06. Dezember 2016 · Kommentare deaktiviert für „Die Entwicklung des Asylrechts seit August 2015“ · Kategorien: Deutschland, Hintergrund · Tags:

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Vortrag von Rechtsanwalt Günter Werner auf einer Veranstaltung des Bremer Flüchtlingsrats am 23.11.2016*

Ich beginne mit zwei Zitaten:

15.09.2015

„Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land. (…) Ich sage wieder und wieder: Wir können das schaffen, und wir schaffen das.“

15.10.2016

„Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung zur Rückführung derer, die abgelehnt wurden“

Beide Zitate stammen von derselben Person – Angela Merkel.

In den 13 Monaten, die zwischen den Zitaten liegen, sind mehr als 1 Mio. Flüchtlinge nach Deutschland gekommen.

Zugleich hat die Koalition aus CDU/CSU und SPD das Asylrecht, dessen Basis immer noch der Artikel 16 des Grundgesetzes ist, in einer Weise und mit einer Geschwindigkeit verändert, die ihresgleichen sucht.

PRO ASYL kommentierte diese Entwicklung anlässlich des 30jährigen Bestehens der Organisation so:

„Was wir derzeit erleben, ist der bislang schwerste Angriff auf das individuelle Asylrecht in Deutschland und Europa«

Bereits im Jahre 1993 anlässlich des sog. Asylkompromisses musste man von einem Anschlag auf das Grundrecht auf Asyl sprechen.

Was jedoch seit Sommer 2015 im Gange ist, stellt die Änderungen von 1993 in den Schatten, wobei nachdrücklich darauf hingewiesen werden muss, dass die Kette von Veränderungen und Verschärfungen noch lange nicht abgeschlossen ist. Weitere einschneidende Gesetzesvorhaben liegen nicht nur auf den Schreibtischen der Regierungsbürokatie, sondern sind teilweise schon als fertige Gesetzentwürfe ausformuliert.

Ich will im folgenden kurz darstellen

  • das Asylpaket 1
  • das Asylpaket 2
  • das Integrationsgesetz

Am Schluss will ich noch kurz eingehen auf die wichtigsten Verschärfungsvorhaben, die derzeit diskutiert werden.

Das „Asylpaket 1“

Seit dem 23. Oktober 2015 gilt das „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“, auch Asylpaket 1 genannt.

Das Gesetz ist ein sog. Artikelgesetz, d.h. in einem Gesetz wird eine Vielzahl anderer Gesetze geändert, wobei nur die Änderungen mitgeteilt werden. Das sieht dann z.B. so aus:

„Artikel 1 – Änderung des Asylgesetzes

In § 48 wird in dem Satzteil vor Nr. 1 das Wort „drei“ durch das Wort „sechs“ ersetzt.“

Gemeint ist damit, das Asylsuchende anstatt bis zu drei nunmehr bis zu 6 Monaten in Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben sollen.

Hier die wichtigsten Punkte des Gesetzes:

1. Längerer Verbleib in Erstaufnahmeeinrichtungen, Arbeitsverbot und Sachleistungen

Asylsuchende sollen bis zu sechs Monaten in Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben (§ 47 Asylgesetz). Für die Dauer des Verbleibs wird auch die Residenzpflicht auf bis zu sechs Monate erhöht. Während Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung sind, dürfen sie nicht arbeiten. Neu ist zudem, dass das sog. soziokulturelle Existenzminimum als Sachleistung statt Bargeld ausgegeben werden soll, wobei dies den Bundesländern und Kommunen frei steht.

Vermutlich werden sich nicht alle Bundesländer für Sachleistungen entscheiden, da das mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden ist.

2. Neue „sichere Herkunftsstaaten“

Durch das Gesetz wurden Albanien, Kosovo, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Serbien und Montenegro als weitere „sichere Herkunftsstaaten“ eingestuft. Bislang waren sichere Herkunftsstaaten nur Ghana und Senegal.

Die Asylverfahren von Flüchtlingen aus diesen Staaten werden beschleunigt bearbeitet. Es wird von Gesetzes wegen davon ausgegangen, dass keine politische Verfolgung in diesen Staaten besteht. Wer gleichwohl politische Verfolgung geltend macht, muss sie beweisen.

Abschiebungen von Personen, die nicht als Flüchtlinge anerkannt sind und aus diesen Staaten kommen, können schneller durchgeführt werden.

Kommt eine Asylsuchender aus einem „sicheren Herkunftsstaat“ , wirkt sich dies nicht nur auf das Asylverfahren und die Abschiebung aus, sondern hat noch andere Folgewirkungen:

So müssen Personen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens oder ihrer Abschiebung in den Erstaufnahmeeinrichtungen (vgl. z.B. in Bremen die neue Einrichtung auf dem ehemaligen Gelände der Vulkan-Werft) verbleiben, d.h. wenn nötig auch über sechs Monate hinaus.

Falls ihr Antrag auf Asyl nach dem 31.08.2015 abgelehnt wurde, erhalten sie ein unbefristetes Arbeitsverbot (§ 60a Abs. 6 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz).

