18. Januar 2018 · Kommentare deaktiviert für „Russlands Privatarmeen operieren im rechtsfreien Raum“ · Kategorien: Afrika, Sudan · Tags:

NZZ | 17.01.2018

Die Kriege in der Ukraine und in Syrien haben in Russland private Militärfirmen zum Blühen gebracht. Der Kreml lässt sie im Nebel der Illegalität operieren und nutzt sie als neues Instrument seiner Aussenpolitik.

von Andreas Rüesch

Der russische Aussenminister Sergei Lawrow hat zu Wochenbeginn in seiner Jahrespressekonferenz auf einen wunden Punkt hingewiesen: Der Boom privater Sicherheitsfirmen, die im Ausland quasimilitärische Aufgaben übernehmen, spielt sich in einem völlig unregulierten Umfeld ab. Russland brauche eine präzise Gesetzesbasis, damit die Mitarbeiter solcher Firmen sich in einem rechtlichen Rahmen befänden und geschützt seien, sagte Lawrow.

Im Notfall ohne staatlichen Schutz

Die überraschende Äusserung des Ministers erfolgte vor einem doppelten Hintergrund: Zum einen erregt der Fall zweier Russen, die im vergangenen Herbst in Syrien der Terrormiliz Islamischer Staat in die Hände fielen und seither verschollen sind, bis heute Aufsehen. Aus einem Video der Entführer ging im Oktober hervor, dass die beiden bei Kämpfen westlich der Stadt Deir al-Zur in Gefangenschaft geraten waren. Moskau kam dadurch in Verlegenheit. Das Verteidigungsministerium bestritt, dass Mitglieder der russischen Streitkräfte betroffen waren. Die Behörden wollten anfangs nicht einmal anerkennen, dass es sich um russische Staatsangehörige handelte.

Doch Verwandte und Freunde bestätigten gegenüber Journalisten die Identität der beiden Entführten und erklärten, dass sie im Dienst eines privaten Militärunternehmens, der geheimnisumwitterten «Gruppe Wagner», nach Syrien in den Krieg gezogen seien. Der Bruder des einen Gefangenen beklagte sich gegenüber Radio Liberty bitter darüber, dass der Staat eine Privatarmee in den Kampf schicke und sich dann im Ernstfall vor der Verantwortung drücke. Zugleich wurde bekannt, dass die beiden Russen schon im Konflikt um die ostukrainische Donbass-Region gekämpft hatten, aufseiten der prorussischen Separatisten.

Zum anderen spiegelt Lawrows Äusserung wohl auch die Erwartung, dass Auslandeinsätze privater Sicherheitsfirmen weiter an Bedeutung gewinnen werden. Es geht dabei um einen lukrativen Markt, den lange Zeit vor allem amerikanische und britische Unternehmen beherrscht haben, auf dem aber seit einigen Jahren russische Akteure eine wachsende Rolle spielen. Anfang Januar meldete der Sender BBC unter Berufung auf Brancheninsider, dass die «Gruppe Wagner» seit kurzem auch im Sudan zum Einsatz komme.

Machtpolitik unter einem Deckmantel

Dass der Name dieses Staates genannt wird, lässt aufhorchen, denn Russland schenkt seit einiger Zeit der geopolitischen Bedeutung Nordafrikas wachsende Aufmerksamkeit. In Libyen gewährt es dem Kriegsherrn Khalifa Haftar politischen Rückhalt; der General wird regelmässig in Moskau empfangen. Mit Ägypten hat der Kreml kürzlich ein Abkommen über die Nutzung ägyptischer Militärbasen durch die russische Luftwaffe ausgehandelt. Und für den langjährigen Machthaber des Sudans, den wegen Kriegsverbrechen beim Internationalen Strafgerichtshof angeklagten Omar al-Bashir, rollte Moskau Ende November erstmals den roten Teppich aus. Bashir zeigte dabei nicht nur Interesse an russischen Rüstungsgütern, sondern lud den Kreml auch ein, eine Militärbasis in seinem Land zu errichten. Er erhofft sich davon ein Gegengewicht zu den USA. Welche Art von militärischen Dienstleistungen die «Gruppe Wagner» im Sudan erbringt, ist unbekannt. Sie dürften jedoch im Widerspruch zur russischen Gesetzgebung stehen, die private Militäreinsätze im Ausland verbietet.

