30. Dezember 2016 · Kommentare deaktiviert für „Grenzjäger“ in Ungarn: Beruf mit Perspektive · Kategorien: Ungarn · Tags:

Quelle: derStandard | 30.12.2016

Seit November kann man die Ausbildung zum „Grenzjäger“ machen, um Flüchtlinge zurückzuschieben.

Gregor Mayer

Der neue Job erfüllt aber noch andere Zwecke Für Petra (30), zuvor im Gastgewerbe beschäftigt, zählte das „Gemeinschaftsgefühl“. Károly (20), zuvor Wachtposten im Strafvollzug, empfand „den sicheren Arbeitsplatz und die Karrieremöglichkeiten“ attraktiv. Tamás (30), Ex-Tänzer und Tanzpädagoge, fühlte sich zur Aussicht auf „ständige Abwechslung“ hingezogen. Die drei Ungarn besuchen den sechsmonatigen Lehrgang für die Ausbildung zum „Grenzjäger“ (határvadász). Sie sagen, dass es immer schon irgendwie ihr Traum gewesen sei, bei der Polizei oder bei der Armee anzuheuern.

Doch wozu braucht Ungarn „Grenzjäger“? Ministerpräsident Viktor Orbán schottet sein Land rigoros gegen Flüchtlinge ab – mit einem Stacheldrahtzaun an der Grenze zu Serbien und Kroatien, mit der Aushebelung internationalen Asylrechts, mit der strikten Ablehnung von EU-Verteilungsquoten. Und mit „Grenzjägern“, die am Zaun patrouillieren und seit Sommer Flüchtlinge nach Serbien zurückschieben.

Bis zu 3000 „Grenzjäger“

Die ersten Einheiten wurden aus Polizeischülern gebildet. Doch nun sollen bis zu 3000 neue „Grenzjäger“ herangezogen werden, die auf freiwilliger Basis aus der Bevölkerung heraus rekrutiert werden. Für unternehmungslustige Ungarn und Ungarinnen eröffnet sich eine neue Berufsperspektive, wenn sie unbescholten, hinreichend fit, frei von schädlichen Leidenschaften und mindestens 1,65 Meter (Männer) bzw. 1,60 Meter (Frauen) groß sind.

Die ersten Ausbildungslehrgänge mit 568 Rekruten begannen im November an landesweit elf Standorten. Petra, Károly und Tamás werden in der Budapester Kaserne der Bereitschaftspolizei auf ihre künftige Aufgabe vorbereitet. Neben theoretischen Kenntnissen für den Polizeidienst bringt man ihnen einsatztaktische und -technische Grundfertigkeiten – etwa die Anhaltung und Festnahme von Personen – und den Umgang mit der Schusswaffe bei. Auch finanziell ist das für junge Menschen attraktiv. Zu Beginn der Ausbildung erhalten sie umgerechnet 486 Euro im Monat. Nach zwei Monaten steigt der Sold auf etwa 712 Euro, zugleich erfolgt die Übernahme in den Polizeikader.

Die Aussicht, irgendwann einmal fremde, unbewaffnete Zivilisten aufspüren und über die Grenze ins Nachbarland bugsieren zu müssen, erscheint den Lehrgangsteilnehmern eher abstrakt. „Ich habe davon gehört, aber um ehrlich zu sein: Ich schaue selten Nachrichten“, sagt Petra. „Ich habe mich gemeldet, als mich jemand auf das ‚Grenzjäger‘-Programm aufmerksam gemacht hat“, sagt Tamás. Károly habe die Nachrichten hingegen schon im Vorjahr mit Interesse gesehen, erklärt er, „und mir war schon damals klar, dass man neue Grenzschutzeinheiten aufstellen wird“.

Flüchtlingszahlen 2016 drastisch zurückgegangen

Doch inzwischen ist die Zahl der Flüchtlinge, die durch Ungarn ziehen, drastisch zurückgegangen, vor allem seit die Balkanroute geschlossen wurde. Knapp 29.000 waren es laut UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) heuer. Mehr als zehnmal so viele waren es 2015 gewesen. Klára Pinczés-Kiss, stellvertretende Direktorin des Unterrichts- und Ausbildungszentrums der Polizei, hat aber keine Bedenken, dass die „Grenzjäger“ ohne Beschäftigung bleiben werden: „Wir werden sie in jedem Fall brauchen, allein schon um Lücken im Personalstand der Polizei zu schließen.“

Die sechsmonatige Ausbildung endet mit der Befähigung zum Streifenpolizisten, der einem erfahreneren Kollegen zugeteilt wird. Eigentlich gab es das schon immer, sagt ein Polizei-Insider. Doch war dieser Ausbildungsweg finanziell bislang bei weitem nicht so gut ausgestattet wie jetzt.

Flüchtlingsfeindliches Klima

Zugleich passt die martialische Bezeichnung „Grenzjäger“ in das aufgeheizte, flüchtlingsfeindliche Klima, das Viktor Orbán über nun fast zwei Jahre hindurch geschaffen hat. „Die Rhetorik der Regierung, die in einem wichtigen Teil der medialen Berichterstattung ihren Widerhall findet, stellt die Flüchtlinge als potenzielle Quelle von Bedrohungen dar“, schreiben die Soziologen Gábor Bernáth und Vera Messing in ihrer jüngsten Studie. Das menschliche Antlitz der Asylsuchenden trete dabei völlig in den Hintergrund. „Flüchtlinge als Bedrohung für die Sicherheit erscheinen zu lassen dient dazu, sie als Gefahr zu präsentieren, gegen die ‚wir‘ uns verteidigen müssen.“ Nun auch mit „Grenzjägern“.

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