidaredner erst mal kommen müssten

Die grünennahe Taz stand in den letzten Wochen besonders treu zu Merkel. Seit die Kanzlerin in der Flüchtlingsfrage die Devise „Wir schaffen das“ ausgegeben hatte, hätte man denken können, dass hier schon mal publizistisch das grün-schwarze Bündnis geprobt wird. Mehrere Autoren wollten gleich einen neuen Grund für den deutschen Patriotismus gefunden haben.

Doch längst ist auch bei der Taz die Stimmung umgeschlagen. Noch immer widmet man dort täglich gleich mehrere Seiten unter der Rubrik „Fluchthilfe“ dem Thema. Aber gegenwärtig ist von Optimismus und Willkommenskultur wenig zu lesen. Dafür wird unter der genannten Rubrik ein Europa in der Krise und „ein völliger Kontrollverlust“ beschworen.

„Hunderttausende Flüchtlinge: Das könnte der Anfang vom Ende der Europäischen Union sein“, wird da eine Untergangsrhetorik strapaziert. Zudem wird das Ende der EU durch die verwendete Wortwahl den Flüchtlingen zugeschoben und nicht der Reaktion der vielen europäischen Politiker, die alles tun, um die Flüchtlingskrise zu verlängern, um die Festung Europa noch besser auszubauen.

„Wir müssen an einer Festung Europa bauen“

Wenn man sich fragt, was sich zwischen Ende August und Ende Oktober eigentlich verändert hat, dann fällt zunächst auf, dass es nicht mehr nur Orbán und seine Fans sind, die die Festung Europa sichern wollen gegen alle, die kommen wollen. So hat sich die konservative österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner in einem FAZ-Gespräch offensiv dazu bekennt, die Festung Europas schnell bauen und Europa abschotten zu wollen.

Aber die Ministerin mag den Vorwurf der österreichischen Grünen nicht gerne hören, die von einer Orbanisierung der konservativen ÖVP sprechen. Dabei müssten aber manche amtierende Politiker der Grünen in diese Gemeinde mit einbezogen werden. So hat der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer nicht nur Merkel mit dem Spruch „Wir schaffen es nicht“ gekontert, sondern er beklagte gleich noch im Deutschlandfunk ein Diskursverbot. Menschen, die Sorgen und Ängste äußern, würden in die rechte Ecke gestellt.

Dabei müsse nach Palmer die Diskussion in die Mitte der Gesellschaft zurückgeführt werden. Nicht verwunderlich, dass die neurechte Junge Freiheit, die seit ihrer Gründung Sprechverbote beklagt, Palmers Interview gleich aufgriff. Es ist nun mal eine jahrzehntelang geübte rechte Praxis, darüber zu klagen, dass über ein Thema nicht diskutiert werden darf, um den Raum nach Rechts weiter zu öffnen. Über die Geflüchteten und meistens gegen ihr Hiersein wird nun seit Monaten heftig diskutiert. Es ist also offensichtlicher Unsinn von einem Diskursverbot zu reden.

Damit soll in Wirklichkeit der Boden dafür bereitet werden, dass auch in der vielbemühten „Mitte der Gesellschaft“ Vorschläge zur Schleifung des Asylrechts, respektive dem, was davon noch übrig ist, Gehör finden. Das wäre eindeutig von der Verfassung nicht gedeckt, wäre aber sicher kein Hinderungsgrund. So schafft man es dann tatsächlich, die Diskurse aus der Pegida-Ecke in die Mitte der Gesellschaft zu holen.

Die CSU hat bekanntlich seit Jahrzehnten mit Erfolg die Devise, rechts von uns darf es keine weitere demokratische Partei mehr geben, so ausgelegt, dass sie eben so weit nach rechts gehen muss, um das Spektrum auch abzudecken und eine weitere rechte Partei überflüssig zu machen.

Bayerisches Notstandsrecht

Wenn der bayerische Ministerpräsident Seehofer die bayerische Notwehr ausrufen will, dann sind die Anklänge an den Notstand beabsichtigt. Schon geistert der Begriff von Kreuth II durch die Diskussionen, Bei einer Klausurtagung wollte bekanntlich F.J. Strauß in den 1970er Jahren die Trennung der CSU von der Union vorantreiben und eine neue rechte Partei bundesweit etablieren. Nach kurzer Zeit knickte Strauß ein und gab die Pläne auf.

Nun werden solche Szenarien wieder aus der Schublade geholt. Wie realistisch sie sind, ist unklar. Es zeigt sich auf jeden Fall, dass die CSU die Konkurrenz der AfD fürchtet und wenn der Aufstieg einer neuen Rechtspartei nur durch eine bundesweit auftretende CSU verhindert werden kann, dürften in der CSU solche Pläne durchaus auf Zustimmung stoßen.

Nicht nur in den Parteien wird in diesen Tagen mit dem Notstand liebäugelt. So hat der pensionierte BND-Präsident August Hanning ein 10-Punkte-Programm vorgestellt, dass tatsächlich eine Orbanisierung der Republik bedeuten würde. Merkel soll demnach verkünden, dass Deutschland bis auf weiteres keine Geflüchteten mehr aufnehmen wird, zudem soll die Grenze geschlossen und die Rechte von Geflüchteten massiv beschnitten werden.

Hannings 10-Punkte lesen sich wie das Programm einer Regierung, nachdem Pegida die Macht übernommen hat. Doch er ist kein Einzelfall. Die Welt zitiert weitere anonyme Sicherheitsexperten, die Merkel im Grunde vorwerfen, sie habe die deutschen Interessen verraten, als sie die Grenzen nicht geschlossen hat.

Dass sich hier Teile der Elite mit dem Notstand spielen, ein amtierender Ministerpräsident und Vorsitzender einer Regierungspartei das Notwehrrecht ausrufen will, ohne dass es einen Aufschrei der Zivilgesellschaft gibt, ist ein Alarmsignal. Wenn sich zur Pegida auf den Straßen eine Rechtsverschiebung bei den Eliten gesellt, dann sind schon mal bestimmte Faktoren im Aggregatzustand für eine autoritäre Lösung der Flüchtlingskrise vorhanden.

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