31. Dezember 2016 · Kommentare deaktiviert für „Griechenland: Reformen in der Flüchtlingspolitik“ · Kategorien: Griechenland · Tags:

Quelle: Telepolis | 30.12.2016

Die Flüchtlinge sollen künftig die Beihilfen der EU als Geldleistung erhalten. Die Ankündigung des Immigrationsministers führt zu kontroversen Diskussionen

Wassilis Aswestopoulos

Der griechische Immigrationsminister Giannis Mouzalas hat am Mittwoch in einer Pressekonferenz zahlreiche Reformen in der griechischen Flüchtlingspolitik angekündigt. Er reagierte mit seinem Vorstoß sowohl auf die Kritik von Menschenrechtsorganisationen als auch auf zahlreiche Anfeindungen, die aus der Ecke der als „besorgte Bürger“ bezeichneten Kritiker der Aufnahme von Flüchtlingen stammen.

Zudem können künftig Immigranten und anerkannte Flüchtlinge leichter aus Griechenland aus- und wieder einreisen, wie der Bürgerschutzminister Nikos Toskas gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur ANA-MPA erklärte.

Der Minister räumte ein, dass die Lage der Flüchtlinge im Land „an manchen Stellen gut und an manchen Stellen schlecht ist“. Er betonte, dass es hinsichtlich des Flüchtlingsdeals der EU mit der Türkei Probleme gebe, diese jedoch im Vergleich zum Chaos des vergangenen Jahrs unter Kontrolle seien.

Mouzalas bemühte sich zuallererst darum, die Leistung der miteinander kooperierenden Ministerien der Regierung in der Meisterung von Expressrenovierungen der Flüchtlingslager hervorzuheben. Der diesjährige Winter ist verglichen zum Winter des vergangenen Jahres ungleich kälter. Herrschten Weihnachten 2015 noch angenehme Temperaturen von 20 Grad Celsius in Athen, so ist die Hauptstadt am 29. Dezember des aktuellen Jahres zum ersten Mal seit vielen Jahren bei Temperaturen um den Gefrierpunkt eingeschneit.

Die langfristigen Wettervorhersagen hatten derartige Phänomene bereits frühzeitig prognostiziert, so dass in den einzelnen Lagern im gesamten Land die Zelte der Flüchtlinge sukzessive gegen beheizbare Iso-Container ausgetauscht wurden. Von den anfänglich vierzig Camps auf dem Festland wurden vier geschlossen. Darunter ist auch das Camp Petra Olympou, aus dem die in den vergangenen Wochen kursierenden Fotos von in Zelten eingeschneiten Flüchtlingen stammen.

Mouzalas stört sich an der Veröffentlichung solcher Aufnahmen, welche seiner Ansicht nach „weder dem Land, noch den Flüchtlingen und Immigranten nutzen“. Damit unterstrich er noch einmal die restriktive Haltung des Ministeriums gegenüber der Presse.

Gemäß Mouzalas gibt es keinerlei in Zelten in der Kälte sitzende Flüchtlinge mehr, weil die wenigen noch in Betrieb befindlichen Zeltlager – wie um den ehemaligen Flughafen von Athen Ellinikon herum – mit beheizbaren Zelten ausgestattet seien. In der Gänze lässt sich diese Aussage wegen des beschränkten Zugangs der Presse zu den Lagern nicht überprüfen. Nachprüfbar ist jedoch, dass die Lager, so wie von Mouzalas angesprochen, neu organisiert wurden.

So wurden im Lager Ritsona nur noch Kurden und Syrer gelassen, während die Afghanen, die sich mit den anderen sehr oft Prügeleien lieferten, in andere Lager gebracht wurden. In den meisten Lagern auf dem Festland sind nun knapp 600 Personen untergebracht. Ausnahmen der Regel sind zum Beispiel die Lager nahe und in Athen, Skaramanga und Eleonas. Bei diesen handelt es sich jedoch um, gemessen an den Umständen, perfekt organisierte Großlager, in denen 2.500 Personen leben. Vier weitere Lager haben jeweils knapp 1.500 Bewohner.

Mouzalas sagte zudem: „Was bedeutet es in diesem Moment zu sagen, ‚ich bin im Camp‘? Es besagt, dass ich ein Obdach habe, eine Heizung, ein WC, ein Bad, ich habe Essen, eine Gesundheitsversorgung ersten und zweiten Grades, ich habe Möglichkeiten, mich zu beschäftigen und kann schrittweise ins Schulsystem kommen.“ Mouzalas erwähnte zudem, dass das UNHCR für 20.000 Plätze in Wohnungen sorgt.

Weil es hinsichtlich der Wohnungen einige Probleme gebe, würden gemäß Mouzalas auch Hotels im weiteren Sinn als Wohnungen eingeordnet. Die Finanzierung der jeweiligen Flüchtlinge betreffenden Programme erfolge durch die EU in Übereinstimmung mit der griechischen Regierung und der Durchführungen durch die Hilfsorganisationen, meinte Mouzalas.

Ganz anders als auf dem Festland stellt sich die Lage der Flüchtlinge auf den Inseln dar. Mouzalas räumte dies unumwunden ein. Er wies jedoch auch darauf hin, dass es ohne den EU-Türkei-Pakt ungefähr 100.000 Flüchtlinge und Immigranten mehr im Land geben würde. Zudem betonte er, dass zurzeit vermehrt Immigranten und weniger Flüchtlinge ins Land kämen.

