21. Juli 2012 · Kommentare deaktiviert für Düsseldorf: Reportage (1) · Kategorien: Allgemein · Tags:

http://www.dw.de/dw/article/0,,16098902,00.html

Zeltlager gegen Flüchtlingspolitik

In Köln haben Hunderte Menschen das „No Border Camp“ errichtet, um auf die Probleme von Flüchtlingen in Deutschland und Europa aufmerksam zu machen. Darunter sind auch Asylbewerber, die eigentlich nicht da sein dürften.

A. wirkt etwas verloren zwischen den gerade aufgebauten Zelten des „No Border Camps“, die in den nächsten Tagen sein Zuhause sein werden. Aber „Zuhause“ – was ist das schon für ihn, der aus der Elfenbeinküste nach Deutschland gekommen ist, um Asyl zu beantragen? In Köln will A. gegen seine Lebensbedingungen protestieren.

Residenzpflicht für Asylbewerber
„Es war nicht leicht, mein Land zu verlassen“, erinnert sich A. „Es war eine Flucht. In meinem Heimatland war Krieg. Ich hatte auch private Probleme.“ Mit dem Flugzeug ist er nach Deutschland gekommen, jetzt soll entschieden werden, ob er bleiben darf. Im Alltag ist er mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert. „Ich wohne in einem Auffanglager. Das Essen ist nicht gut, ich wohne mit vier Leuten auf dem Zimmer, es ist sehr eng. Ich bekomme nur 40 Euro im Monat. Das ist ein unmenschliches Leben“, klagt A.

Seinen Namen und sein Alter will er nicht in den Medien lesen, und auch, wo in Deutschland das Auffanglager liegt, verschweigt er lieber. Grund ist die ihm von den deutschen Behörden auferlegte „Residenzpflicht“. Diese besagt, dass ein Asylbewerber nicht den Landkreis verlassen darf, in dem er registriert ist. Ein Wochenendtrip nach Berlin oder München – für A. undenkbar, weil er damit seine Abschiebung riskieren würde. “ Das ist wie ein Leben im Gefängnis“, sagt er. Auch die Reise nach Köln ist für ihn ein Risiko. Doch die Möglichkeit zu protestieren, ist es ihm wert.

Zehntausende Asylbewerber pro Jahr in Deutschland
Dass Menschen wie A. mit ihrer Reise nach Köln ein hohes Risiko eingehen, weiß auch Maria Sopala, die das Camp mit aufgebaut hat: „Das ist immer der Zwiespalt: Auf der einen Seite wollen wir, dass die Leute herkommen. Auf der anderen Seite können wir ihnen nicht garantieren, dass ihnen keine Repressionen widerfahren.“

Maria Sopala und die anderen Organisatoren wollen mit dem „No Border Camp“ auf die Belange von Asylbewerbern aufmerksam machen. „Wir denken immer sehr aus unserer ‚weißen‘ Position heraus. Ich als ‚weiße Deutsche‘ habe diese Bewegungsfreiheit“, sagt Sopala. „Für viele Menschen trifft dies aber nicht zu. Dazu zählen Menschen, die keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben, oder die ihre Länder verlassen mussten oder wollten.“

Maria Sopala läuft über den Platz und blickt kritisch prüfend zum Himmel: Für die kommenden Tage ist Dauerregen angesagt. Der wird die Camper nicht abschrecken, hofft sie.

Denn das Thema ist ihr wichtig: Zwischen 30.000 und 50.000 Menschen pro Jahr stellen in Deutschland einen Antrag auf Asyl. Bis das Bewerbungsverfahren abgeschlossen ist, vergehen oft Monate. Eine Zeit der Ungewissheit für die Betroffenen, weiß Maria Sopala: „Deren Kämpfe sind ganz alltägliche Kämpfe: Woher bekomme ich etwas zu Essen? Wie bekomme ich eine Verlängerung meiner Duldung? Wie schaffe ich es, meinen Asylantrag durchzubekommen? Sie alle versuchen, sich möglichst unauffällig zu verhalten.“

Protestaktionen, Workshops und Konzerte

Nur wenigen Prozent gelingt es, ihren Antrag auch tatsächlich durchzubekommen. Die meisten anderen werden direkt ins Flugzeug gesetzt und müssen in ihr Heimatland zurückkehren.

