13. September 2017 · Kommentare deaktiviert für „Krieg und Katastrophe im Jemen: Die schlimmste aller Krisen“ · Kategorien: Afrika · Tags: ,

Spiegel Online | 12.09.2017

Sieben Millionen Menschen vom Hungertod bedroht, drei Millionen Flüchtlinge, 600.000 Cholera-Kranke: Im Jemen spielt sich eine Tragödie ab. Die Hauptverantwortung trägt Saudi-Arabien, die Welt sieht weg.

Von Dominik Peters und Christoph Sydow

Im Jemen ereignet sich nach Angaben der Vereinten Nationen derzeit die größte humanitäre Katastrophe der Welt. Eine Katastrophe, die nicht schicksalhaft wie ein Naturereignis über das Land hereinbrach, sondern die allein von Menschen gemacht wurde. Doch die Welt ignoriert sie. Dabei sind schon die nackten Zahlen erschreckend:

  • Fast 18 der 27 Millionen Jemeniten hängen von humanitärer Hilfe ab. Mehr als sieben Millionen Menschen sind akut von einer Hungersnot bedroht.
  • Mehr als drei Millionen Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht.
  • 14,5 Millionen Menschen, also mehr als die Hälfte aller Bürger, haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die Folge ist die schlimmste Choleraepidemie, die es je gegeben hat. Rund 600.000 Menschen sind seit April dieses Jahres im Jemen an Cholera erkrankt, mindestens 2000 Jemeniten sind bislang an den Folgen der Krankheit gestorben.

All das hätte sich verhindern lassen, daran lässt die Uno keinen Zweifel: „Die humanitäre Krise ist das direkte Ergebnis der Kriegsführung der Konfliktparteien.“

Der Jemen war schon immer das mit Abstand ärmste Land der Arabischen Halbinsel, doch seit der Eskalation des Bürgerkriegs 2014 hat sich die Lage dramatisch verschlechtert. Damals eroberten die von Iran unterstützten Huthi-Rebellen die Hauptstadt Sanaa und trieben Präsident Abd Rabbuh Mansur Hadi außer Landes. Seit 2015 versucht eine von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition, die Huthis zu entmachten und Hadi wiedereinzusetzen. Seit zwei Jahren verkünden die Saudis, der Sieg sei nahe.

Aber das ist Wunschdenken.

Vielmehr hat sich das Königreich Saudi-Arabien in seinem Nachbarland heillos verstrickt. Kritische Beobachter sprechen bereits von einem saudi-arabischen Vietnam, das sich im Jemen abzeichne.

Seit Beginn der Offensive wurden nach Zählungen des Uno-Menschenrechtsrats mehr als 5000 Zivilisten getötet, darunter etwa 1200 Kinder. Für die meisten Opfer machen die Vereinten Nationen Saudi-Arabien und seine Verbündeten verantwortlich. „Die Luftangriffe der Militärkoalition sind die Hauptursache für Opfer unter der Zivilbevölkerung und den Kindern in dem Konflikt“, teilt die Uno mit.

Milliardengeschäfte wichtiger als Menschenrechte

Doch Kritik müssen die Saudis nicht fürchten. Als Ende August saudi-arabische Bomben ein Hotel nördlich von Sanaa in Schutt und Asche legten und mindestens 30 Menschen töteten, äußerte das Auswärtige Amt in Berlin seine „Bestürzung“, benannte aber nicht einmal die Verantwortlichen. Außenminister Sigmar Gabriel plädiert ebenso wie der Uno-Menschenrechtskommissar Said Raad al-Hussein für eine unabhängige internationale Untersuchung des Konflikts. Großbritannien und die USA blockieren jedoch die Einrichtung einer solchen Untersuchungskommission.

Denn beide Staaten gehören neben Deutschland zu den wichtigsten Waffenlieferanten der Saudis. London hat seit Kriegsbeginn Waffenlieferungen in Höhe von mehr als drei Milliarden Dollar nach Saudi-Arabien genehmigt, Washington billigte Exporte in Höhe von mehr als einer Milliarde Dollar. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat belegt, dass Munition aus britischer und amerikanischer Produktion bei Angriffen auf zivile Ziele im Jemen eingesetzt wurde.

