09. Mai 2015 · Kommentare deaktiviert für „Gestrandet in Nordafrika“ – n-tv · Kategorien: Ägypten, Mittelmeer, Syrien · Tags:

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Warum Syrer nicht in Ägypten bleiben

Von Sofian Philip Naceur, Alexandria

Während in Berlin über die Finanzierung der Flüchtlingsversorgung gestritten wird, geht der Exodus syrischer Flüchtlinge aus ihrer Heimat unvermindert weiter. Hunderttausende Syrer stecken in Ägypten fest. Sie wollen nur noch weg.

Die Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer haben in Deutschland die Debatte darüber neu entfacht, wer die Kosten für die Versorgung der Flüchtlinge übernehmen soll. An diesen Freitag diskutieren Bund und Länder im Berliner Kanzleramt, wie die Kosten verteilt werden. Derweil sterben vor Nordafrikas Küsten täglich Menschen bei dem Versuch, nach Europa überzusetzen. Nach wie vor wagen viele Flüchtlinge die Überfahrt, da sie ein Leben in ihrer Heimat oder in Transitländern wie Ägypten nicht mehr aushalten.

So auch Ribal. Elf Mal hat er es bereits versucht, elf Mal ist die Überfahrt nach Europa misslungen. Dennoch wird Ribal, der seinen richtigen Namen nicht nennen will, auch den zwölften Anlauf wagen. Denn hier in Ägypten gibt es weder Hoffnung für ihn noch eine Perspektive für seine Kinder. „Die Schulen hier sind sehr schlecht und Arbeit gibt es ja nicht mal für Ägypter“, sagt er frustriert und setzt seinen Gang an der Uferpromenade der Mittelmeerstadt Alexandria fort. Seine Frau und seine fünf Kinder sind bereits in Europa und derzeit auf dem Weg nach Deutschland. Er selbst muss weiter warten, denn die Reise will finanziert werden. Rund 2000 Euro kostet die Überfahrt pro Person, und Ribals Brieftasche ist leer. Daher hilft er Schleppern, Passagiere zu finden. Als Entlohnung soll er einen kostenlosen Platz in einem Boot bekommen.

Auch Abu Amar will weg aus Alexandria. Zusammen mit seiner Mutter und vier seiner Kinder lebt er in einer kleinen Zweizimmerwohnung in einem Vorort außerhalb der Stadt. Die Miete hier sei billiger und sie hätten Kontakt zu anderen syrischen Familien. Im Gebäude gegenüber leben fast nur Syrer, erzählt er. Mit Ägyptern habe die Familie wenig zu tun. Abu Amar will seinen richtigen Namen ebenfalls nicht nennen, aus Vorsicht, wie er sagt. Die Ressentiments der Einheimischen gegenüber Flüchtlingen und Migranten, insbesondere aus Syrien, seien überall zu spüren. „Egal, wo du hingehst, die Leute sagen zu dir, du bist ja Syrer. Sie sagen das so angewidert, als wären wir eine Plage.“

„Ich will nicht, dass meine Kinder in Ägypten aufwachsen“

Das bekommen auch seine Töchter zu spüren. Sie dürfen eine staatliche Schule besuchen, tauchen dort aber nur noch für die Prüfungen auf. Aus Angst vor Jugendbanden, die sie aufgrund ihrer Herkunft anpöbeln und sexuell belästigen, trauen sie sich kaum noch aus dem Haus, vor allem nicht mehr in die Schule. Auch deshalb will Abu Amar weg. Er hofft auf ein besseres Leben in Europa. „Ich will einfach nicht, dass meine Kinder in Ägypten aufwachsen“, sagt er entschlossen.

Alexandria ist zum wichtigsten Abfahrtshafen für Flüchtlinge und Migranten am Nil geworden. Die Stadt sei heute der Hauptumschlagsplatz für in Ägypten lebende Menschen, die nach Europa weiterreisen wollen, sagt Mohamed Kashef von der Menschenrechtsorganisation „Egyptian Initiative for Personal Rights“ (EIPR). Allein in Alexandria lebten Ende 2014 rund 90.000 Syrer, schätzt Mohamed. Inzwischen habe etwa die Hälfte davon Ägypten in Richtung Libyen oder direkt nach Europa verlassen.

Gleichzeitig ziehen immer neue Syrer aus Kairo nach Alexandria – schließlich lässt sich die Reise über das Mittelmeer von hier aus einfacher organisieren. Die Küstenwache fängt inzwischen jedoch fast täglich Schlepperboote ab. Daher riskieren viele zunehmend den gefährlichen Weg durch das vom Bürgerkrieg zerrissene Nachbarland Libyen. Hat man es erst einmal nach Libyen geschafft, ist der Seeweg nach Europa kürzer. Trotz des Bürgerkriegs seien die libyschen Schleppernetzwerke nach wie vor intakt, erzählt Mohamed.

„Wer den Krieg gesehen hat, hat keine Angst mehr“

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation und des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) leben rund 250.000 syrische Flüchtlinge in Ägypten. Nach Ausbruch des Kriegs in ihrer Heimat waren sie in Ägypten durchaus willkommen. Doch mittlerweile lässt die Regierung in Kairo keine Syrer mehr einreisen. Viele flüchten daher aus Syrien in den Sudan und kommen von dort nach Kairo oder Alexandria, wo sie auf eine Gelegenheit warten, nach Europa überzusetzen.

Die jüngsten Bootsunglücke im Mittelmeer schrecken die Reisewilligen ebenso wenig ab wie die die Bilder von überfüllten Flüchtlingslagern in Griechenland, weiß Mohamed Kashef. Ihre Lage in Transitländern wie Ägypten ist so prekär und so hoffnungslos, dass kaum einer bleiben will. Menschen wie Abu Amar oder Ribal sind zudem finanziell von der bescheidenen Hilfe des UNHCR abhängig. Arbeit zu finden, ist aufgrund der angespannten Wirtschaftslage Ägyptens, aber auch wegen des Rassismus gegenüber Syrern, schwierig. Daher entscheiden sich viele für das Risiko einer von Schleppern organisierten Überfahrt. Wenn nötig, sogar zwölf Mal. „Wer den Krieg in Syrien gesehen hat, die Bomben und den Tod, der hat keine Angst mehr vor dem Ertrinken“, sagt Ribal.

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