09. Januar 2018 · Kommentare deaktiviert für „Zweiter Versuch für den Terrorprozess in Ungarn“ · Kategorien: Ungarn · Tags:

derStandard | 08.01.2018

Dem Syrer Ahmed H. war im Zuge der Flüchtlingskrise Terrorismus vorgeworfen worden. Das Urteil wurde aber wieder aufgehoben

Das Gericht der südungarischen Stadt Szeged hat am Montag den Prozess gegen den wegen Terrorismus angeklagten Ahmed H. fortgesetzt. Der Syrer, der seit mehreren Jahren legal in Zypern lebt, war bereits im September 2016 von einem anderen Senat desselben Gerichts für schuldig befunden und zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Das Berufungsgericht hob das Urteil aber wegen Verfahrensmängel auf und ordnete einen neuen Prozess an. Die vorliegenden Beweise und Zeugenaussagen seien demnach ausschließlich zulasten des Angeklagten gewertet worden.

Der heute 41-jährige Ahmed H. war auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 in die Unruhen am gerade geschlossenen Grenzübergang Röszke geraten, als er seine aus Syrien geflohene Familie auf dem Weg nach Deutschland begleitete. Am 16. September hatte Ungarn die Grenze zu Serbien abgeriegelt. An den Grenzübergängen war für die Flüchtlinge kein Weiterkommen mehr. Es kam zu einer erfolglosen Erstürmung der Sperre am Übergang Röszke. Die Sonderpolizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein. Mehrere Flüchtlinge und Polizisten erlitten Verletzungen.

„Wir haben einen Terroristen gefangen“

Die Polizei nahm H. wenige Tage später am Bahnhof von Gyor fest. Auf Polizeivideos war er mal mit einem Megaphon in der Hand, mal beim Werfen eines Gegenstands erkannt worden. „Wir haben einen Terroristen gefangen“, erklärte darauf Ministerpräsident Viktor Orbán im Radio.

Das aufgehobene Ersturteil hatte sich auf den von der Regierung verschärften Terrorismusparagrafen gestützt. Demnach gilt bereits als Terrorakt, wenn jemand „ein staatliches Organ dazu zwingt, etwas zu tun oder zu unterlassen“. Im Verfahren wurde schließlich nicht bewiesen, dass H. irgendeinen Polizisten verletzt, die Menge aufgewiegelt oder der Polizei ein Ultimatum gestellt hätte. Das Gericht folgte trotzdem der Anklagebehörde, was zu internationaler Kritik führte.

Auch am Montag führten maskierte Bereitschaftspolizisten den an Händen und Füßen gefesselten H. in den Gerichtssaal. Am dritten Verhandlungstag des neuen Verfahrens ging Richter Jeno Kóbor die Aussagen des Angeklagten in den Verhören nach der Verhaftung durch. Mit den Videoaufnahmen der Polizei konfrontiert, hatte H. damals zugegeben, als Teil der aufgepeitschten Menge einen Stein oder einen anderen Gegenstand geworfen zu haben. Der Wurf sei jedoch nicht gezielt gegen die Polizisten erfolgt, hatte er hinzugefügt.

„Ich weiß nur, dass ich wütend war“

Auf die Frage des Richters, ob es sich so verhalten habe, antwortete H.: „Ich müsste lügen, wenn ich Ja sage, aber ich müsste auch lügen, wenn ich Nein sage.“ Nach fast zweieinhalbjähriger Untersuchungshaft könne er sich einfach nicht mehr erinnern. „Ich weiß nur, dass ich wütend war, dass ich wie von Sinnen war, dass ich nicht wusste, wie mir geschah.“

Den Wurf mit dem Gegenstand hätte er nicht geglaubt, wenn er ihn nicht auf der Videoaufnahme gesehen hätte. Verteidiger György Bárándy hält den Vorwurf der terroristischen Handlung dennoch für nicht haltbar. Sein Mandant könnte höchstens wegen versuchten gewaltsamen Widerstands gegen die Staatsgewalt zur Verantwortung gezogen werden.

„Ihr wolltet die Migranten“

Just am Montag äußerte sich Orbán in der deutschen „Bild“-Zeitung: „Wir betrachten diese Menschen nicht als muslimische Flüchtlinge. Wir betrachten sie als muslimische Invasoren.“ Orbáns an das Land von Bundeskanzlerin Angela Merkel gerichtete Schmähkritik: „Ihr wolltet die Migranten, wir nicht!“

Der Prozess gegen Ahmed H. wird am Mittwoch fortgesetzt.

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