3. Leistungskürzungen

Einer der Hauptkritikpunkte an dem Gesetz sind die neuen Möglichkeiten zur Leistungskürzung des sog. soziokulturellen Existenzminimums und weiterer Leistungen nach § 1a Asylbewerberleistungsgesetz. Neu sind Leistungseinschränkungen für Personen,

  • für die ein Ausreisetermin oder eine Ausreisemöglichkeit konkret feststeht, z.B. der Abschiebeflug konkret per Ticket gebucht wurde, jedoch nicht stattfinden konnte.
    Die Leistungen können einen Tag nach dem Ausreisetermin gekürzt werden, es sei denn die Ausreise konnte aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, nicht angetreten werden.
  • für diejenigen, bei denen eine Abschiebung aus von „ihnen selbst zu vertretenden Gründen“ nicht durchgeführt werden konnte, zB. weil ihnen vorgeworfen wird, keine Identitätsdokumente vorgelegt zu haben.
  • für jene Asylsuchenden, die über das Hot-Spot Verteilungssystem auf einen EU-Mitgliedstaat umverteilt wurden und diesen nach Deutschland hin verlassen haben.

Nach Schätzungen von PRO ASYL treffen diese Kriterien auf den überwiegenden Teil der Geduldeten zu.

Folge kann sein, dass nahezu alle Geduldeten künftig ca. um 40 % gekürzte Leistungen erhalten, da das „soziokulturelle Existenzminimum“ nicht mehr gewährt wird.

Dies ist ganz offensichtlich nicht mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts v. 18. Juli 2012 vereinbar.

4. Abschiebungen ohne Ankündigung

Flüchtlingen, die abgeschoben werden sollen, darf der Termin ihrer Abschiebung nicht mehr genannt werden (§ 59 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz). Sie müssen befürchten, jederzeit abgeschoben werden zu können.

Abschiebungen in Nacht- und Nebelaktionen sind mittlerweile auch mehrfach durchgeführt worden.

5. Öffnung der Integrationskurse

Für Asylsuchende, bei denen ein „rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist“, ist die Zulassung zu Integrationskursen bereits während des Asylverfahrens möglich (§ 44 Aufenthaltsgesetz).

Laut Bundesagentur für Arbeit umfasst dies aber nur Personen aus Syrien, Irak, Iran und Eritrea. Begrenzt wird die Möglichkeit dadurch, dass sie nur im Rahmen verfügbarer Kursplätze gilt.

6. Änderungen in der Beschäftigungsverordnung

Auch beim Zugang zum Arbeitsmarkt hat sich einiges geändert. Staatsangehörigen aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien können von 2016 bis 2020 Zustimmungen zur Ausübung jeder Beschäftigung erteilt werden.

Jedoch: Sie müssen den Antrag auf Zustimmung zur Beschäftigung in der deutschen Auslandsvertretung in ihrem Herkunftsstaat stellen (§ 26 Beschäftigungsverordnung).

Die Zustimmung darf nicht erteilt werden, wenn die Person in den letzten 24 Monaten vor der Antragsstellung Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezogen hat, d.h. ein Asylverfahren betrieben hat. Dies gilt nicht für Antragsteller, „die nach dem 1. Januar 2015 und vor dem 24. Oktober 2015 einen Asylantrag gestellt haben, sich am 24. Oktober 2015 gestattet, mit einer Duldung oder als Ausreisepflichtige im Bundesgebiet aufgehalten haben und unverzüglich ausreisen.“

7. Verteilung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen

Ebenfalls beschlossen ist die Verteilung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF). Mussten sie zuvor durch das Jugendamt am Ort ihrer Einreise in Obhut genommen werden, können sie jetzt bundesweit auf andere Kommunen verteilt werden. Bei der Verteilung soll das Kindeswohl berücksichtigt werden.

Diese Regelung ist bundesweit von Flüchtlingsorganisationen und Fachleuten scharf kritisiert worden.

8. BAföG-Förderung und Konto-Zulassung

Zwei weitere Änderungen verbessern die Rechtsstellung von Flüchtlingen:

Zum 1. Januar 2016 erhalten geduldete Menschen schneller einen Zugang zu Studienförderungen des BAföG. Mussten sie bisher 4 Jahre warten, bis sie anspruchsberechtigt sind, sollen sie jetzt nach 15 Monaten Bafög-Leistungen erhalten können.

Der Zugang zum Girokonto soll für Flüchtlinge erleichtert werden. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat bereits jetzt Richtlinien an die Banken ausgegeben, nach denen für eine Bankkontoeröffnung bereits Papiere der Ausländerbehörde ausreichen sollen.

Zu beachten ist, dass diese „Verbesserungen“ nur für diejenigen Flüchtlinge gelten, bei denen ein „rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt“ zu erwarten ist. Es wird hier eine klare Vorauswahl getroffen und die Flüchtlinge werden eingeteilt in diejenigen mit positiver Bleibeperspektive und diejenigen mit schlechter Bleibeperspektive. Diese Vorwegauswahl erfolgt vor der Entscheidung im Asylverfahren, beruht also nicht auf einer Prüfung der vorgebrachten Asylgründe, sondern auf politischen Entscheidungen der Regierung.

Das „Asylpaket 2“

Seit dem 17.03.2016 gilt das „Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren“, allgemein als Asylpaket 2 bezeichnet.

PRO ASYL bezeichnete dieses Gesetz als „Frontalangriff auf das individuelle Asylverfahren“.

