Tagesthemen-Europa-Tour

„In diesen Zäunen verbluten Menschen“

Der Besuch in Spaniens afrikanischer Exklave Melilla zeigt zu Beginn der Europa-Tour, wie verlogen Europa ist. Die EU zeigt sich hier als die Festung, die sie offiziell nicht sein will. Eine Strategie, wie die Gründe für die lebensgefährliche Flucht vieler Afrikaner bekämpft werden können, fehlt.

Von Rolf-Dieter Krause, ARD-Studio Brüssel

Der erste Tag meiner Europa-Tour: Melilla. Auf den ersten Blick aus der Luft eine Stadt wie viele am Rand des Mittelmeeres. Aber es ist auch ein Ort, an dem mir Europa ziemlich verlogen vorkommt.

Ich stehe das erste Mal an dem berüchtigten Zaun, der Europa von Afrika trennt. Der Zaun ist sechs Meter hoch und zieht sich in drei Reihen zwölf Kilometer rund um die Stadt Melilla. Die Grenzpolizisten patroullieren im Minutentakt. Und das alles nur, damit keiner durchkommt. Europa will keine Festung sein. Sagt es. Aber was anderes ist das als eine Festung, frage ich mich?

Eine Festung, die sie trotzdem immer wieder zu stürmen versuchen. Sie kommen aus Syrien oder den Tiefen Schwarzafrikas, wer es auch nur bis oben an die Spitze des Zauns geschafft hat, hat sich an den Rasiermesser-scharfen Klingen des Stacheldrahtes bereits tiefe Fleischwunden zugezogen, mindestens.

Die Flüchtlinge bekommen ein Gesicht

In Melilla wird etwas sichtbar, was wir sonst gar nicht mitbekommen. Die Menschen, die das Risiko auf sich nehmen, auf ihrem Weg nach Europa zu sterben, bekommen hier ein Gesicht. In dem Auffanglager von Melilla komme ich mit mehreren jungen Männern ins Gespräch. Sie zeigen mir die Narben, die fast jeder hat. Sie stammen vom Zaun. Es war schlimm, sagen sie, aber die wirklich schlimmen Fälle bekäme ich nicht zu sehen, die könnten das Lager nicht verlassen.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendeinen halbwegs vernünftigen Menschen kalt lässt, wenn Menschen hier in den Zäunen verbluten oder im Mittelmeer ersaufen, nur, weil sie ein besseres Leben suchen.

Massenansturm ohne Erfolg

Am Tag nach meinem Besuch in dem Auffanglager lese ich in der Zeitung, am Nachmittag habe es wieder zwei Massen-Anstürme auf den Zaun gegeben. Siebenhundert Menschen haben es versucht, keiner hat es geschafft. Trotzdem glaube ich, es wird kein Zaun hoch genug, kein Meer breit genug sein, um die Flüchtlinge abzuhalten.

Dass die Probleme Afrikas nicht in Europa gelöst werden können, wissen wir. Aber seit Jahren redet Europa davon, die Fluchtgründe in Afrika zu bekämpfen, nur: Eine wirksame Afrika-Strategie, eine wirksame Afrika-Politik gibt es bis heute nicht.

Die Reportage von Rolf-Dieter Krause kann auf der Seite der Tagesschau heruntergeladen werden:

Europa-Tour: Rolf-Dieter Krause in Melilla | tagesschau.de