21. Juni 2015 · Kommentare deaktiviert für Ärzte ohne Grenzen auf 3 Schiffen im Mittelmeer · Kategorien: Italien, Libyen, Malta · Tags: ,

Quelle: Die Welt

Die Organisation Ärzte ohne Grenzen war von den staatlichen Reaktionen auf das Drama im Mittelmeer so entsetzt, dass sie nun selbst Flüchtlinge rettet. Sogar schwangere Frauen sind oft unterversorgt.

Von

Anfang Mai hat es den Mitarbeitern von Ärzte ohne Grenzen gereicht. „Wir konnten einfach nicht weiter zusehen, wie das Mittelmeer zum Massengrab wird“, sagt der Geschäftsführer der deutschen Sektion, Florian Westphal. Die Hilfsorganisation charterte ein Schiff inklusive Kapitän, kaufte ein zweites und ging mit einem Team an Bord eines dritten Schiffes aus Malta. Mit den drei Schiffen sind die Ärzte nun im Mittelmeer unterwegs, um Booten mit Flüchtlingen zu Hilfe zu eilen, die zu kentern drohen. 3800 Menschen in Seenot haben sie in den vergangenen sechs Wochen gerettet – in etwa so viele, wie im vergangenen Jahr auf ihrer Flucht im Mittelmeer ertrunken sind.

„Allein vergangene Woche waren unsere Teams an einer Rettungsaktion beteiligt, bei der mehr als 2000 Menschen auf fünf völlig überfüllten Holzbooten zu sterben drohten“, sagte Westphal, der gerade aus Sizilien zurückgekehrt ist. Dort kooperieren die Ärzte mit den lokalen Behörden, die anhand von Satellitenbildern oder Notrufen darüber informiert werden, wenn sich ein Schiff zwischen Sizilien auf der einen Seite und Tunesien, Libyen und Ägypten auf der anderen Seite in Seenot befindet. Italiens Marine rückt dann mit ihren Booten aus – und nun manchmal auch die Ärzte. Mit ihrem Schiff „Bourbon Argos“ etwa, an Bord eine 26-köpfige Mannschaft. „Wenn wir ankommen und das Schiff sehen, ist das meist der schwierigste Moment“, berichtet Westphal. „Man kann nur unzählige Köpfe an Bord erkennen, aber nicht einschätzen: Wie viele Menschen befinden sich noch unter Deck?

Die Flüchtlinge hätten Panik, fürchteten zurückzubleiben. „Sobald sie das nahende Schiff sehen, laufen sie alle auf eine Seite, sodass ihr Boot zu kentern droht“, sagt Westphal. Das Rettungsteam bemühe sich, so schnell wie möglich über Lautsprecher zu versprechen, dass niemand zurückgelassen werde, und aufzurufen, ruhig zu bleiben. In Beibooten werden die Menschen an Bord des sicheren Schiffs geholt und ärztlich versorgt. „Viele der Menschen haben die Krätze“, sagt Westphal, eine parasitäre Hautkrankheit. „Oft sind sie dehydriert, haben schwere Hautverbrennungen. Viele Schwangere müssen dringend versorgt werden.“ Wasser läuft in die Boote, Treibstoff entweicht. Die Flüchtlinge stehen in dem Gemisch, das die Haut verätzt. Von Ärzten und Helfern bekommen sie Wasser, Energieriegel, Kleidung.

Die meisten Flüchtlinge werden in das Erstaufnahmezentrum in Pozzallo (Sizilien) gebracht. Das alte Lagerhaus wird von Soldaten bewacht; hier leistet Ärzte ohne Grenzen medizinische Hilfe. „Die Menschen schlafen in großen Hallen in Etagenbetten, bekommen die Möglichkeit zu telefonieren und registriert zu werden“, sagt Westphal. Platz ist eigentlich nur für 180 Menschen; doch manchmal kommen auf einen Schlag fünfmal so viel. Höchstens 72 Stunden sollen die Flüchtlinge hier bleiben, um dann auf andere Aufnahmezentren verteilt zu werden, von denen aus dann die Asylverfahren eingeleitet werden. Doch viele bleiben mehrere Wochen. Hunderte von morschen Holzbooten liegen in Pozzallo im Hafen; im vergangenen Jahr strandeten rund 30.000 Menschen in dem kleinen Fischerdorf.

„Dass wir in einem Land wie Italien aktiv werden müssen, spricht für sich“, sagt Westphal. „Warum braucht es eine Nichtregierungsorganisation, die sich aus Spenden finanziert, um so grundlegende Hilfe zu leisten?“ Insgesamt sind derzeit mehr als 5000 Mitarbeiter für Ärzte ohne Grenzen im Einsatz. 50 Helfer stammen aus Deutschland. Die Organisation finanziert sich zu mehr als 90 Prozent aus Spenden, die sich im vergangenen Jahr auf 113,4 Millionen Euro beliefen. „Wir fordern von öffentlichen Geldern finanzierte Rettungsaktionen, solange sie gebraucht werden“, sagt Westphal. „Außerdem legale Wege für Menschen, die fliehen müssen, um in die EU zu gelangen.“ […]

Kommentare geschlossen.