Nicht zufällig findet das „No Border Camp“ in Köln statt: Von hier aus wollen die 1000 erwarteten Teilnehmer mehrmals zum nahen Düsseldorfer Flughafen fahren, um sich dort Gehör zu verschaffen. „Unser Schwerpunkt sind die Sammelabschiebungen“, sagt Sopala. „Aus Düsseldorf werden vor allem Sinti und Roma nach Serbien und in das Kosovo abgeschoben.“

15 große Zelte stehen auf der Wiese am Rhein, in Reih und Glied angeordnet. Das größte steht etwas abseits, fällt trotzdem sofort auf: Es ist rund, gelb-rot gestreift und erweckt den Eindruck, als hätte ein Dorfzirkus hier Station gemacht, als würden gleich Ponys und Clowns auftauchen. Stattdessen wird hier über Themen wie „Arbeit, Migration & Anlaufstellen“ oder „Sexarbeit und Migration“ diskutiert. Die Teilnehmer wollen nach Lösungen suchen, wie das Leben von Asylbewerbern in Deutschland und dem Rest der EU verbessert werden kann. Es gibt Vorträge und Workshops, aber auch der Spaß soll nicht zu kurz kommen: Am Wochenende gibt es ein Kulturprogramm und Konzerte.
Hoffnung auf bessere Asylbedingungen
A. sieht den kommenden Tagen mit Zuversicht entgegen. Er hofft, mit dem Lager etwas an der Situation der Asylbewerber ändern zu können. „Ich hätte nicht gedacht, dass Deutschland seine Flüchtlinge so behandelt. Wenn man mir das früher gesagt hätte – ich hätte es nicht geglaubt“, resümiert A.

In ein anderes europäisches Land weiterzuziehen und dort um Asyl zu bitten, ist für ihn nicht möglich. Nach dem sogenannten Dublin-II-Abkommen kann er nur in einem EU-Land Asyl beantragen – dort, wo er das erste Mal europäischen Boden betreten hat. „Ich will nicht das Geld der Deutschen – darum geht es gar nicht“, sagt A. Was er will, ist das, was er als das natürliche Recht eines jeden betrachtet: zu leben und zu arbeiten an einem frei gewählten Ort – wo auch immer in der Welt das ist.

21. Juli 2012 · Kommentare deaktiviert für Düsseldorf: AktivistInnen besetzen frz. Generalkonsulat und Grünen-Geschäftsstelle · Kategorien: Allgemein · Tags: ,

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/aktivisten-besetzen-generalkonsulat-und-gruenen-geschaeftsstelle-a-845624.html

http://www.n-tv.de/politik/Aktivisten-besetzen-Gruenen-Buero-article6781976.html

http://www.rp-online.de/region-duesseldorf/duesseldorf/nachrichten/polizei-raeumt-gruenen-geschaeftsstelle-1.2917056

21. Juli 2012 · Kommentare deaktiviert für B4p Kommuniqué Nr. 10 · Kategorien: Nicht zugeordnet · Tags: , , , ,

Kommuniqué Nr. 10

Die erste Aktion von Boats4people auf See war ein Erfolg, aber an den Seegrenzen der EU wird weiterhin gestorben

Lampedusa, 20.07.2012

Am 19. Juli liefen auf Lampedusa die letzten Aktionen von Boats4people auf See. In den kommenden Wochen werden die UnterstützerInnen und AktivistInnen von Boats4people eine Auswertung der Aktionsreihe vornehmen und die Zukunft des Projekts besprechen. Die Mittelmeerüberquerungen von Boats4people waren ein Erfolg. Nichtsdestotrotz waren die letzten Wochen von zahlreichen tragischen Vorfällen gekennzeichnet. Sie bewiesen aufs Neue, dass die Schließung der EU-Grenzen tödliche Folgen hat.

Vor einem Jahr stieg die Zahl der Toten im Mittelmeer weiter an, obwohl die Meer-Überwachung im Rahmen der Militärintervention in Libyen außerordentlich verstärkt worden war. Angesichts dieser Situation entstand die Idee, mit einem Schiff der Solidarität loszufahren. Daraus wurde die Koalition Boats4people. Deren Organisationen setzten die Idee praktisch um.

