27. August 2016 · Kommentare deaktiviert für „Einmal australische Hölle – und kein Zurück“ · Kategorien: Nicht zugeordnet · Tags:

Quelle: Die Welt

Australien verfrachtet Bootsflüchtlinge auf die kleine Insel Nauru. Dort werden sie verprügelt, missbraucht und vergewaltigt. Und in der reichen Industrienation will man von all dem nichts wissen.

Im Nachhinein wären sie wohl lieber in der Hölle geblieben. Doch nun sind sie gefangen auf einer Insel, auf Nauru. Hunderte Seemeilen sind es bis zur nächsten Nachbarinsel, 3000 Kilometer bis Australien. Dabei wollten die Flüchtlinge doch genau da hin, ins Land ihrer Träume. Und sie waren so nah dran, dort ein neues, besseres Leben zu beginnen: Ihr Boot war nicht gekentert, die australische Küstenwache hatte sie aufgegriffen. Aber sie kamen nicht nach Australien. Sie kamen nach Nauru – aus der Hölle in die Hölle.

Nauru

Eine Satellitenaufnahme des Flüchtlingscamps auf Nauru

Nauru ist der drittkleinste Staat der Welt, hier leben 10.000 Menschen auf einer Fläche in etwa so groß wie das Disneyland Paris. In den 70er-Jahren exportierte Nauru tonnenweise Phosphat. Heute importiert die bettelarme Insel Flüchtlinge aus Australien – gegen Bezahlung.

Rund 1000 Flüchtlinge, vorrangig aus Afghanistan, dem Iran, dem Irak sowie Sri Lanka, hausen hier in dem Flüchtlingscamp, das von einem privaten Unternehmen betrieben wird. Viele von ihnen wollen lieber sterben, als hier zu leben; wo sie verprügelt, missbraucht und vergewaltigt werden, vor allem die Frauen und Kinder. Das zeigen nun öffentlich gewordene Berichte, in denen Sozialarbeiter, Lehrer, Ärzte und Wärter die Zustände im Camp dokumentieren.

Einer schluckte Steine

Wo er denn hier Kugeln auftreiben könne, habe ein Flüchtling den Sozialarbeiter gefragt – damit ihn endlich jemand erschießen könne. Eine Frau habe wissen wollen, ob man sich noch an das ertrunkene Kind erinnere, das an den türkischen Strand gespült wurde. Ihr ungeborenes Baby werde das nächste sein, wenn sie es mit ins Meer nehmen werde.

Häufig sind das grausige Worte, manchmal folgen schreckliche Taten, wie aus den Berichten hervorgeht. Einige schlitzten sich die Handgelenke auf, zwei zündeten sich an, manche tranken Putzmittel, einer schluckte Steine, andere hängten sich auf. Manche sterben, viele werden gerettet – gegen ihren Willen. Sie wollen noch einmal fliehen, diesmal in den Tod.

Der Grund: die unerträglichen Zustände auf Nauru. Nach den Berichten, die dem „Guardian“ zugespielt worden sind, ist es im Zeitraum zwischen Mai 2013 und Oktober 2015 zu 2116 Fällen von Gewalt, Missbrauch und Selbstverletzung gekommen – das sind durchschnittlich zwei Vorkommnisse pro Flüchtling. Die Berichte stützen sich auf die Aussagen der Flüchtlinge, einige werden vom Personal bestätigt.

Eine Kultur der Gesetzlosigkeit

2013 erreichten noch 20.000 Flüchtlinge Australiens Küste, inzwischen kommen nur noch vereinzelt Boote an, wie Hilfsorganisationen bestätigen. Die Abschreckung scheint zu funktionieren – mit menschenunwürdigen Mitteln. Europäische Politiker hielten bis vor Kurzem die „australische Lösung“ für eine gute Idee. Viele nehmen heute davon Abstand, jedoch nicht alle: Österreichs Außenminister Sebastian Kurz meint, man müsse von den Australiern lernen, auch wenn er das Konzept nicht „eins zu eins“ kopieren wolle.