Dass Aussenminister Lawrow den Wunsch nach einer Gesetzesregelung für Firmen wie die «Gruppe Wagner» geäussert hat, bedeutet nicht, dass er bald in Erfüllung geht. Denn im Sicherheitsapparat gibt es erhebliche Vorbehalte. Die Debatte darüber war 2012 in Gang gekommen, als sich Wladimir Putin, damals noch Ministerpräsident, in der Duma für die Schaffung eines Systems von privaten Sicherheitsfirmen aussprach. Diese könnten als Instrument zur Förderung nationaler Interessen dienen, ohne dass sich der Staat direkt beteiligen müsse, argumentierte er. Versuche einer gesetzlichen Regelung scheiterten jedoch 2014 am Widerstand von Militär und Geheimdiensten. Laut der Militärzeitschrift «Wojennoje Obosrenije» wirkte die Vorstellung von privaten bewaffneten Gruppen, die sogar in Konkurrenz zu den staatlichen Sicherheitsorganen treten könnten, abschreckend.

Aufschwung im Donbass-Krieg

Wichtiger dürfte ein anderer Grund gewesen sein: Zur selben Zeit zeigte sich im Ukraine-Krieg, dass der Staat private, in einer Grauzone operierende Truppen für seine eigenen Interessen nutzen kann. Moskau hat eine direkte Beteiligung am Konflikt im Donbass stets zu vertuschen versucht. Auch wenn es inzwischen eine Fülle von Beweisen für den Einsatz von russischen Militärberatern und Sondereinheiten gibt, waren die formal privaten Kämpfer der «Gruppe Wagner» ein willkommenes Mittel, um die russische Intervention zu kaschieren. Der ukrainische Geheimdienst SBU hat nach eigenen, allerdings von unabhängiger Seite nicht überprüften Angaben die Namen von mehr als 2000 Personen ermittelt, die unter dem Dach von «Wagner» gekämpft hätten. Söldner dieser Gruppe hätten 2014 unter anderem ein ukrainisches Transportflugzeug abgeschossen und am Sturm auf den Flughafen Luhansk teilgenommen. Wer den Auftrag zum Einsatz dieser Truppe gegeben hat, bleibt dabei bis heute im Dunkeln; klar scheint nur, dass dies mit Zustimmung des Kremls geschehen sein muss.

Der Fall Wagner zeigt, wie schillernd der in Russland übliche Begriff der privaten Militärfirma ist. Privat bedeutet nicht notwendigerweise, dass solche Unternehmen unabhängig vom russischen Staat operieren. Es handelt sich auch nicht um klassische Söldnerunternehmen, die ihre Dienste einfach dem Meistbietenden zur Verfügung stellen. Gleichzeitig gibt es Militärfirmen, die nach aussen mit einer sehr ähnlichen Produktepalette auftreten wie westliche Sicherheitsfirmen. Das Unternehmen RSB Group beispielsweise bietet Personen- und Objektschutz in Ländern mit erhöhter terroristischer Gefahr an, darunter bewaffnete Eskorten zu Land und zu Wasser, ferner Minenräumungen und nachrichtendienstliche Beratung. Söldnertum – die Beteiligung an bewaffneten Konflikten – lehnt es laut Angaben auf seiner Website ausdrücklich ab.

Die «Gruppe Wagner» hingegen fällt in eine andere Kategorie. Ein hervorstechendes Merkmal ist ihre Nähe zum russischen Militär: Ihr Übungsgelände befindet sich laut Recherchen der russischen Medien RBK und Fontanka auf einem Areal des Militärgeheimdiensts GRU in Südrussland, ihre Operationen fügen sich ein in die russischen Interventionen in der Ukraine und in Syrien. Ihr mutmasslicher Gründer, ein ehemaliger GRU-Offizier, wurde mit einem Orden ausgezeichnet und liess sich im Kreml mit Präsident Putin fotografieren.

Seine Truppe, die laut von RBK zitierten Quellen des Militärs in Syrien bis zu 2500 Mann umfasste, wirkt eher wie eine paramilitärische Organisation als wie eine Sicherheitsfirma. Sie dient offenbar – ganz wie Putin es 2012 formulierte – der Förderung nationaler Interessen, ohne direkte Beteiligung des Staates. Ihr Einsatz erleichtert es dem Kreml, Operationen zu verschleiern und die Opferzahl solcher Militäraktionen geheim zu halten. Das dürfte in Moskau ein wichtiges Argument dafür sein, diese Grauzone zu bewahren und ein gesetzliches Regulieren privater und parastaatlicher Militärorganisationen hinauszuzögern.

 

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