Quelle: Süddeutsche Zeitung
Von Lukas Ondreka
Schleuser haben ein mieses Image: Eine Tagung an den Münchner Kammerspielen will das ändern. Eine Verharmlosung oder wertvoller Debattenbeitrag?
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siehe auch: Süddeutsche Zeitung
Fluchtpunkt Theater
Beim „Open Border Kongress“ dreht sich alles um Flucht und Vertreibung. Es gibt Satire, ernsthafte Debatte, viel Kunst – und ein bisschen Protest.
Von Ruth Eisenreich
Oh-oh-oh“, grölen die drei Frauen quer über die Maximilianstraße: „Arschloch! Arschloch!“. Freitag, 18 Uhr, ein paar Meter entfernt von den Münchner Kammerspielen. Dort stellen sich gerade Menschen bis weit hinaus auf die Straße um Karten für den Open Border Kongress an, bei dem sich das Theater ein Wochenende lang mit dem Thema Flucht auseinandersetzt. Das Anti-Nazi-Lied „Schrei nach Liebe“ gilt den etwa 30 Demonstranten der AfD, die sich auf der anderen Straßenseite versammelt haben. „Schleusen tötet“ und „Kriminalität ist keine Kunst“ steht auf ihren Transparenten. Der Protest der AfD gilt der Internationalen Schlepper- und Schleusertagung (ISS), die als Teil des Kongresses ebenfalls an diesem Wochenende in den Kammerspielen stattfindet. „Das ist kein Kunstprojekt“, sagt Petr Bystron, der Landesvorsitzende der AfD. „Das ist nur Tarnung, um Steuergelder zu bekommen.“
Die ISS hat schon im Vorfeld viel Aufregung hervorgerufen. Auf ihrer Webseite präsentiert sie sich als „DIE relevante Fachtagung der weltweit agierenden Fluchthilfe-Unternehmen“. Ihr wichtigstes Ziel sei „die Image-Aufwertung der Dienstleistungen Schleppen und Schleusen“, heißt es da satirisch weiter, und auch die restliche Seite ist konsequent im Stil einer Fachtagung gehalten.
Statt von Tickets ist von „Akkreditierung“ die Rede, der Veranstaltungsraum am Dachboden der Kammerspiele heißt im Programm „Kongresshalle“. Manche Konservative fanden das gar nicht lustig. Von „fehlgeleiteter Politpropaganda“, sprach der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU), sein Parteikollege Hans-Peter Uhl nannte die Veranstaltung „zynisch“ und beschimpfte Kammerspielchef Matthias Lilienthal als „verwirrt“.
Tatsächlich handelt es sich bei den Veranstaltungen des ISS um ernsthafte Podiumsdiskussionen zu den Themen „Historie“, „Praxis“, „Kriminalisierung“ und „Kunst & Kampagnen“. Auf den Podien sitzen natürlich keine Vertreter internationaler Schlepperringe, sondern Historiker und Journalisten, ein Rechtsanwalt und der ehemalige Kapitän der Cap Anamur.
Man ist sich einig: Abschreckung funktioniert nicht
Aber manche von ihnen haben tatsächlich schon Menschen beim Überqueren von Grenzen geholfen – Maria Eitz etwa, die um 1960 Kinder und Familien aus der DDR in den Westen schleuste. Dass ihre Taten, ebenso wie die von Fluchthelfern während der Nazi-Zeit, durchaus mit denen heutiger Schlepper vergleichbar sind, das ist hier Konsens. Die Podien sind, was die politische Haltung betrifft, homogen besetzt. Darum, Menschen wie die AfD-Demonstranten zu überzeugen, geht es hier nicht. Auch im Publikum ist man sich einig: Flüchtlinge kann man nicht abschrecken, Fluchthilfe gehört entkriminalisiert, Zäune treiben nur die Preise in die Höhe. „Möchte jemand was entgegnen?“, fragt Organisator Matthias Weinzierl vom Flüchtlingsrat einmal fast verzweifelt – niemand rührt sich.
Während im Dachgeschoss das Thema Fluchthilfe diskutiert wird, läuft in den anderen Räumen der Kammerspiele der inhaltlich und formal breiter aufgestellte Open Border Kongress. Es gibt hier Podiumsdiskussionen, Workshops, Dokumentarfilme und Vorträge, etwa von der Bürgermeisterin von Lampedusa. In einer Halle stellen sich Initiativen vor, die Geflüchtete beraten, ihnen Internet-Studiengänge anbieten, mit ihnen Radio machen oder Fahrräder reparieren und verkaufen.
In der Kantine der Kammerspiele hat das Projekt „Culture Kitchen“ einen Stand aufgebaut, junge Flüchtlinge geben hier gekochte Maniokwurzeln oder irakische Kekse aus. In der Kassenhalle zeigt die Manufaktur „Cucula“ Designstühle aus Holzplatten, zusammengebaut von Flüchtlingen. Auf einer Nebenbühne lässt Daniel Wetzel vom Performancekollektiv Rimini Protokoll die Besucher mit einem Paddel, einer Gießkanne, einem Spielzeuggewehr und ein paar Bierflaschen die Komposition „Water Walk“ des Klangkünstlers John Cage aufführen, während sie über Kopfhörer die Geschichten geflüchteter Jugendlicher hören.
Und das Ensemble Hajusom stellt in der Musikperformance „Paradise Mastaz“ mithilfe von Marionetten und Schaumstoffpuppen und mit viel böser Ironie Migration und Afrikatourismus gegenüber. Ein mittelalter deutscher Tourist, gespielt von einer jungen schwarzen Frau, beschwert sich da über seine Afrikareise, weil er gar keinen hungrigen Kindern helfen konnte: „Die sind hier alle am Telefonieren, dat is keen bisschen Afrika.“ Und zwei junge Männer rappen über Deutschland: „Die U-Bahn kommt pünktlich – aber Leute tot“.