Auf Nauru werden vor allem Kinder zu Opfern. Sie werden geschlagen und misshandelt, wie die Berichte zeigen: In einem Fall habe ein Wärter einen Jungen am Hals gepackt, seinen Kopf auf den Boden gedroschen und einen Stuhl auf ihn geschleudert. Ein anderer soll Kindern erlaubt haben, länger zu duschen, wenn sie zu sexuellen Gefälligkeiten bereit waren. Viele Vorfälle würden nicht verfolgt, selbst wenn es Zeugen gäbe, berichteten Sozialarbeiter dem „Guardian“. Die Folge: eine Kultur der Gesetzlosigkeit. Die Fälle blieben unaufgeklärt, die Täter im Job.

In Wirklichkeit sei die Lage sogar noch schlimmer, als in den Berichten dargestellt, behaupten die Helfer. Frauen würden jede Nacht misshandelt. Nachdem eine Lagerbewohnerin einem Angestellten der Betreiberfirma erzählt habe, vergewaltigt worden zu sein, habe der ihr entgegnet: „Das, was dir widerfahren ist, ist genauso gewöhnlich, wie ins Bad zu gehen oder etwas zu essen. Vergewaltigungen in Australien sind total normal, und Vergewaltiger werden nicht bestraft.“ Es wäre am besten für sie, den Vorfall einfach zu vergessen.

Australiens Premier verteidigt harten Kurs

Manche der Flüchtlinge sitzen seit über drei Jahren auf Nauru fest. Sie kommen nicht weg. Keinem von ihnen wird jemals vergönnt sein, wofür sie ihr Leben riskiert hatten: in Australien zu leben. Selbst wenn ihr Asylantrag angenommen wird, müssen sie auf Nauru bleiben. Alternativ können sie nach Kambodscha umsiedeln – oder eben in ihre Heimat zurückkehren.

Der australische Einwanderungsminister Peter Dutton spielt die nun veröffentlichten Vorfälle herunter. Einige Geschichten seien erfunden. Und manche Flüchtlinge würden sich nur verletzen, um endlich nach Australien zu kommen. „Denn letztlich haben diese Leute Menschenhändlern Geld gezahlt und wollen in unser Land.“

Der harte Kurs wird auch vom konservativen Regierungschef Malcolm Turnbull unterstützt: „Wir haben die Menschenschmuggler gestoppt und damit verhindert, dass Flüchtlinge bei der Überfahrt auf hoher See ertrinken. Deshalb müssen wir weiter unsere Grenzen schützen. Und das werde ich tun, solange ich Premierminister von Australien bin.“

Die meisten Flüchtlinge werden weit draußen in den australischen Hoheitsgewässern abgefangen, mit dem Nötigsten, also Wasser, Nahrung und Schwimmwesten, ausgestattet und entgegen der Menschenrechtskonvention dorthin geschickt, von wo sie aufgebrochen waren – nach Sri Lanka, Indonesien oder Vietnam. Nur jene Flüchtlinge, die es vorerst an der Küstenwache vorbeischaffen und auf australischen Inseln stranden, werden nach Nauru gebracht.

„Systematischer Missbrauch“

Wie rigoros Australien vorgeht, belegen Aussagen einer Soldatin. Die Marine solle Flüchtlinge erst an Bord nehmen, sobald sie sich auf australischen Gewässern befänden, sagte sie dem Fernsehsender ABC. Ein in Seenot geratenes Schiff habe man einfach untergehen lassen.

Die Vereinten Nationen (UN) sowie die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International (AI) und Human Rights Watch fordern seit langer Zeit, die Lager zu leeren und die Flüchtlinge nach Australien zu bringen. Was auf Nauru passiere, sei Folter, sagen die UN. Um Flüchtlinge abzuschrecken, mache die australische Regierung den Menschen das Leben zur Hölle. „Man kann das Ganze nur als absichtlichen und systematischen Missbrauch bezeichnen“, sagte Menschenrechtlerin Anna Neistat von AI dem Sender ABC.

Die australische Regierung bestreitet das. Sie unterstütze Nauru dabei, für die Gesundheit, das Wohlergehen und die Sicherheit von Flüchtlingen zu sorgen. Für die Missstände sei aber die Betreiberfirma verantwortlich. Australien schiebt seine Probleme weg – 3000 Kilometer weit.

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