26. Oktober 2015 · Kommentare deaktiviert für Flüchtlinge sollen „entmutigt“ werden · Kategorien: Balkanroute, Europa · Tags: , ,

Quelle: Handelsblatt

In Brüssel haben sich EU- und Balkanländer zusammengerauft. Ein 17-Punkte-Plan soll helfen, den Flüchtlingsstrom besser zu steuern. Doch selbst Kanzlerin Angela Merkel hält das Ergebnis noch nicht für einen Durchbruch.

BrüsselNach wochenlangen Schuldzuweisungen wollen die Balkanstaaten sich in der Flüchtlingskrise besser abstimmen. Innerhalb von 24 Stunden soll ein Netz von Ansprechpartnern auf höchster Ebene entstehen. Das Ziel sei „eine allmähliche, kontrollierte und geordnete Bewegung“ der Menschen auf der Balkanroute. Das steht in der Abschlusserklärung zu einem Krisentreffen von zehn betroffenen EU-Ländern und den drei Nicht-EU-Staaten Mazedonien, Serbien und Albanien, die am späten Sonntagabend in Brüssel vereinbart wurde.
EU-Staaten und Westbalkanländer wollen die Flüchtlingsströme auf der Balkanroute verlangsamen. „Wir werden Flüchtlinge oder Migranten entmutigen, zur Grenze eines anderes Landes der Region zu ziehen“, heißt es in der Erklärung. „Eine Politik des Durchwinkens von Flüchtlingen ohne die Nachbarstaaten zu informieren, ist nicht akzeptabel.“

Bei dem Sondertreffen zur Westbalkanroute einigten sich die Staats- und Regierungschefs nach siebenstündigen Beratungen auf einen 17-Punkte-Plan. Doch die Stimmung war angespannt. Seit Wochen weisen sich die Länder der Region gegenseitig die Schuld zu – so auch in Brüssel. „Jeder ist versucht zu sagen, jemand anders ist Schuld“, sagte ein Diplomat am Rande der Gespräche. „Das müssen wir stoppen.“
Der Plan sieht unter anderem vor, dass andere EU-Staaten innerhalb einer Woche mehr als 400 zusätzliche Grenzschützer in das vom Flüchtlingsandrang überforderte Slowenien schicken. Außerdem soll die EU-Grenzschutzagentur Frontex die Grenzen besser absichern, etwa zwischen Griechenland, Mazedonien und Albanien sowie an der kroatisch-serbischen Grenze.

Griechenland soll – auch mit Hilfe des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR – 50.000 neue Aufnahmeplätze für Flüchtlinge schaffen, davon bis Jahresende 30.000. Auf der ganzen Route sollen 100.000 Plätze entstehen.

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siehe auch: der Standard

Minigipfel der Staatschefs: Zu wenig, zu langsam, zu unentschlossen

von Thomas Mayer

Das Treffen der Staaten entlang der Balkanroute wird kaum tiefe Spuren in der Bewältigung der Flüchtlingskrise hinterlassen – ernst wird es nach den Wahlen in der Türkei

Das Treffen der Regierungschefs der Länder der sogenannten „Balkanroute“, auf der gerade zehntausende Flüchtlinge auch durch Österreich Richtung Nordeuropa unterwegs sind, sei eine gute Gelegenheit gewesen, sagte der serbische Premier Aleksandar Vukic in einer Sitzungspause: Man habe miteinander endlich direkt sprechen, einander zuhören können, sich die Probleme im jeweiligen Land schildern können.

Schön, wenn der Kontakt auf der höchsten Ebene der europäischen Politik persönlich funktioniert. Ob dieser „Minigipfel“ ausgesuchter EU-Staaten mit den Partnern vom Westbalkan aber mehr war als nur eine Art Therapiesitzung von nationalstaatlich gesteuerten Anführern, die Flüchtlinge möglichst schnell loswerden wollen, damit sie am Ende in Deutschland und Schweden landen, muss sich allerdings erst erweisen. Schon in ein paar Tagen wird sich das an der Realität messen lassen.

Denn der Zustrom wird nicht geringer, sondern tendenziell stärker. Vergangene Woche sind 48.000 Migranten von der Türkei aus auf der griechischen Insel Lesbos angekommen. Wochenrekord bisher. Der slowenische Premier Miro Cerar schockte seine Kollegen in der Sitzung mit der aktuellen Zahl der Ankömmlinge in seinem kleinen Land mit zwei Millionen Einwohnern allein am Sonntag: 15.000. Tagesrekord. Das sei so, sagte er, wie wenn in Deutschland an einem Tag gleich 500.000 ankämen.

