22. Oktober 2015 · Kommentare deaktiviert für „Serbischer Grenzort: Mit ‚Allahu akbar‘ über die Weinberge in die EU“ · Kategorien: Balkanroute, Kroatien, Serbien · Tags:

Quelle: der Standard

Adelheid Wölfl aus Berkasovo

In dem serbischen Grenzort Berkasovo gibt es einen Zelttunnel, in dem hunderte Flüchtlinge darauf warten, grüppchenweise nach Kroatien gelassen zu werden

In der Dunkelheit klackern die Rollkoffer auf dem Asphalt, als würden Leute in Stöckelschuhen laufen. Ein paar Frauen halten Autos auf und rufen: „Baby, Baby!“, damit sie und ihre Kinder mitgenommen werden. Wer sich der serbisch-kroatischen Grenze nähert, stößt auf Militärzelte, die hier über die Straße gespannt sind. Links und rechts liegen eingemummelt Menschen, graue Decken, blaue Decken, Menschen, die sich einringeln, Menschen, die frieren, alle auf Holzpaletten. Von den Spitzen der Militärzelte hängen alle paar Meter Stromkabel und von diesen baumeln wiederum Handys herab, die die Flüchtlinge hier aufladen.

Genügend Ärzte

Wer durch den Zelttunnel durch ist, landet auf einer Art Müllhalde. Hier liegen durchnässte Decken, Kleidungsstücke, Exkremente, Essensreste. Es stinkt. Hunderte Menschen warten hier. Manche stehen direkt an dem Gitter, das von kroatischen Polizisten bewacht wird. Gibt es hier Leute, die wegen des Regens und der Kälte krank geworden sind? „Wenn es solche gibt, dann ist für sie gesorgt, es gibt ja genügend Ärzte“, sagt Amshad. Der 32-Jährige, der Tiermedizin studiert hat, ist vor einer Woche mit Freunden aus As-Suwaida in Syrien aufgebrochen.

In seiner Heimat As-Suwaida leben viele Drusen und Christen. „Warum müssen wir hier warten?“, fragen die jungen Männer rund um ihn herum. „Wann kommt der Bus aus Kroatien? Und wie lange müssen wir warten?“ Auf der Flüchtlingsroute in Südosteuropa fehlt es seit Monaten vor allem an Informationen. Niemand sagt den Flüchtlingen, dass die kroatische Polizei die Leute nur in Gruppen hinüberlässt – einmal 50, einmal mehr –, je nachdem, wie viel Platz im Flüchtlingslager Opatovac ist, das 20 Kilometer entfernt liegt.

Wenn 5.000 Flüchtlinge in Opatovac sind, gilt das Lager als voll. Und in Berkasovo wird dann dichtgemacht. Die Zusammenarbeit mit den Nachbarn könnte besser sein. Serbien übergab kürzlich eine Protestnote, weil hier kroatische Polizisten illegal auf die serbische Seite spaziert sind.

Tee, Decken und Jacken

Viele Hilfseinrichtungen sind mit Vans gekommen. Die UN-Flüchtlingshilfe teilt Decken aus, andere verteilen Tee und Winterjacken. Einige Schilder geben in arabischer Sprache Auskunft. „Egal, was du hier machst, es ist jeder Handgriff eine Hilfe“, sagt ein Helfer, der aus Tschechien angereist ist. „Letztens haben wir einen Mann im Rollstuhl durch den Schlamm getragen.“

Die Straße zwischen den Obstgärten ist gesäumt von fallengelassenen Sackerln, durchnässten Pullovern und goldenen Folien, die hier wie Zuckerlpapierln am Straßenrand liegen. Diese Folien, die vor Kälte schützen sollen, glitzern fast so schön wie jenes Fundstück aus dem vierten Jahrhundert, für das Berkasovo eigentlich berühmt ist: ein spätantiker goldener Kammhelm, der mit Glassteinen verziert ist und nach dem sogar eine ganze römische Soldatenhelmgeneration benannt ist und der hier gefunden wurde.

Doch jetzt ist den Berkasovoern auch ihr Kammhelm egal. Denn seit Wochen kommen in den kleinen Ort mit der weißen Zwiebelturmkirche abertausende Menschen mit Rucksäcken, mit Kopftüchern und ohne, mit Kindern auf den Schultern oder an der Hand. Sie steigen aus Bussen und Taxis. Die Busse haben in den Äckern sooft reversiert, dass die Maisstauden in das Erdreich gedrückt sind. In 2000 Jahren wird man hier vielleicht statt goldenen Kammhelmen goldene Schutzfolien ausgraben.

„Okay, dann warten wir halt“

Amshad aus As-Suwaida ist gerade angekommen. Er sagt: „Okay, dann warten wir halt“, als er das Gitter sieht. Wohin er will? „Nach Schweden“, sagt der Mann aus Suwaida, und so wie er „Sweden“ ausspricht, klingt es fast wie Suwaida. Schweden ist überhaupt einmal etwas Neues. Normalerweise sind sich die Flüchtlinge bei der Destination einig. Die Antwort lautet immer: „Germany.“ „Ich glaube, in Schweden ist es besser, oder?“, sagt der junge Mann.

Dann beginnt ein anderer hinter ihm, die Zelttunnelstraße hinunterzulaufen. Plötzlich sind alle in Bewegung, montieren ihre Handys ab, packen ihre Rucksäcke, werfen die Tunfischdosen weg, aus denen sie gerade gelöffelt haben und wickeln sich die Decken um den Körper. Die kroatische Polizei hat offensichtlich das Gitter zur Seite geschoben. Eine Mutter packt ihr schlafendes Kind auf eine Scheibtruhe. Los geht’s. In die EU. „Allahu akbar“, ruft ein Mann und macht sich auf. In die Dunkelheit hinter dem Gitter.

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