Im einzelnen:

1. Viele Flüchtlinge sind potentiell betroffen

Grundsätzlich gilt dieses Verfahren zunächst für alle Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsstaaten. Darüber hinaus wird jedoch eine große Anzahl von sonstigen Flüchtlingen davon betroffen sein.

Die Kriterien, wer das Schnellverfahren durchlaufen muss, sind nach dem neuen §30a Asylgesetz breit gefächert. Sie können so ausgelegt werden, dass sie nahezu jeden Flüchtling betreffen können.

Beispiel Reisedokumente:

Wer mutwillig seinen Pass beseitigt oder dies von den Behörden unterstellt bekommt, muss ins Schnellverfahren. Ignoriert wird, dass der überwiegende Teil der Schutzsuchenden schlicht gezwungen ist, ohne Reisedokumente nach Deutschland zu kommen, weil ihnen die Verfolgerstaaten keine Dokumente ausstellen.

2. Entscheidung über den Asylantrag in nur einer Woche

Statt fairer Asylverfahren drohen vielen Schutzsuchenden künftig Schnellverfahren in besonderen Aufnahmeeinrichtungen (BAE). Zwei solche Aufnahmeeinrichtungen, im bayerischen Manching und Bamberg, sind bislang eigens für Balkan-Flüchtlinge in Betrieb. Asylgesuche werden dort innerhalb weniger Tage in einem Schnellverfahren erledigt, ein Schutzanspruch aufgrund des Herkunftslandes vorab pauschal verneint.

Weitere Einrichtungen dieser Art sollen entstehen (z.B. auf dem Bremer Vulkan-Gelände).

Die geplante Entscheidung innerhalb einer Woche bedeutet, dass eine Entscheidung ohne gründliche Prüfung des Asylvorbringens getroffen wird.

Für die Flüchtlinge, vor allem für Traumatisierte ist ein Zeitraum von einer Woche viel zu kurz. Sie benötigen viel mehr Zeit als eine Woche, um stabil genug für eine Anhörung zu sein.

3. Asylverfahren ohne Beratung

Rechtlich beraten werden Asylsuchende vor ihrer Anhörung nicht, in den Aufnahmeeinrichtungen ist keine kostenlose Rechtsberatung vorgesehen. Die steht ihnen aber zu: Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil zum sog. Flughafenverfahren von 1996 klargestellt, dass die Schutzsuchenden bei beschleunigten Sonderverfahren Anspruch auf eine kostenlose asylrechtliche Beratung und gegebenenfalls anwaltliche Unterstützung haben müssen.

Es ist nicht erkennbar, wie diese Beratung in den BAE fernab der Städte und Ballungszentren gewährleistet werden soll. Da die AntragstellerInnen in dieser Zeit zudem anstelle von Geld- nur Sachleistungen beziehen, können sie zudem die Kosten für einen Anwalt gar nicht tragen.

4. Strenge Residenzpflicht und Ausschluss vom Asylverfahren

Auch Folgeanträge sollen im Schnellverfahren abgewickelt werden. In der Praxis kann dies Menschen treffen, die nach jahrelanger Integration in Deutschland in die Aufnahmezentren verbracht werden, um dort erneut einen Asylantrag zu stellen, weil sich die Situation in ihren Herkunftsländern verändert hat.

Der Aufenthalt in diesen Zentren ist während des Schnellverfahrens Pflicht.

Einen völligen Ausschluss vom Asylverfahren sieht das Gesetz vor, wenn dem Asylsuchenden unterstellt werden kann, er würde sein Asylverfahren nicht betreiben. Dann gilt der Asylantrag als zurückgenommen.

Dies kann z.B. schon dann angenommen werden, wenn der Asylsuchende gegen die Residenzpflicht – also das Verbot, den ihm zugewiesenen Wohnort zu verlassen – verstoßen hat.

Dies ist völlig unverhältnismäßig. Konsequenz dieser Regelung kann z.B. sein:

Wegen eines Besuchs von Freunden in einem anderen Ort kommt es zum Ausschluss vom Asylverfahren. Dem Betroffenen droht die Abschiebung ins Herkunftsland, auch wenn dort ihm womöglich Folter und andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.

Gesetzeswortlaut:

(1) Der Asylantrag gilt als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt.

(2) Es wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er

1. einer Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 oder einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 nicht nachgekommen ist,

2. untergetaucht ist oder

3. gegen die räumliche Beschränkung seiner Aufenthaltsgestattung gemäß § 56 verstoßen hat, der er wegen einer Wohnverpflichtung nach § 30a Absatz 3 unterliegt.

Gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wird das Asylverfahren eingestellt.

Zwar kann gegen den Bescheid über die Einstellung des Asylverfahrens aufgrund fingierter Rücknahme ein Antrag auf Wiedereinsetzung beim BAMF gestellt werden. Ein solcher Antrag muss jedoch persönlich bei der zuständigen Außenstelle des BAMF gestellt werden. In einem solchen Antrag müsste der betroffene Asylsuchende

„unverzüglich nachweisen, dass … die in Nr. 3 genannte Handlung (also z.B. der Verstoß gegen die Residenzpflicht) auf Umstände zurückzuführen ist, auf die er keinen Einfluss hatte“

Eine weitere Rücknahmefiktion gilt, wenn der Flüchtling sich nicht unverzüglich in die ihm zugewiesene Aufnahmeeinrichtung begibt (§ 20 AsylG)

Diese Regelungen zeigen meiner Auffassung nach besonders deutlich den Charakter der beschlossenen Bestimmungen.

