23. Februar 2017 · Kommentare deaktiviert für „Deutschland will Ausschaffungen forcieren“ · Kategorien: Deutschland · Tags: ,

NZZ | 22.02.2017

Die Kehrseite der grosszügigen Flüchtlingspolitik ist die Rückführung abgewiesener Asylbewerber. Mit einem neuen Gesetz will die deutsche Regierung diese erleichtern. Derweil hat Deutschland erneut eine Sammelabschiebung nach Afghanistan durchgeführt.

von Markus Ackeret

Als Deutschland spätestens im Sommer 2015 zum Hauptziel für Flüchtlinge in Europa wurde, war die «Willkommenskultur» in aller Munde. Die fiebrige Begeisterung über die spontane Hilfsbereitschaft Tausender Freiwilliger und die zuweilen fast übermenschlichen Anstrengungen von Behörden und Privatpersonen bei der Unterbringung der Ankömmlinge polarisierte und politisierte das ganze Land, ja den Kontinent. Mit zahllosen Gesetzesvorhaben versuchte die Regierung in Berlin die Asylverfahren zu beschleunigen, den Missbrauch zu unterbinden und den Zuzug zu beschränken.

Fall Amri befördert die Einigung

Nicht mehr die Aufnahme neuer Asylsuchender steht mittlerweile im Mittelpunkt der politischen Debatte in Deutschland. Jene, die erfolglos um Asyl nachgesucht haben, zur Rückkehr in ihre Herkunftsländer zu bewegen oder nötigenfalls mit Zwang auszuschaffen, ist derzeit die Maxime – auch um klarzumachen, dass die Ergebnisse rechtsstaatlicher Verfahren nicht wirkungslos bleiben. Im aufziehenden Wahlkampf ist das vor allem für die migrationspolitisch überstrapazierten Unionsparteien wichtig. Die Terroranschläge und gewöhnlichen Verbrechen im vergangenen Jahr, in die Asylsuchende involviert waren, setzten die Politiker zusätzlich unter Druck.

Innenminister Thomas de Maizière hatte bereits im August, unter dem Eindruck der Anschläge von Würzburg und Ansbach, Vorschläge für eine verschärfte Handhabe gegen abgewiesene, aber nicht ausreisewillige Asylbewerber vorgestellt und diese im Herbst erneuert. Im Zuge der fast unglaublichen Vorgänge rund um den späteren Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, Anis Amri, einigten sich Unionsparteien und SPD und auch die Bundesländer dann relativ schnell auf härtere Massnahmen zur Durchsetzung der Ausreisepflicht. Am Mittwoch billigte das Kabinett ein entsprechendes Gesetz.

Mobiltelefone als Quelle

Bei Amri waren die Behörden wegen dessen Identitätsverschleierung und fehlender Dokumente nicht in der Lage gewesen, ihn festzusetzen und auszuschaffen, obwohl sein Asylgesuch abgelehnt worden war, er als islamistischer Gefährder galt und sich kleinkriminell betätigt hatte. In Zukunft sollen Ausreisepflichtige, deren Rückführung zumutbar ist und die eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen, leichter in Ausschaffungshaft genommen werden können. Falls nötig, darf ihnen eine elektronische Fussfessel zur Überwachung angelegt werden.

Der Ausreisegewahrsam wird von vier auf zehn Tage verlängert. Wer Auskunft über seine Identität verweigert oder falsche Angaben macht, dessen Bewegungsradius wird verkleinert. Auch erhält das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in begründeten Fällen Zugriff auf das Mobiltelefon oder andere Datenträger des Asylbewerbers, wenn dies Rückschlüsse auf die Identität oder Herkunft verspricht. Dieser Passus stösst bei der Opposition, aber auch bei SPD-Politikern auf Widerstand, weil er als ein zu grosser Eingriff in die Privatsphäre empfunden wird. Wer Schutz suche, solle auch seine Identität offenlegen, findet dagegen de Maizière.
Streitpunkt Afghanistan

Bei der Mehrzahl der abgewiesenen, ausreisepflichtigen Asylbewerber spielen derartige Zwangsmassnahmen keine Rolle. Die Rückführungen sind trotzdem ein grosses Politikum, weil viele der Betroffenen seit Jahren in Deutschland leben und sich einer freiwilligen Rückkehr widersetzen. Geplant ist, die auf Ebene der Bundesländer organisierten Ausschaffungen stärker zu zentralisieren. Zwar stossen die Programme zur Rückkehrhilfe auch bei Afghanen auf Resonanz. Sammelausschaffungen mehrerer Bundesländer an den Hindukusch rufen aber Proteste hervor.

Sammelabschiebungen

(dpa) Erneut sind abgelehnte Asylbewerber von Deutschland nach Afghanistan abgeschoben worden. Ein Flugzeug mit 18 Migranten an Bord startete am Mittwochabend von München in Richtung Kabul, wie das bayerische Innenministerium mitteilte. Es ist bereits die dritte Sammelabschiebung nach Afghanistan seit Ende vergangenen Jahres. Sie stiess auch bundesweit auf grosse Kritik, weil in dem Krisenland immer wieder islamistische Taliban Anschläge verüben. Am Münchner Flughafen protestierten etwa 250 Menschen gegen den Abschiebe-Flug.

Die Beschwichtigungen de Maizières und des Kanzleramtsministers Peter Altmaier, es gebe auch sichere Zonen in Afghanistan und der Terror der Taliban richte sich nicht in erster Linie gegen Zivilisten, widersprechen Berichten von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen und werden als zynisch empfunden. Das rot-grün regierte Schleswig-Holstein hat in Eigenregie einen Ausschaffungsstopp für das zentralasiatische Land verfügt. Obwohl Skepsis und Unmut im linken politischen Spektrum über die schärfere Gangart in der Flüchtlingspolitik vorherrschen, wissen auch die Sozialdemokraten, dass Härte gegenüber abgewiesenen Asylbewerbern in der Wählergunst kein Manko ist.

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