Boats4people ist an Bord des Motorseglers Oloferne in italienischen Gewässern von Rosignano nach Palermo und weiter nach Pantelleria gefahren, dann nach Tunesien zu den Häfen in Monastir und Ksibet el Mediouni, um die Reise schließlich auf der italienischen Insel Lampedusa abzuschließen. Eine Solidaritätsbewegung hat Verbindungen zwischen dem nördlichen und südlichen Ufer des Mittelmeers geschaffen. Nach jedem Streckenabschnitt gab es Treffen mit MigrantInnen, AktivistInnen, JournalistInnen wie auch mit den lokalen Behörden. Boats4people hat seinen Kampf mit dem Kampf der tunesischen Angehörigen toter oder auf See vermisster MigrantInnen verbunden; die Familien fordern Antwort auf ihre Fragen und Gerechtigkeit. Boats4people hat sich ebenfalls dem Kampf der AsylantragstellerInnen, der Flüchtlinge und “Abgelehnten” des Lagers Choucha in Tunesien angeschlossen, die Schutz, Zugang zum Resettlement-Verfahren und bessere Lebensbedingungen brauchen. Bei jedem dieser Treffen haben die Boats4people-AktivistInnen die Notwendigkeit unterstrichen, dass es endlich Bewegungsfreiheit und Solidarität im Mittelmeer geben muss. Überall in Europa kam es zu Unterstützungsaktionen für Boats4people: in Calais, Strasbourg, Frankfurt, Hamburg, Paris, Amsterdam, Tilburg und in vielen anderen Städten.

Das war eine Kollektiverfahrung, die das Boats4people-Projekt und die Kampfperspektiven für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen bestärkt hat. Nicht vergessen sind die tragischen Vorfälle, die im Laufe dieser Wochen passiert sind. Delegationen von Boats4people haben im Mittelmeerraum dazu Informationen und Augenzeugenberichte gesammelt, die auf der Plattform WatchTheMed veröffentlicht wurden.

In den letzten Wochen sind 94 Flüchtlinge und Migrantinnen in Malta und 314 in Italien angekomen (60 auf Lampedusa, 62 in Portopalo, 40 auf Pozzallo, 25 in Kalabrien und 127 in Bari). Aber mindestens 3 MigrantInnen sind in Monastir ertrunken, als ihr Boot gekentert ist, auf dem sie zu 22 Personen am 3. Juli losgefahren sind – nach dem ersten Reisetag von Boats4people. In den folgenden Tagen wurde den AktivistInnen von Boats4people berichtet, dass ein Boot mit 89 Flüchtlingen kurz nach Abfahrt aus Tripolis Schiffbruch erlitten hat und die Hälfte der Passagiere ertrunken ist. Dann hat eine Delegation von Boats4people A. S. aufgesucht, den einzigen Überlebenden des Schiffunglücks, bei dem 55 Menschen umgekommen sind. Sie waren aus Tripolis mit einem Schlauchboot abgefahren, das Luft verlor und schließlich vor der libyschen Küste unterging. A. S. überlebte und trieb 14 Tage lang auf See, bis er schließlich von tunesischen Fischern bei Zarzis am 10. Juli gerettet wurde.

Diese Toten auf See muss man zu den 13.448 Toten hinzufügen, die an den EU-Grenzen zwischen 1988 und 2012 registriert wurden. Es sind Opfer eines europäischen Migrationssystems, das das Meer in eine tödliche Barriere für mehrheitlich NichteuropäerInnen verwandelt hat. Boats4people wird weiter zu diesen und anderen ähnlichen Vorfällen recherchieren, um mögliche Verletzungen des Rechts auf See und die politische Verantwortung der EU und anderer internationaler wie nationaler Einrichtungen öffentlich zu machen.

Boats4people hat bei seinen Überfahrten mit dem Motorsegler Oloferne keinen Flüchtling oder Migrant in Not direkt angetroffen. Aber die Crew hat sozusagen mit der Hand die Instrumente berührt, mit denen die EU-Seegrenze im Mittelmeer “sicher gemacht” wird. Am 15. Juli wurde die Oloferne von einem Patrouillenflugzeug von Frontex überflogen, der europäischen Agentur für die Kontrolle der Außengrenzen. Dann wurde die Oloferne zu Kontrollzwecken von der italienischen Küstenwache angehalten. Dieser Vorfall macht den Sinn der Kampagne von Boats4people deutlich, die auf jeden Fall Fortsetzung finden sollte: Solange keine Transparenz zu den Grenzkontrollen von Frontex und den nationalen Behörden hergestellt ist, wird die Präsenz auf See die einzige Möglichkeit sein, um “die Kontrolleure zu kontrollieren”.

Aus diesem Grund ist Boats4people nötiger denn je. Neue Aktionen werden folgen, und zwar solange, wie die Schließung der Grenzen mit ihren tödlichen Auswirkungen anhält.

Presse-Kontakte:

Filippo Miraglia (Italienisch) : +39 348 44 10 860

Lorenzo Pezzani (Italienisch / Englisch) : +39 340 77 51 303

Nicanor Haon (Französisch / Spanisch / Englisch) : +39 328 29 37 198 und +216 52 70 18 71

Kommuniqué Nr. 10 – 20.07.2012