Rücknahmefiktionen sind bis auf einzelne absolute Ausnahmen (z.B. in § 92 der Verwaltungsgerichtsordnung) dem Rechtswesen in Deutschland fremd.

Die Rücknahmefiktion bedeutet, dass der betreffende Flüchtling so zu behandeln ist, als habe er seinen Asylantrag zurückgenommen. Das hat katastrophale Wirkungen: grundsätzlich kann dieser Flüchtling dann nur einen Folgeantrag stellen. Ein solcher Folgeantrag könnte nur dann Erfolgsaussichten haben, wenn ganz neue Fluchtgründe geltend gemacht werden, die nach Einstellung des Asylverfahrens entstanden sind.

Ein Folgeantrag ist wiederum im beschleunigten Verfahren zu behandeln und dementsprechend aussichtslos.

Im Ergebnis heißt das: auch ein Flüchtling, der wegen erlittener Verfolgung sein Land verlassen musste, kann abgelehnt werden, weil er sich z.B. „nicht unverzüglich“ in die ihm zugewiesene Erstaufnahmeeinrichtung begeben hat oder auch nur vorübergehend nicht in der ihm zugewiesenen Unterkunft aufgehalten hat.

Es bedarf keiner großen Phantasie, sich vorzustellen, dass es viele Flüchtlinge geben wird, die die komplizierten Regelungen des Asylgesetzes nicht oder nur unzureichend verstehen können.

Insbesondere die katastrophalen Folgen, die z.B. ein Verstoß gegen die Residenzpflicht mit sich bringen kann, sind für Flüchtlinge, die aus Ländern mit völlig anderem kulturellem und rechtlichem Hintergrund kommen, im Zweifel nicht nachvollziehbar.

Die Verpflichtung sich „unverzüglich“ in die Aufnahmeeinrichtung zu begeben, ist zudem angesichts der bestehende Verhältnisse reiner Zynismus. Tausende von Flüchtlingen warten manchmal Monate darauf, überhaupt registriert zu werden und einen Asylantrag stellen zu können.

Die Neuregelungen lassen die Flüchtlinge also quasi ins offene Messer laufen. Das kann ich nur als niederträchtig bezeichnen.

5. Abschiebung trotz Krankheit

Weitere Verschärfungen betreffen den Umgang mit kranken Flüchtlingen, insbesondere mit solchen, die unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden. Diese Krankheit soll künftig einer Abschiebung nicht mehr im Wege stehen, wenn eine medikamentöse Behandlung im Heimatland möglich ist. Dass PTBS eine schwerwiegende Krankheit ist, bei der eine rein medikamentöse Behandlung gar nicht vorgesehen ist, wird außer Acht gelassen.

Zudem wird gesetzlich vermutet, dass ein abzuschiebender Flüchtling gesund ist. Seine Erkrankung und ggf. seine Reiseunfähigkeit muss der Flüchtling selbst beweisen, und zwar durch die Vorlage einer „qualifizierten ärztlichen Bescheinigung“.

Generell – also bei allen denkbaren Krankheiten – soll künftig auch dann abgeschoben werden, wenn eine Therapie im Zielstaat der Abschiebung existiert, ungeachtet der Frage, ob sie für den Betroffenen erreichbar ist (sog. inländische Gesundheitsalternative).

Gem. der gesetzlichen Neuregelung liegt eine „ausreichende medizinische Versorgung“ auch dann vor, „wenn diese in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist“ (§ 60 Abs. 7 AufenthG).

Abgeschobene Flüchtlinge werden jedoch in der Regel nur mit wenig Geld in ihr Herkunftsland verbracht. Die Möglichkeit, in einen anderen Teil des Landes zu reisen, um medizinische Behandlungen in Anspruch zu nehmen und diese dann auch zu bezahlen, ist in den meisten Fällen praktisch nicht möglich.

Gerade die Erfahrungen mit den vielen Flüchtlingen aus den Ländern, in denen Bürgerkriegsverhältnisse herrschen oder in denen brutale Unrechtsregime bestehen, zeigen, dass viele von ihnen nachhaltig traumatisiert sind und geschützt werden müssen.

Die neuen Regeln über die Abschiebung kranker Flüchtlingen zeigen eine menschenverachtende Grundeinstellung.

Die geplante Regelung verstößt zudem nicht nur gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, sondern ist auch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, die vor Abschiebung in einen Folterstaat absolut schützt, und der Genfer Flüchtlingskonvention nicht vereinbar.

Nicht anders zu beurteilen sind die Vorschriften über die Folgen fehlender Personalpapiere, wobei die Umsetzung in Arbeit ist. Darauf werde ich später eingehen.

6. Familientrennung auf Jahre

Das zweite Asylpaket trifft auch Familien von subsidiär Geschützten. Ihr Anspruch auf Familienzusammenführung wird für zwei Jahre ausgesetzt. In der Praxis können Familien so auf bis zu vier bis fünf Jahre auseinandergerissen werden:

  • bis zum positiven Asylentscheid kann ein Jahr vergehen.
  • darauf folgt die zweijährige Sperrfrist.
  • bis die Angehörigen einen Termin in der jeweiligen deutschen Botschaft bekommen, kann es ebenfalls bis zu einem Jahr dauern.
  • im Anschluss werden die Reisedokumente mehrere Monate lang geprüft.