Die Bundesregierung genehmigte erst Anfang dieses Jahres den Export von Patrouillenbooten an das Königreich. Berlin verweist darauf, dass die Schiffe nur zur Sicherung der saudi-arabischen Küste und von Ölplattformen und nicht zu offensiven Zwecken eingesetzt würden. Doch Saudi-Arabiens Marine blockiert seit 2015 die Häfen des Jemen und trägt damit die Hauptverantwortung für die katastrophale Versorgungslage.

Ein Flächenbrand ist nicht zu erwarten – eine Lösung auch nicht

Die Welt leistet es sich, das Leiden zu ignorieren, weil die Jemen-Krise ein weitgehend isolierter Konflikt ist. Zwar sind im Land drei Millionen Menschen auf der Flucht, aber kaum jemand schafft es außer Landes. Schon gar nicht nach Europa. Der Jemen-Konflikt ist zwar auch Teil des Machtkampfes zwischen Saudi-Arabien und Iran, der die Huthis unterstützt. Aber er ist kein Stellvertreterkrieg wie in Syrien, wo Iran, Türkei, Russland, Israel und die USA immer wieder eingreifen.

Der Jemen-Konflikt hat daher nicht das Potenzial, sich zu einem regionalen Flächenbrand auszuweiten, und er bedroht auch nicht akut die Sicherheit anderer Staaten. Entsprechend gering ist der Druck, den Konflikt politisch zu lösen.

Der frühere US-Außenminister John Kerry hatte 2016 immerhin alle Parteien zu Friedensgesprächen in Kuwait zusammengebracht und einen Entwurf für ein Waffenstillstandsabkommen vorgelegt. Donald Trump und sein Außenminister Rex Tillerson schenken dem Jemen-Konflikt keinerlei Beachtung.

Der Konflikt wird immer verworrener

Ein Ende des Krieges, der die Grundvoraussetzung für eine Besserung der humanitären Lage wäre, ist daher nicht abzusehen. Im Gegenteil. Die ohnehin komplizierte Gemengelage wird immer verworrener.

Innerhalb der von Saudi-Arabien angeführten Allianz gibt es offenen Streit. Bis zu diesem Jahr kämpften Soldaten aus Saudi-Arabien und Katar noch Seite an Seite gegen die Huthis im Jemen. Damit ist Schluss, seit Riad das Herrscherhaus in Katar zum Terrorunterstützer erklärt hat. Doch der gestürzte Präsident Hadi, für dessen Wiedereinsetzung Saudi-Arabien kämpft, verfügt über glänzende Kontakte nach Katar. Er und viele seiner Minister verstehen sich als Teil der Muslimbrüder, die Saudi-Arabien eigentlich als Terrororganisation brandmarkt. Riad scheint bereit, vorerst über diesen Konflikt hinwegzusehen. Doch der wichtigste Verbündete, die Vereinigten Arabischen Emirate, sind es offenbar nicht. Ihre Truppen haben zwei Bodenoffensiven gegen die Huthis vorerst eingestellt.

Auch das Zweckbündnis zwischen den Huthi-Rebellen und den Truppen von Ex-Präsident Ali Abdullah Saleh bröckelt. Die beiden einstigen Feinde, die sich fast ein Jahrzehnt lang erbittert bekriegt hatten, gingen 2014 eine Militärallianz ein, um Salehs Nachfolger Hadi zu stürzen. Ohne die gut ausgebildeten Truppen des einstigen Staatschefs hätten die Huthis kaum so schnell so große Landesteile erobern können. Nun sieht der politische Überlebenskünstler Saleh offenbar die Zeit gekommen, sich von den Huthis zu distanzieren. In einem Interview machte er kürzlich seine Huthi-Verbündeten für die katastrophale Lage mitverantwortlich.

Das Kalkül ist klar: Wenn der Krieg irgendwann vorbei ist, sollen wenigstens Saleh und seine Familie zu den Gewinnern gehören.

 

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