17. März 2018 · Kommentare deaktiviert für Bosnien-Herzogewina: Flüchtlinge, gestrandet auf der Balkanroute · Kategorien: Balkanroute

DW | 16.03.2018

Während der Flüchtlingskrise kamen hunderttausende Flüchtlinge über die Balkanroute in die EU. Seit zwei Jahren ist sie formal geschlossen. Einige versuchen trotzdem ihr Glück – und landen in Bosnien in einer Sackgasse.

Salim ist vor acht Monaten weggegangen aus Aleppo. Er ist Tausende von Kilometern gelaufen, über die Türkei, Griechenland, Albanien, Montenegro. Eigentlich möchte er nach Deutschland, aber jetzt ist er in Bosnien gestrandet. Am Morgen hat er zusammen mit einem Freund die bosnische Hauptstadt Sarajewo verlassen. Durch die verschneiten Berge sind sie 40 Kilometer zu Fuß bis nach Delijas gelaufen, um dort zu übernachten: „Wir waren im Asylzentrum, aber wir haben keine Unterkunft und nichts zu essen bekommen.“ Der Direktor der Unterkunft habe ihnen gesagt, dass das Camp voll sei. Jetzt haben sie sich in der Kälte auf den Rückweg gemacht, doch es wird langsam dunkel. Wo sie übernachten werden, wissen sie noch nicht: „Wir schlafen irgendwo, in verlassenen Häusern. Mal sehen…“

Die Geschichte von Salim ist kein Einzelfall. In den vergangenen Monaten ist die Zahl der Migranten in Bosnien und Herzegowina stark angestiegen. Während früher die Flüchtlinge überwiegend über Mazedonien und Serbien nach Westeuropa wollten, kommen jetzt immer mehr über die westliche Balkanroute. Doch auch hier ist der Weg nach Kroatien versperrt, und viele bleiben in Bosnien hängen.

Situation unter Kontrolle?

Dragan Mektic, der Sicherheitsminister von Bosnien und Herzegowina, betont, dass „die Situation nicht alarmierend sei“ und „die Behörden von Bosnien und Herzegowina den Prozess immer noch unter Kontrolle hätten“. Trotzdem gibt es wachsende Engpässe in der Versorgung und große Probleme in der Grenzsicherung. Deswegen müssen die Sicherheitsstrukturen finanziell besser ausgestattet und personell gestärkt werden. „Allein bei der Grenzpolizei haben wir jede fünfte Stelle frei. Wir benötigen etwa 500 Menschen mehr, um die Grenzen zu schützen“, sagt Mektic. Ein Aktionsplan, der vor einigen Jahren zu Beginn der Krise ausgearbeitet wurde, ist immer noch nicht umgesetzt.

Nach Angaben der Grenzpolizei wurden in der Zeit vom 1. Januar bis 11. März dieses Jahres 639 Menschen „bei dem Versuch, illegal die Staatsgrenze zu überqueren, oder unmittelbar danach aufgegriffen“. Das ist  im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Vorjahr eine deutliche Steigerung. Zusätzlich „wurden 661 Menschen an der Grenze zu Montenegro und Serbien von der Grenzpolizei dran gehindert, nach Bosnien zu gelangen“. Die meisten Migranten sind Syrer, gefolgt von Pakistanern, Libyern, und Afghanen.

Nachbarn kooperieren nicht

Unter Hinweis darauf, dass die Grenzpolizei von Bosnien und Herzegowina für die Sicherung von etwa 1000 Kilometern EU-Außengrenze verantwortlich sei, drängt Minister Mektic die westlichen Balkanländer zu einer gemeinsamen Lösung der Probleme. Er beklagt, dass sie sich nicht an die Abkommen über die Rückübernahme halten würden, sondern „die Migranten einfach zu den Nachbarn schicken“. In diesem Zusammenhang kündigte Mektic an, dass er eine aktive Beteiligung der Grenzpolizei der EU, Frontex, an den Grenzen von Bosnien und Herzegowina anstrebt.

Das Problem wurde auch vom Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) erkannt. „Das ist sicherlich eine große Herausforderung, vor allem für die staatlichen Institutionen von Bosnien und Herzegowina. Aber die Lage ist immer noch überschaubar“, sagt Neven Crvenkovic, Sprecher des UNHCR für Südosteuropa, der Deutschen Welle.

BiH ist ein Teil der Balkanroute

Nidzara Ahmetasevic, Journalistin und Aktivistin aus Sarajevo, hat in den letzten drei Jahren mit ihrer Freiwilligenorganisation „Are You Syrious“ (AYS) auf der Balkan-Route gearbeitet. „Zweifellos ist Bosnien und Herzegowina bereits seit langem ein Teil der Balkanroute, allerdings in viel geringerem Maße als etwa Serbien“, sagt Ahmetasevic der DW.

„Seit  November letzten Jahres sind allerdings viel mehr Menschen nach Bosnien und Herzegowina gekommen. Die meisten dieser Menschen haben sich für den Weg über BiH entschieden, weil Kroatiens Grenzpolizei mit brutaler Gewalt gegen Menschen vorgeht, die versuchen, in die EU zu gelangen“, sagt Ahmetasevic. Ein Tiefpunkt war der Tod der 6-jährigen Madine Hussinay, die von einem Zug überfahren wurde, nachdem ihre Familie von der kroatischen Polizei gezwungen wurde, nach Serbien zurückzukehren. „Das spricht sich herum. Menschen haben verstanden, dass man nicht mehr über Serbien nach Kroatien kommen kann und die Route hat sich verschoben in Richtung Bosniens und Herzegowinas.“

Auf der Suche nach dem Glück

In Bosnien befürchtet man, dass der Zustrom von Migranten nach Bosnien und Herzegowina größer werde, wenn das Wetter besser wird. Minister Dragan Mektic ist überzeugt, dass die meisten nicht bleiben wollen, sondern versuchen werden, Westeuropa zu gelangen. Nidzara Ahmetasevic will darüber nicht spekulieren. „Ich frage die Leute nicht aus. Sie sind so müde und erschöpft, sie haben so viele Dinge erlebt auf der Straße, und es ist nicht in Ordnung sie über ihre Pläne auszufragen“, sagt Ahmetasevic.

Manchmal erzählen sie aber von alleine. Ein 18-jährige Syrer, der lange alleine unterwegs war, sagte ihr: „Ich gehe dahin, wo ich glücklich sein werde.“ Wenn Bosnien ein Land ist, in dem er glücklich sein kann, wolle er hier bleiben. „Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob Bosnien und Herzegowina, so wie es jetzt ist, irgendeinen von uns, der hier lebt, glücklich macht. Deshalb denken auch wir jeden Tag daran, das Land zu verlassen. “

Und so wollen auch Salim und sein Freund nur irgendwie die kalten Tage überleben. Sobald es wärmer wird, haben sie nur ein Ziel: weiter nach Norden, dort hin, wo sie hoffen, in einem funktionierenden Staat studieren und arbeiten zu können. Salims Traum: nach Deutschland zu kommen, wo er einen Cousin hat, und dort wieder in seinem Beruf als Mechatroniker zu arbeiten.

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