Provokation Orbáns

Man kann sich also vorstellen, dass die Debatten mit der besonders unter Druck stehenden deutschen Kanzlerin Angela Merkel nicht gerade harmonisch abliefen. Der Ungar Viktor Orbán provozierte seine Sitznachbarin mit der Feststellung, dass er eigentlich nur noch „Beobachter“ sei, da sein Land nicht mehr Teil der Balkanroute sei – wegen der Grenzzäune, die er zu Kroatien und Serbien gebaut habe. Ungarn, so suggerierte er, sei „flüchtlingsrein“, weil er konsequent dafür gesorgt habe, die Grenzen dicht zu machen.

Tsipras vermisst die Türkei

Der griechische Premier Alexis Tsipras hingegen gab sich überaus großzügig. Er bedauerte, dass die Türkei – der alte Erzfeind – nicht mit am Tisch sitze. Die brauche man unbedingt, weil sie die Eingangspforte des Flüchtlingskorridors nach Norden sei und bestimme, wie viele kämen oder nicht. So ging das dahin. Selbstredend, dass die Regierungschefs hinterher wieder einmal den einen oder anderen Fortschritt im „Flüchtlingsmanagement“, wie das neuerdings genannt wird, gemacht haben. Und das stimmt auch. Es ist positiv, wenn die Chefs nun in ihren Kabinetten einen direkt ansprechbaren, persönlichen Verantwortlichen haben, der den genauen Überblick über die aktuellen Flüchtlingsbewegungen hat, über die Vorhaben und so weiter. So können die beteiligten Regierungen sich besser koordinieren, damit nicht von einer Stunde auf die andere tausende Flüchtlinge an der Grenze stehen, unversorgt, unvorbereitet.

Thema „Hotspots“

Es ist auch positiv, wenn – nun aber wirklich – endlich die sogenannten „Hotspots“, die Erstaufnahmestellen, in Griechenland errichtet werden, damit die Flüchtlinge erfasst, einem Asylverfahren zugeteilt oder abgeschoben werden, bevor sie ungeordnet nach Norden ziehen. Aber das hat man auch schon bei zwei regulären EU-Gipfeln seit September gehört. Tsipras will das „bis Jahresende“ erledigen, 30.000 bis 50.000 Migranten in seinem Land halten. Das würde alle nachfolgenden Staaten auf der Route entlasten.

Aber es bestehen doch Zweifel, ob diese Pläne auch halten, was sie versprechen, weil es nach wie vor am politischen Willen fehlt, sie umzusetzen. In den meisten Ländern, die von den Flüchtlingswanderungen betroffen sind, kippt langsam die Stimmung in der Bevölkerung – ins Negative. Man kann das live gerade in der Steiermark und in Spielfeld beobachten.

Mosaikstein einer gesamteuropäischen Lösung

Was die 13 Regierungschefs sich Sonntagabend unter der Moderation von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker ausgemacht haben, ist also ein weiterer Mosaikstein zu einer gesamteuropäischen Lösung. Aber auch viel zu wenig, zu langsam. Bevor hier ein paar Tausend Migranten „in ordentliche Bahnen gelenkt“ sein werden, wie Merkel das nannte, werden weitere zig- oder sogar Hunderttausend neue Flüchtlinge übers Meer gekommen sein.

Der größte Nachteil des Verhandlungsformats „Balkanroute“ besteht aber darin, dass die wichtigsten politischen und diplomatischen und sicherheitspolitischen Player in Europa nicht mit am Tisch saßen. Deutschland, Österreich und die Balkanländer repräsentieren nur einen kleineren Teil der Union. Es fehlen (mindestens) Italien, Frankreich und Großbritannien, ohne die global und regionalpolitisch in Nahost und Afrika nichts läuft. Und es fehlte vor allem die Türkei, das Land, zu dem die Union die große Außengrenze hat, über die die Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak vor allem kommen.

Verhandlungen nach türkischen Wahlen

Es ist daher nicht schwer vorauszusagen, dass dieser Minigipfel auch kaum tiefe Spuren in der Bewältigung der Flüchtlingskrise hinterlassen wird. So ehrbar der Versuch einer Entspannung auch ist. Wirklich ernst wird es erst, wenn die türkischen Wahlen am 1. November vorbei sein werden. Dann wird Präsident Tahipp Recep Erdogan bereit sein, mit den Europäern darüber zu verhandeln, wie restriktiv er die Grenze halten wird. Davon vor allem wird abhängen, ob die Zahl der Flüchtlinge geringer wird; und ob man gemeinsam mit Russland und den USA eine Friedenslösung für Syrien angehen will. Ganz konkret: Irgendwann im November muss es einen regulären EU-Gipfel unter Beteiligung der Balkanrunde und der Türkei geben. Und da müssen die EU-Partner „springen“, wenn sie eine echte europäische Flüchtlingslösung zustande bringen wollen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dazu auch ein robustes militärisches Mandat gehört, die Sicherung der See, die strikte Abriegelung der EU-Außengrenze – so wie man das im Frühjahr auf der zentralen Mittelmeerroute von Libyen nach Italien gemacht hat.

