27. Oktober 2016 · Kommentare deaktiviert für „Räumung in Calais: Keine Flüchtlinge mehr im Dschungel“ · Kategorien: Frankreich, Großbritannien · Tags: ,

Quelle: taz

Dramatische Stunden in Calais: Im Flüchtlingscamp lodern Flammen auf, die letzten Bewohner verlassen die notdürftigen Behausungen.

CALAIS dpa | Alle Flüchtlinge haben wegen starker Brände das Lager im nordfranzösischen Calais verlassen. „Das Lager ist endgültig leer“, sagte die Präfektin des Départements Pas-de-Calais, Fabienne Buccio, am Mittwoch dem französischen Nachrichtensender BFMTV.

Im Lager hatte es bereits in der Nacht gebrannt; die Flammen loderten in den Mittagsstunden wieder auf. Über dem Areal stiegen schwarze Rauchwolken auf.

Das slumartige Flüchtlingslager am Ärmelkanal wird seit Montag von den Behörden geräumt. Etwa 5.000 Flüchtlinge seien bereits registriert und in sichere Unterkünfte gebracht worden, sagte Buccio. Etwa 1.000 Menschen warteten noch vor dem Transitzentrum unweit des Lagers. Ursprünglich sollte die Räumung eine Woche lang dauern.

„Das ist ein wichtiger Augenblick“, sagte die Präfektin. „Der Einsatz geht zu Ende.“ Sie berichtete, dass vier Flüchtlinge wegen des Verdachts der Brandstiftung vorläufig festgenommen worden seien.

Alle Migranten seien freiwillig zu dem Transitzentrum gekommen, sagte Buccio. Von dort aus werden die Menschen mit Bussen in Aufnahmezentren in ganz Frankreich gebracht. Vor der Räumung hatte der größte Slum Frankreichs nach Behördenangaben rund 6.500 Bewohner.

Bereits in der Nacht waren leere Hütten in Flammen aufgegangen. Gasflaschen explodierten. Dabei wurde ein Flüchtling leicht verletzt, wie der Radiosender France Inter berichtete.

Arbeiter rissen weiter Zelte und Behelfsunterkünfte ein. Dazu soll nun auch schweres Gerät eingesetzt werden.

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Die letzten Bilder aus dem Dschungel

Mit Bagger und Presslufthammer arbeiten sich Helfer durch das Flüchtlingscamp in Calais. Nach knapp drei Tagen soll auch der letzte Geflüchtete den Dschungel verlassen.

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Großbritannien! Für die meisten bleibt die Insel ein unerfüllter Traum. © Emilio Morenatti/AP/dpa

Der sogenannte Dschungel wird geräumt: Knapp drei Tage hat es gedauert, um etwas mehr als 6.000 Menschen von Calais in andere Regionen Frankreichs umzusiedeln. Am Mittwochabend soll der letzte Migrant das Lager verlassen haben. Die meisten haben ihre Koffer freiwillig zu den Bussen getragen. Nur einige wenige wehrten sich gegen die Räumung. Jetzt hat das Aufräumen begonnen: Freiwillige Helfer entsorgen Matratzen und Kochutensilien, reißen Zelte ein und tragen Hütten ab. Journalisten dokumentieren die Räumung, die in wenigen Tagen abgeschlossen sein soll.

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Im Dschungel der Politik

Calais | Das französische Camp wurde erneut geräumt. Doch wenn die Politik Flüchtenden keine Perspektive bietet, werden auf Dauer alle Bulldozer dieser Welt nichts nützen

Juliane Löffler

Frankreich ist kein guter Ort für Flüchtende. Er wird es wohl auch nicht mehr werden. Am Montag hat die französische Regierung, wie angekündigt, mit der Räumung des Flüchtlingscamps in Calais begonnen. Auch der sogenannte Dschungel war kein sicherer Ort, doch es gab zumindest eine improvisierte Infrastruktur: fließendes Wasser, medizinische Versorgung, eine Moschee. Und für viele die Hoffnung auf eine Zukunft in Großbritannien. Nach Bränden in der Nacht wurde am Mittwoch gemeldet, es befinde sich niemand mehr im Camp. Die 10.000 Menschen sollen nun auf das ganze Land verteilt werden, nur ein Teil der 1.300 unbegleiteten Minderjährigen kann sich noch Hoffnungen machen, auf die andere Seite des Kanals zu kommen.

Man sollte jedoch nicht glauben, dass die französische Regierung auf eine langfristige Lösung aus ist. Die Räumung ist vielmehr eine Reaktion auf die anstehenden Parlamentswahlen im November. Flüchtlingspolitik stand nie auf der Prioritätenliste von Präsident François Hollande. Und statt ein linkes Gegenprogramm zu entwerfen, gab er rechten Parolen indirekt nach – indem er auf die Terroranschläge in Paris und Nizza mit Notstandsgesetzen und Ausnahmezustand statt Reformen für eine bessere Integration reagierte. Ohnehin gibt es in Frankreich keine progressive Flüchtlingspolitik. Die Anerkennungsquoten bei Asylverfahren sind niedrig, die Wahlergebnisse des Front National hoch. Ein Großteil der Menschen wird also wieder abgeschoben, es herrscht ein gravierender Mangel an Unterbringungsmöglichkeiten. In Paris schlafen Flüchtende auf der Straße. Dass rund 80.000 Asylanträge wie im Jahr 2015 nicht besser bewältigt wurden, ist auch Zeichen des politischen Unwillens, an der Lage etwas zu ändern.

Es zeigt sich in Frankreich, ähnlich wie in der restlichen EU, eine fatale Tendenz: Niemand will Flüchtende aufnehmen. Großbritannien baut an der Grenze zum Eurotunnel eine Betonmauer, vier Meter hoch, einen Kilometer lang. EU-Ratspräsident Donald Tusk verkündete kürzlich, dass der erst vor einem Jahr angedachte europaweite Flüchtlingsverteilungsschlüssel für ihn vom Tisch sei. Damit rückt eine gesamteuropäische Lösung noch weiter in die Ferne. Ungarn hat seinen Zaun bereits gebaut, Slowenien plant ihn noch, die deutsche Bundeskanzlerin schmiedet nach dem EU-Türkei-Deal weitere Abkommen mit Ägypten, dem Sudan oder Eritrea. Auch in Schweden und Frankreich brennen Flüchtlingsunterkünfte. In der Konsequenz entstehen Camps wie in Calais, wie in Idomeni oder Piräus. Es sind Grenz- und Übergangsorte, von denen es weder vor noch zurück geht. Die Leidtragenden sind stets die Flüchtlinge.

Dass sie sich ein bestimmtes Ziel für ihre Flucht auswählen, hat oft einen Grund. Sie wollen etwa zu Angehörigen kommen, die ihnen wirtschaftlichen und sozialen Anschluss bieten können. Oder sie haben eine kulturelle oder sprachliche Bindung zu einem Land. Der Sudan und Eritrea etwa, aus denen der Großteil der Asylsuchenden in Calais stammt, haben eine britische Kolonialgeschichte. Auch daran sollte gedacht werden, wenn ihnen nun die Einreise versagt wird. In der Konsequenz werden viele untertauchen.

Das Camp von Calais existiert schon seit 14 Jahren und wurde schon oft geräumt, allein in diesem Jahr bereits zwei Mal. Alle Bulldozer dieser Welt werden nichts ausrichten, wenn Frankreich und die EU keinen Weg finden, Flüchtenden eine Perspektive anzubieten. Dann werden die Menschen schon bald wieder im Dschungel von Calais auftauchen.

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