In absoluten Zahlen gemessen seien die Inseln nicht als „durch Flüchtlinge übervölkert“ anzusehen, meinte der Minister. Im Sommer 2015 habe es auf Kos, Lesbos, Samos und den übrigen Inseln täglich mehr Neuankömmlinge gegeben, als nun dauerhaft auf den Inseln leben würden.

Mouzalas führte die auf den Inseln aufflammenden Konflikte – sowohl unter den Flüchtlingen und Immigranten als auch seitens eines großen Teils der Bevölkerung gegen die Flüchtlingslager – auf die Dauer des Verbleibs der Menschen für die Zeit der Abwicklung ihres Asylverfahrens zurück. Er sieht eine Lösung der angespannten Lage in einer schrittweisen Entlastung der Inseln durch Transport von Flüchtlingen auf das Festland.

Den Termin für den Beginn dieser Maßnahmen avisierte er für den April 2017. Darüber hinaus sollen auf den betroffenen Inseln Gefängnisse für straffällig gewordene oder aufwieglerische Insassen der Lager geschaffen werden. Bei den Inseln wiederholte Mourzalas seine Aussage zu dem, was es bedeutet im Camp zu sein, nicht.

Auf den Inseln gibt es weiterhin zahllose ungeheizte Zelte und zahlreiche Mängel in der Versorgung. Hier beklagte sich Mouzalas über die mangelnde Kooperationsbereitschaft der örtlichen Bürgermeister, welche mit ihrer Blockadepolitik das Problem verschärfen würden.

Während des gesamten Interviews hatte es Mouzalas versäumt zu erwähnen, dass die Impfung der im Land befindlichen Flüchtlinge und Immigranten auf Druck von Organisationen wie den Ärzten ohne Grenzen stattfand.

Geld- statt Sachleistungen

Künftig möchte das Ministerium den Flüchtlingen direkt die Beihilfen der EU als Geldleistung geben. Damit sollen sie selbst ihren Lebensunterhalt gestalten können. Diese Ankündigung des Ministers führte im Land zu kontroversen Diskussionen. Denn von der EU werden pro Flüchtlingsfamilie knapp 400 Euro monatlich bereitgestellt, Geld, welches viele der verarmten griechischen Familien nicht zur Verfügung haben.

Mouzalas betonte, dass den Flüchtlingsfamilien mit 400 Euro pro Monat nicht mehr Geld zustehen würde, als die Familien der absolut mittellosen Griechen, die immer noch auf einen Beginn des Verfahrens warten, aus einem Sozialhilfefonds als Mindestversorgung erhalten sollen.

In den oft und gern zitierten Gesprächen auf den Straßen ist leicht herauszuhören, dass die Griechen sich auch deshalb benachteiligt sehen, weil die hohen Verbrauchssteuern die Heizölpreise auf Dieselniveau angehoben haben, sie somit selbst ohne Heizung durch den Winter kommen müssen.

Die jüngsten Terroranschläge in Europa sind auch an Griechenlands Regierenden nicht spurlos vorüber gegangen. Bislang wurden Flüchtlinge und Immigranten mit einer Flut von leicht kopierbaren Papieren überhäuft. Diese dienten dann als Ausweis. Künftig, so Mouzalas in seiner Pressekonferenz, solle jeder einen biometrischen, maschinenlesbaren Ausweis in Form einer Scheckkarte erhalten.

Im Zusammenhang mit seiner Pressekonferenz zur Lage der Flüchtlinge im Land nutzte Mouzalas die Gelegenheit, die EU für die beabsichtigte Wiederaufnahme des Dublin-Systems für Asylverfahren zu attackieren. Damit würden die Fehler der Vergangenheit erneut aufleben, klagte der Minister.

Er befand zudem, dass das Verfahren im Hinblick auf die aktuellen Ausmaße des Flüchtlingsaufkommens vollkommen ungeeignet sei, weil es die Erstaufnahmeländer über Gebühr belasten würde. Zusammen mit Italien, Bulgarien und Malta möchte er daher einen gemeinsamen Verbund gegen die Pläne und Beschlüsse aus Brüssel hinsichtlich der Dublin-Vereinbarungen bilden.

Mouzalas nutzte die Pressekonferenz auch, um auf ein neues Phänomen hinzuweisen: Es käme immer öfter vor, meinte Mouzalas, dass minderjährige Frauen im Zuge der Familienzusammenführung nach Griechenland zu ihren erwachsenen Ehemännern kommen würden. Die Hochzeitspapiere würden in der EU in der Regel nicht anerkannt, sagte Mouzalas.

Dies wiederum ließe für die Umverteilung auf die übrigen EU Länder nur Irland als Option. Dort jedoch müssen sich die Ehemänner wegen der Heirat mit einer Minderjährigen zunächst wegen Vergewaltigung vor Gericht verantworten. Das wiederum führe gemäß Mouzalas zu dem Paradoxon, dass die minderjährigen Frauen weder als unbegleitete Minderjährige noch als verheiratete Frauen unter irgendeine der Schutzbestimmungen der EU-Regeln fallen würden.

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