10. Mai 2018 · Kommentare deaktiviert für Flüchtlinge in Nordost-Griechenland: „Unglaublich hart war das“ · Kategorien: Griechenland, Türkei · Tags:

ARD Tagesschau | 10.05.2018

Immer mehr Flüchtlinge überqueren den türkisch-griechischen Grenzfluss Evros. Sie berichten von ihrem harten Weg – und hoffen auf eine Chance in der EU. Die Anwohner machen sich Sorgen.

Von Michael Lehmann, ARD-Studio Athen

Knapp 4000 Menschen sind im April über den Fluss gekommen – das ist eine alarmierend hohe Zahl für eine so dünn besiedelte Region wie den Nordosten Griechenlands. Diese dünn besiedelte Gegend an der Grenze zur Türkei erlebt in diesen Tagen einen neuen Flüchtlingsstrom. Er führt über den Grenzfluss Evros, und niemand weiß, ob er noch stärker wird.

Es ist eine Flucht per Schlauchboot oder zu Fuß – vielleicht nicht ganz so gefährlich wie in den kühleren Monaten – doch die Menschen, die die Flucht geschafft haben, wirken erledigt: „Ich bin sehr, sehr müde. Mir geht es wirklich schlecht“, sagt Omar Walid aus Aleppo, ein Syrer, der vor allem auf den Boden schaut.

„Hier ist es jetzt gut, aber der Weg, der hinter uns liegt, war richtig übel“, sagt er. „Manche sind verängstigt nach ihrer langen Flucht.“ Letzte Station war die Türkei. Verhandlungen, Geheimabsprachen mit Schleppern – und dann: Griechenland. Aber es gibt keine Willkommensschilder. Wieder können sie sich nicht wirklich in Sicherheit fühlen, obwohl der Weg nach Europa geschafft ist.

„Schickt uns nicht wieder heim!“

Maya, eine Frau Ende 20 aus der syrischen Flüchtlingsgruppe, erzählt ein wenig ausführlicher:

„Die Strecke, die wir gemacht haben, hat uns geschafft. Wir haben uns aus dem Krieg davongemacht, niemand ist zu Hause geblieben – wir wurden bekämpft, bis wir abgehauen sind. Deshalb sind wir hier. Unglaublich hart war das, sich durchzuschlagen.“

Mit den Kindern seien sie zuletzt mehr als 13 Stunden ohne Pause gelaufen. Sie erhofften sich humanitäre Hilfe: „Schickt uns nicht wieder heim, denn wir sind aus dem Krieg abgehauen. Wir hoffen, dass Ihr uns nicht zurückschickt“.Mit „Ihr“ scheint sich die junge Syrerin an ganz Europa zu wenden. Zunächst einmal aber haben es die in diesen Wochen neu über den Evros nach Griechenland Geflüchteten ein paar Tage mit der Polizei zu tun.

Die Polizei sagt nichts

Eine Polizistin auf der Wache der Kleinstadt Soufli möchte erst Auskunft geben – auch zu dem offenbar konfiszierten Schleuser-Auto mit Karlsruher Kennzeichen im Innenhof der Wache. Personalien von Journalisten, die nachfragen, werden auf der Wache minutenlang geprüft. Freundliche Gesten, ein Telefonanruf bei Vorgesetzten: Nein, ohne Genehmigung des Migrationsministeriums sei im Moment hier gar nichts erlaubt für Journalisten. Ein letzter freundlich-strenger Blick: und bitte auf keinen Fall Fotos machen.

Sorgen macht sich auch der Bürgermeister von Oresitda, der größten griechischen Stadt hoch oben im Nordosten, Vasilis Mavridis. „Wenn dieser Flüchtlingsstrom so weiterläuft wie in den vergangenen Wochen, wird es sehr schwer werden, das Problem in den Griff zu bekommen“, sagt der Verwaltungschef.

Mit Bussen werden Flüchtlinge nach Thessaloniki geschickt. Dort sollen Flüchtlingslager wiedereröffnet werden, die 2015 Zigtausende Migranten aufgenommen hatten. Der Migrationsminister in Athen spricht von einer dramatischen Lage, der Ministerpräsident in Athen betont, wie viel Griechenland schon getan habe.

„Ein massives Problem“

Und bei den Hauptbetroffenen im Nordosten des Landes sagte es am deutlichsten der Vize-Bürgermeister von Orestiada, Dimitrios Pallas. Er ist der einzige Verantwortliche, der für ein ausführliches Interview in diesen Tagen Zeit hatte. „Wir haben tatsächlich ein massives Problem“, sagt er. Die europäische Grenzschutzagentur Frontex sei mit einem kleinen Kontingent da gewesen – jetzt sei von ihnen nichts mehr zu sehen.

Und da der Fluss in den Sommermonaten Niedrigwasser habe, könne man ihn leichter überqueren. „Griechenland ist aus Sicht vieler Flüchtlinge das erste Land in Europa, das sie erreichen können. Und so müssen wir sie empfangen – die meisten, die gerade kommen, sind Migranten aus Syrien, Irak und Pakistan.“

Es sind bange Tage im Nordosten Griechenlands – die Wirtschaftskrise hier hat die Menschen in den vergangenen Jahren besonders hart getroffen. Eine neue Flüchtlingskrise wollen sie sich wie auch immer möglichst schnell wieder vom Hals schaffen.

 

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