In dieser Zeit sind Familien von subsidiär Geschützten weiterhin Gefahren in den Verfolgerstaaten ausgesetzt.

Viele Familienangehörige, auch Kinder, werden die Lebensgefahr der Flucht über das Mittelmeer auf sich nehmen.

7. Weitere Leistungskürzungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylBewLG)

Für Flüchtlinge, über deren Asylantrag im beschleunigten Verfahren entschieden wird, gelten weitere Einschränkungen für die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsesetz.

Integrationsgesetz

Am 31.07.2016 ist das „Integrationsgesetz“ in Kraft getreten. Dieses Gesetz wird von der Bundesregierung und den sie tragenden Parteien als großer Entwurf für das Gelingen der Integration von Flüchtlingen gefeiert.

PRO ASYL bezeichnet das Gesetz als „autoritäre Integrationspädagogik für Flüchtlinge“, durch das Integration in Wahrheit nicht gefördert, sondern erschwert wird.

Es handelt sich wiederum um ein Artikelgesetz, durch das diverse Vorschriften aus dem Asylgesetz, dem Aufenthaltsgesetz, dem Asylbewerberleistungsgesetz u.v.m. neu geregelt werden.

Wie auch für die „Asylpakete“ gilt auch für das Integrationsgesetz:

Es ist in größter Eile entworfen und verabschiedet worden. Die Beteiligung von maßgeblichen Organisationen aus der Zivilgesellschaft z.B. PRO ASYL, wurde unter solchen Zeitdruck gestellt (2 Arbeitstage), dass bei PRO ASYL der Eindruck entstanden ist, dass auf Seiten der Bundesregierung gar „kein ernsthaftes Interesse an den fachlichen Einschätzungen aus der Zivilgesellschaft“ vorhanden ist.

Zu den einzelnen Bestimmungen:

1. Berufsausbildungsbeihilfe

Im Sozialgesetzbuch wurden Sonderbestimmungen erlassen. Hierbei wird wiederum eine Unterscheidung zwischen Flüchtlingen mit »guter« und mit »schlechter« Bleibeperspektive getroffen.

Flüchtlinge, bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist (respektive Asylsuchende aus Herkunftsstaaten mit einer hohen Anerkennungsquote) sollen berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen, ausbildungsbegleitende Hilfen und Unterstützung aus der assistierten Ausbildung erhalten, wenn ihr Aufenthalt bereits seit drei Monaten gestattet ist, bei Geduldeten verlängert sich die Frist auf zwölf Monate ( § 132 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 SGB III). Berufsausbildungsbeihilfe und Ausbildungsgeld erhält, wer seit 15 Monaten einen gestatteten Aufenthalt in Deutschland hat.

Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten fallen aus dieser Regelung heraus.

Nur wenn sie nicht in einer Aufnahmeeinrichtung wohnen, sollen sie überhaupt die Möglichkeit im Einzelfall erhalten Berufsausbildungsbeihilfe zu bekommen. Für eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme werden zusätzlich Kenntnisse der deutschen Sprache erwartet.

Die Sonderregelungen gelten nur für Maßnahmen und Anträge auf Beihilfe, die bis zum 31.12.2018 ergangen sind, gestellt wurden oder begonnen haben.

2. Berufsausbildung

Nach dem § 60a Abs. 2 S. 4 AufenthG wird während einer Ausbildung eine Duldung für die Gesamtdauer der Ausbildung eingeführt. Im Anschluss wird zudem eine Aufenthaltserlaubnis zur Berufsausübung für zwei Jahre erteilt. Jedoch hängt die Aufenthaltserlaubnis vom Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses ab. Ob diese Regelung auch für das Studium gilt ist bisher nicht eindeutig sicher. Entsprechende Begehren sollten mit Anwälten geprüft werden.

Die Aufenthaltserlaubnis kann zudem widerrufen werden, wenn aus Gründen, die in der Verantwortung des Flüchtlings liegen, das Arbeitsverhältnis aufgelöst wurde oder die betroffene Person eine vorsätzliche Straftat im Bundesgebiet verübt hat, wobei aber Geldstrafen von bis zu 50 Tagessätzen oder bis zu 90 Tagessätzen bei Straftaten nach dem Aufenthaltsgesetz oder Asylgesetz ausgenommen sind.

3. Teilweise Abschaffung der Vorrangsprüfung

Die sog. Vorrangprüfung – also die Regel, nach der gegenüber Asylsuchenden deutsche Staatsangehörige und Migrant*innen mit einem gesicherten Aufenthaltsrecht vorrangig für Arbeitsangebote zu berücksichtigen sind – wird teilweise für drei Jahre lang abgeschafft. Die Vorrangprüfung wird für drei Jahre in denjenigen Bezirken abgeschafft, in denen die Arbeitslosenquote unterdurchschnittlich ist.

In der Anlage zur Verordnung sollen die betreffenden Bezirke aufgelistet werden. Aktuell ist diese Liste noch nicht einsehbar (Stand: August 2016).

4. Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen

Der neue § 421a SGB III stellt klar, dass Arbeiten im Rahmen von Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen kein Arbeitsverhältnis begründen. Die Regeln des Arbeitsschutzes und für Urlaubsentgelte werden aber entsprechend angewendet.

Asylsuchende sind verpflichtet, die von den Behörden zugewiesenen Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen anzunehmen. Dabei ähneln diese Maßnahmen den schon bekannten Arbeitsmaßnahmen aus dem Hartz-IV-System. Weigern sich Flüchtlinge die Maßnahme anzutreten, kann ihr Existenzminimum gestrichen werden.

Zur Ermittlung, welcher Asylsuchende welche Tätigkeit wahrnehmen soll, dürfen die Behörden nunmehr die erforderlichen personenbezogenen Daten der Betroffenen erheben, z.B. zum Bildungsstand, zur beruflichen Qualifikation und zu den Sprachkenntnissen.

Zu unterscheiden hiervon sind Arbeitsgelegenheiten, die es schon länger im Gesetz gibt und die Asylsuchende verpflichten in ihren Aufnahmeeinrichtungen gewisse Tätigkeiten durchzuführen.

Durch das Integrationsgesetz wird ihre bisherige Aufwandsentschädigung von 1,05 Euro auf 80 Cent reduziert.

5. Kürzung des Existenzminimums

Ein neuer Anwendungsbereich für Kürzungen des Existenzminimums nach § 1a AsylblG wird eingeführt.

Nach § 1a Abs. 4 sind von den Kürzungen nunmehr auch Personen betroffen, die bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat einen internationalen Schutzstatus erhalten haben.

Eine Leistungskürzung nach § 1a Abs. 5 erfolgt zudem dann, wenn Asylsuchende bestimmte Mitwirkungspflichten nicht erfüllt haben. Darunter zählt z.B. die fehlende Beibringung von Unterlagen zur Bestimmung ihrer Identität, das Fernbleiben von einem Termin zur förmlichen Antragstellung beim BAMF oder die Verweigerung von Angaben zu Informationen ihrer Identität oder Staatsbürgerschaft.

Die Kürzung ist nur dann ausgeschlossen, wenn der Asylsuchende für dieses Verhalten nicht verantwortlich ist. Die Kürzung wird beendet, wenn die erforderliche Mitwirkungshandlung erbracht wird.

Gekürzt wird das Existenzminimum auch dann, wenn Asylsuchende die Arbeitsgelegenheit, zu der sie verpflichtet wurden, nicht wahrgenommen haben oder einen Integrationskurs nicht besuchen.

Problematisch ist zudem, dass der Widerspruch und die Klage bei diesen Kürzungen keine aufschiebende Wirkung haben.

6. Wohnsitzauflage

Besonders umstritten war die Einführung der Wohnsitzauflage durch das Integrationsgesetz. Sie betrifft anerkannte Flüchtlinge und zwingt sie unter bestimmten Voraussetzungen, an dem Ort wohnen zu bleiben, dem sie während ihres Asylverfahrens zugewiesen wurden (§12a AufenthG). Betroffen hiervon sind alle Flüchtlinge, die erst nach dem 1. Januar 2016 eine Anerkennung oder die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erhalten haben. Anerkannte Flüchtlinge sollen für drei Jahre lang am Ort ihrer Zuweisung während des Asylverfahrens leben müssen, ohne an einem anderen Ort ihren Wohnsitz zu begründen (§ 12a Abs. 1 AufenthG).

Ausgenommen hiervon sind Personen, die selbst, deren Ehegatten (Lebenspartner) oder deren minderjähriges Kind eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von mindestens 15 Stunden aufgenommen haben und damit über ein durchschnittliches Einkommen im Sinne von §§ 20 und 22 SGB II verfügen. Dazu zählt auch eine Berufsausbildung oder ein Studium.

Die Wohnsitzauflage betrifft zunächst nur die Zuteilung zu einem bestimmten Bundesland und dann erst zu einem bestimmten Ort. Die Bundesländer haben darüber hinaus die Möglichkeit, bestimmte Orte von einer Wohnsitzzuteilung auszunehmen, z.B. weil die Bundesländer an dem betreffenden Ort davon ausgehen, dass kein ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht.

Die jeweiligen Bundesländer sind daher selbst in der Verantwortung zu entscheiden, wie sie die Wohnsitzauflage genau regeln wollen. Entsprechende Hinweise werden sich demnächst in den Durchführungsverordnungen der Länder finden.

Einige Länder haben bereits mitgeteilt, dass sie die Wohnsitzauflage nicht anwenden wollen, z.B. Rheinland-Pfalz. Andere Bundesländer prüfen derzeit die Ausgestaltung.

Zusätzlich zur Wohnsitzauflage wird im SGB II noch klargestellt, dass die Leistungen nur vom Träger desjenigen Ortes erbracht werden, dem der Flüchtling zugewiesen ist. Am Ort, wo sich der Betroffene tatsächlich aufhält, darf ihm nur eine Reisebeihilfe zum Ort seiner Zuweisung erbracht werden (§ 23 Abs. 5 SGB XII).

7. Niederlassungserlaubnis

Bislang konnten Flüchtlinge nach drei Jahren des legalen Aufenthalts in Deutschland eine Niederlassungserlaubnis (=unbefristete Aufenthaltserlaubnis) erhalten.

