08. Juli 2012 · Kommentare deaktiviert für B4p Interview mit Nicanor Madueño Haon (2) · Kategorien: Italien, Libyen, Tunesien · Tags: ,

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Nicanor Madueño Haon, Aktivist bei GISTI (Groupe d’Information et de Soutien aux Immigrés; „Gruppe für Information und Unterstützung von Flüchtlingen“) und Teilnehmer am Tunesischen Forum für Wirtschaftliche und Soziale Rechte, ist der Koordinator in Tunesien für das Projekt Boats4People. Wir haben ihm ein paar Fragen gestellt, um mehr über die Entwicklung des Projekts und das Thema Migration im Mittelmeer zu erhalten.

Das Projekt Boats4People, welches vor einem Jahr auf dem Internationalen Antirassistischen Treffen initiiert wurde, hat endlich begonnen, mit Abfahrt des Seglers „Oloferne“ vom Hafen von Rosignano in der Toskana.  Wie hat sich das Projekt über das letzte Jahr entwickelt?

Wir haben mit Null angefangen. Wir hatten noch nie ein Boot verwendet, wussten nichts über Seerecht und hatten kaum Augenzeugenberichte und keine Erfahrung in Ländern wie Lybien und Tunesien. Um mehr zu erfahren trafen wir Seeleute, Aktivisten, die auf offener See gearbeitet haben und Erfahrung hatten, sowie einige Anwälte und Forscher, die sich auf Seeaktionen spezialisiert haben. Wir haben auch selbst nachgeforscht und Berichte gesammelt. In Tunesien traf ich Leute aus dem Lager in Choucha, die versucht hatten, über das Meer nach Italien zu gelangen. Dann haben wir Organisationen aus Tunesien, Marokko und Mali kontaktiert und angefangen mit deutschen, österreichischen und niederländischen Organisationen zusammenzuarbeiten, die uns sehr geholfen haben die Demo zu organisieren und Geld zu sammeln. Wir haben viel Zeit in die Kommunikation gesteckt, in Newsletter, Flyer, Facebook und Twitter und in eine offizielle Seite in fünf Sprachen. Schließlich haben wir Versammlungen organisiert in  Tunesien, Frankreich und Deutschland, um ein öffentliches Bewusstsein zu schaffen. Wir haben mit nichts angefangen und haben ein Netzwerk im Mittelmeer und in Europa ins Leben gerufen und am Ende sogar ein Boot gefunden.

Was fordert B4P von europäischen und nordafrikanischen Organisationen?

Zuerst wollen wir, dass die Bewegungsfreiheit garantiert wird und dass die Tragödien auf offener See aufhören. Wir fordern auch, dass keine Vereinbarungen mehr zwischen Europa und Afrika unterschrieben werden, die zur Verfolgung von MigrantInnen und HelferInnen führen. Wir wollen außerdem, dass Grenzkontrollen durch Organisationen wie Frontex aufhören und dass es Gerechtigkeit geben soll für diejenigen, die auf See gestorben sind und dass die Verantwortlichen identifiziert und vor Gericht gebracht werden.

Was unternehmt ihr außer dieser symbolischen Aktion, um eure Ziele zu erreichen?

Wir wollen ein Netzwerk aus Seeleuten schaffen, um Berichte zu sammeln und die Situation auf dem Meer besser zu überblicken. Mit Hilfe verschiedener Gruppen wie Vela Solidale, Nave di Varta oder der Fischer von Monastir wollen wir Informationen über das Geschehen im Mittelmeer Sammeln. Wir führen verschiedene Prozesse und unterstützen solche, wie die der vermissten Tunesier. Wir bieten auch Rechtshilfe für Überlebende und Seeleute. Unsere Bootsfahrt ist nur symbolisch, aber Boats4People besteht aus vielen „unsichtbaren“ Aktivitäten im Hintergrund.

Wie kamst du dazu, dich mit Immigration zu befassen?

Ich habe an der Universität von San Diego studiert, direkt an der Grenze zwischen den USA und Mexiko. Hier war ich in verschiedenen Vereinen aktiv. Dann reiste ich nach Ägypten mit Gruppen, die sudanesische Flüchtlinge unterstützen.  In Frankreich war ich bei GISTI aktiv, einem Verein der Rechtshilfe für Immigranten bietet. Ich reiste ebenfalls zu einem Gefängnis in der Nähe von Paris, mit einer Organisation, die Hilfe für Ausländer in Abschiebehaft leistet. Heute arbeite ich mit Boats4People, aber das ist eine Folge meiner vorherigen Arbeit.

Anna Maria Cancellieri (Innenministerin der Regierung Monti seit November 2011) hat vor kurzem ein Einwanderungsabkommen mit Lybien und Tunesien unterschrieben, von dem niemand genau weiß, was darin steht. Du lebst in Tunesien; weißt du mehr über dieses Thema?

In Tunesien habe ich mit dem Tunesischen Forum für Wirtschaftliche und Soziale Rechte gearbeitet, welches Klarheit über diese Abkommen gefordert hat, aber die Regierung will keine weiteren Details nennen. Es gibt zahlreiche Versionen und die tatsächliche Sachlage kennt niemand. Wie auch in Europa, so kämpfen auch wir, um Zugang zu diesen Texten zu erlangen.

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