Die Chance, dass das alles rasch gelingt, ist nicht sehr hoch. Die Sache wird sich noch länger hinziehen, sagen Diplomaten voraus, und in den einzelnen EU-Staaten da und dort große innenpolitische Spannungen auslösen. Aber, um es mit Merkel zu sagen: Dieser Prozess ist alternativlos, die Flüchtlinge lassen sich nicht wegzaubern. Bis dahin wird man notdürftig mit nationalen Lösungen operieren müssen, wobei die Staaten vielleicht doch ein bisschen besser kooperieren. Aber zu glauben, dass die Lage sich bald wieder entspannen könnte, ist reine Illusion. Nichts wird mehr wie früher. Wir werden mit den Flüchtlingen leben müssen.

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siehe auch: The Guardian

EU and Balkans agree plan for 100,000 places in reception centres for refugees

Brussels summit agrees a 17-point plan to manage the flow of refugees in the Balkans, including more shelter, border registration and increased naval operations

European Union and Balkan leaders meeting in Brussels have agreed a 17-point plan to cooperate on managing the flows of refugees making their way through Turkey, Greece and the western Balkans in a bid to reach places such as Germany and Scandinavia before winter.

The European commission said that among the measures agreed between the 11 nations were that 100,000 places in reception centres should be made available along the route from Greece towards Germany, half in Greece and half in the countries to the north. The UN refugee agency would help establish them.

The leaders also agreed that the EU border agency Frontex would step up its activities on the Greek-Macedonian border to ensure that people trying to cross would be registered.

“We have made very clear that the policy of simply waving people through must be stopped,” Jean-Claude Juncker, the commission’s president, told reporters, referring to agreements to cooperate and avoid unilateral national measures that have contributed to chaos throughout the region.

The German chancellor Angela Merkel, who pushed for the meeting to be convened, said: “Europe must show it is a continent of values, a continent of solidarity … This is a building block, but we need to take many further steps.”

But before the meeting had started on Sunday, the plan under discussion had already drawn criticism for proposing that Balkan and eastern European countries should stop allowing asylum seekers to pass through to other neighbouring countries without first securing agreement from those neighbours.

The Croatian prime minister, Zoran Milanović, said before the summit that such consultation was “impossible”.

The Slovenian prime minister, Miro Cerar, had warned that the EU would “start falling apart” if it failed to take concrete action to tackle the refugee crisis within the next few weeks. Slovenia, a country of 2 million people, has seen more than 60,000 new arrivals in recent days.

The focus of the crisis turned to Slovenia when Hungary clamped down on its border with Serbia, prompting the refugees to switch to Croatia, which in turn imposed border controls.

The plan submitted by Juncker seeks to slow the passage of migrants through the safe corridor that has formed through central and eastern Europe towards Austria and Germany by increasing border surveillance, properly registering transient people, and stopping bus and train transfers to the next border without the consent of the neighbouring country.

“The immediate imperative is to provide shelter,” said Juncker after chairing the summit. “It cannot be that in the Europe of 2015 people are left to fend for themselves, sleeping in fields.”

Nearly 250,000 refugees have passed through the Balkans since mid-September, many fleeing conflict in Syria, Iraq and Afghanistan.

The plan’s main points

  • To increase reception capacity to 30,000 places by the end of the year in Greece. The UN refugee agency will provide rent subsidies and host family programmes for at least 20,000 more people.
  • To seek additional capacity of 50,000, reaching a total of 100,000 along the western Balkans route and Greece.
  • To deploy 400 police officers within a week to Slovenia.
  • To step up efforts to facilitate return of migrants not in need for international protection and step up cooperation on repatriation with Afghanistan, Bangladesh, Iraq and Pakistan.
  • To scale up the Poseidon Sea joint operation in Greece, in particular the EU’s border agency Frontex’s presence in the Aegean Sea, and strengthen significantly Frontex support to Greece in registering and fingerprinting activities.
  • To refrain from facilitating the movement of migrants to the border of another country.
  • To set up contact points to allow daily exchanges of information regarding migrant movements.
  • To exchange information on the size of movement and flows of refugees. Frontex as well as the EU’s asylum office ESAO will put this exchange of information in place.
  • To contact financial institutions including the European Investment Bank and the European Bank for Reconstruction and Development to secure finances for accommodation of refugees.
  • To step up police and judicial cooperation actions against migrant smuggling, engaging Europol and Interpol in Western Balkan route operations.
  • To reinforce support of the bloc’s border agency Frontex at the border between Bulgaria and Turkey. To set up a new Frontex operation at the external land borders between Greece and Macedonia and Greece and Albania to focus on exit checks and registration of refugees who were not registered in Greece.
  • Working together with Frontex to detect irregular border crossing and support registration and fingerprinting in Croatia.

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