Nunmehr wird diese Frist auf fünf Jahre ausgeweitet (§ 26 Abs. 3 AufenthG) und mit zusätzlichen Voraussetzungen versehen. So muss z.B. der Lebensunterhalt überwiegend gesichert sein und hinreichende Sprachkenntnisse nachgewiesen werden.

Inhaltlich fügt sich das Integrationsgesetz ein in die Reihe von Gesetzesänderungen im Rahmen der Asylpakete, die letztlich größtenteils Einschränkungen und Verschärfungen beim Schutz von Flüchtlingen zum Inhalt haben.

Dabei werden einzelne, für sich gesehen sinnvolle Maßnahmen wie z.B. die teilweise Abschaffung der Vorrangsprüfung oder Erleichterungen für Ausbildungsverhältnisse etc. in einem Gesamtpaket untergebracht, das insgesamt gerade nicht der Integration von Flüchtlingen dient.

Wie ich schon zu Beginn erwähnt habe, sind die Asylpakete und das Integrationsgesetz nicht das Ende der Verschärfungen im Flüchtlingsrecht.

Zur Zeit liegt ein ausformulierter Gesetzentwurf für ein „Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ dem Bundestag vor. Zwar gibt es anscheinend noch Probleme innerhalb der Koalition, da einige der geplanten Bestimmungen auch der SPD zu weit gehen.

Gleichwohl zeigt der Entwurf überdeutlich, wohin die Reise gehen soll.

Die krassesten Bestimmungen:

  • ausreisepflichtigen Flüchtlingen wird keine Duldung mehr erteilt, sondern eine neue „Bescheinigung über die vollziehbare Ausreisepflicht“.
    Das ist ein Papier, das für den betroffenen Flüchtling mit keinerlei Rechten mehr verbunden ist. Das Papier schützt den Inhaber der Bescheinigung lediglich gegen eine Bestrafung wegen illegalen Aufenthalts.
  • das Gesetz soll gelten für Flüchtlinge, denen „die Unmöglichkeit der Abschiebung zuzurechnen sind“, z.B. weil sie keine Dokumente für die Ausreise haben, und zwar auch dann, wenn der Heimatstaat erwiesenermaßen keine solchen Dokumente ausstellt .
    Das sind z.Zt: Ägypten, Algerien, Marokko, Äthiopien, Benin, Burkina Faso, Ghana, Guinea, Guinea-Bissau, Mali, Niger, Nigeria, Tunesien, Bangladesch, Indien, Pakistan, Libanon.
    Die Flüchtlinge werden also selbst dafür verantwortlich gemacht, dass ihr Heimatstaat keine Dokumente für die Rückführung ausstellt.
    In der Begründung für den Gesetzentwurf heißt es insoweit, diese Maßnahme diene auch der „Anregung zur freiwilligen Ausreise“.
  • der bereits im Gesetz vorgesehene „Ausreisegewahrsam“ wird von 4 auf 14 Tage verlängert. In Hamburg-Fuhlsbüttel ist bereits die erste derartige Einrichtung in Betrieb.
  • die Möglichkeiten der Abschiebungshaft werden erweitert: bereits die Verurteilung zu Freiheitsstrafe (auch zur Bewährung und egal wegen welchen Delikts) rechtfertigt die Abschiebungshaft, des weiteren die Nichtkooperation bei der Beschaffung von Ausreisedokumenten
  • Ausreisepflichtige sind von jeder Möglichkeit der Beschäftigung incl. Berufsausbildung ausgeschlossen.

Auch in diesem Gesetz ist geregelt, dass Widersprüche und Klagen gegen die Entscheidungen der Behörden keine aufschiebende Wirkung haben.

Wörtlich heißt es in dem Entwurf:

„Rechtsmittel gegen diese Auflage haben keine aufschiebende Wirkung, damit nicht durch die Einlegung von Rechtsmitteln die Möglichkeit des Ausländers eröffnet wird, vollendete Tatsachen durch eine begonnene Integration zu schaffen.“

Eine Integration oder auch nur Bemühungen um eine Integration dieser Menschen ist also ausdrücklich nicht gewollt.

Auch wenn dieses Gesetz bisher nur ein Entwurf ist, zeigt es deutlich die Richtung. Den schutzsuchenden Flüchtlingen wird mit grundsätzlichem Misstrauen begegnet. Ihnen wird grundsätzlich unterstellt, nur täuschen zu wollen und unberechtigt staatliche Leistungen in Deutschland in Anspruch nehmen zu wollen.

Durch die dargestellten gesetzlichen Neuregelungen wird das Asylrecht, wie es im Grundgesetz einmal konzipiert war, praktisch zunichte gemacht.

Die beiden hauptsächlichen Instrument hierfür sind

  • zum einen die verkürzten Asylverfahren, die praktisch kaum noch eine echte Prüfung von Asylgründen möglich machen,
  • zum anderen die Konstruktion der sicheren Herkunftsstaaten, durch die staatlicherseits festgelegt wird, wer Asylgründe hat und wer nicht.

Seit der Einführung der Konstruktion der „sicheren Herkunftsstaaten“ im Jahre 1993 gab es über Jahrzehnte hinweg nur zwei Staaten in dieser Liste: Senegal und Ghana.

Jetzt wird die Konstruktion der sicheren Herkunftsstaaten dazu genutzt, einen Großteil der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge von vornherein „auszusortieren“ und ihnen faktisch den Schutz zu verweigern.

Weitere sichere Herkunftsstaaten sind im Gespräch: die nordafrikanischen Länder Marokko, Algerien und Tunesien. Bislang gibt es dagegen Widerstand, sogar aus dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge selbst.

Mit dem System der sicheren Herkunftsstaaten wird frühzeitig – lange vor Beginn des eigentlichen Asylverfahrens – behördlich festgestellt, wer eine gute oder schlechte Bleibeperspektive hat und wer nicht, mit nachhaltigen Folgen für das weitere Verfahren und den weiteren Aufenthalt.

Das beschleunigte Asylverfahren ist nur noch der Form nach ein rechtsstaatliches Verfahren. Eine inhaltliche Prüfung ist nicht mehr vorgesehen und auch nicht gewollt.

Regierung und Behörden bekommen faktisch die Hoheit über das Schicksal von Flüchtlingen. Die gerichtliche Überprüfung ist eine Farce, die allenfalls dazu dienen kann, den Anschein eines rechtsstaatlichen Verfahrens aufrecht zu erhalten.

Damit gleicht sich der Umgang mit Flüchtlingen den meisten europäischen Staaten an, in denen das Asylrecht kein verfassungsrechtlich begründetes Grundrecht ist, sondern auf der Grundlage staatlicher bzw. politischer Entscheidungen gewährt wird. Dabei hängt es von der jeweiligen politischen Lage ab, ob das Recht großzügig gewährt wird oder restriktiv.

Im Klartext bedeutet das: Die Gewährung oder Nichtgewährung von Asyl erfolgt weitgehend willkürlich.

Deutlich wird das z.B. an dem Umgang mit Flüchtlingen aus Syrien: zunächst wurden Flüchtlinge aus Syrien aufgrund einer Entscheidung der Bundesregierung pauschal und ohne Einzelfallprüfung als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt und erhielten damit den Schutzstatus von Asylberechtigten. Seit dem 17.03.2016, also exakt mit Inkrafttreten des „Asylpaket 2“ führt das BAMF für Flüchtlinge aus Syrien die Einzelfallprüfung durch mit der Folge, dass die ganz überwiegende Zahl der syrischen Flüchtlinge nur noch den „subsidiären Schutz“ erhält, d.h. nicht mehr als Flüchtlinge anerkannt werden.

Wie die Gerichte damit umgehen, bleibt abzuwarten. Viele der neuen Bestimmungen widersprechen ganz offensichtlich den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.

Diverse Verwaltungsgericht haben den Klagen der betroffenen syrischen Flüchtlinge stattgegeben und festgestellt, dass der Flüchtlingsstatus anzuerkennen sei.

Das OVG Schleswig hat aktuell entschieden, dass den syrischen Flüchtlingen kein Flüchtlingsstatus zu gewähren ist.

Die willkürliche Behandlung von Asylanträgen steht in krassem Widerspruch zu dem immer noch bestehenden Grundrechtscharakter des Asylrechts.

Eigentlich müsste es bei den Verwaltungsgerichten einen Aufschrei geben angesichts von gesetzlichen Bestimmungen, die krass den rechtsstaatlichen Grundregeln widersprechen, die Richter in ihrem Studium und ihrer Ausbildung vermittelt bekommen haben.

Ich habe lange Jahre als Rechtsanwalt im Bereich des Asyl- und Ausländerrechts gearbeitet. Bis zum Schluss habe ich immer noch darauf vertraut, dass – bei aller Einschränkung – gewisse rechtstaatliche Grundsätze auch im Asylrecht gelten müssen.

Immerhin ist das Asylrecht immer noch ein Grundrecht und hat damit ganz besondere Bedeutung.

In Deutschland wird oft besonders darauf hingewiesen, dass Deutschland einer der wenigen Länder ist, in dem das Recht auf Asyl als Grundrecht in die Verfassung aufgenommen ist. Diejenigen, die seit geraumer Zeit von einer „Obergrenze“ bei der Aufnahme von Flüchtlingen reden, wissen, dass das nur gehen würde mit einer Beseitigung des Art. 16 GG. Der Grundrechtscharakter des Asylrechts schließt eine Obergrenze derjenigen, die es in Anspruch nehmen können, aus.

Die vorläufige Aufnahme einer großen Anzahl von Flüchtlingen seit dem Sommer des letzten Jahres wird von der Politik offensichtlich dazu genutzt bzw. missbraucht, das Asylrecht bei formaler Beibehaltung des Art. 16 GG maximal einzuschränken und faktisch zu beseitigen. Die Gewährung von Schutz für Flüchtlinge wird letztlich dem Belieben der Regierung überlassen, wobei die Verfahrensregeln nur noch formal einen rechtsstaatlichen Schein aufrechterhalten.

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* Günter Werner war von 1975 bis 2016 als Rechtsanwalt in Bremen tätig, seit Mitte der 80er Jahre schwerpunktmäßig u.a. im Bereich des Ausländer- und Flüchtlingsrechts. Seit Beendigung seiner beruflichen Tätigkeit im Mai 2016 ist er u.a. aktives Mitglied im Bremer Flüchtlingsrat.

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