19. Oktober 2016 · Kommentare deaktiviert für „Libyen: Die Küste bleibt Revier der Milizen und Geschäftemacher“ · Kategorien: Europa, Hintergrund, Libyen

Quelle: Telepolis

Ein „Putschversuch“ in Tripolis unterminiert die Einheitsregierung. Auf deren Hilfsgesuch warten die Nato und die EU, um die Außengrenzen besser zu kontrollieren

Thomas Pany

Libyen ist eine Schatzkammer für viele. Die Mafia unterhält beispielsweise einen lukrativen Schwarzmarkthandel mit „monumentalen Antiquitäten„, die ihr IS-Milizen aus dem Land beschaffen (im Gegenzug liefern die Verbrecherbanden den Terroristenbanden Waffen).

Der Ölreichtum des Landes ist für viele verlockend, insbesondere weil es darum geht, die Milizen zu bezahlen.

Dann gibt es noch den beinahe sagenumwobenen zig Milliarden Dollar schweren Schatz aus Gaddafis Zeiten, der schon zu dessen Lebzeiten den Appetit einer großen Investmentbank erregte, die mit Prostituierten zum Abschluss großer Geschäfte verführte – eine „extra mile“, die schon in Ordnung geht, beschied kürzlich ein US-Gericht.

Darüber hinaus gibt es noch die beinahe sagenumwobenen „Millionen Flüchtlinge“ (vgl. EU-Flüchtlingsdeal mit Libyen: Auffanglager und „Inhaftierungszentren“), die darauf warten, dass sie von Libyens Küsten aus nach Europa gelangen. Auch das ist ein lukratives Geschäftsmodell – und zugleich die größte Sorge der EU.

Vor allem aber: Schwierigkeiten

Libyen ist ein Trouble-Land, neben den Reichtümern und der geopolitischen Stellung, die selbstverständlich auch den türkischen Präsidenten Erdogan interessieren („Der Türkei geht es nicht nur um die Türkei“), bietet es vor allem Schwierigkeiten.

Am Freitag kam es zu einem „Putschversuch“ in der Hauptstadt Tripolis. Büros und Räume der Einheitsregierung wurden von einer islamistischen Miliz besetzt und geräumt. Die halbe Präsidialgarde lief zum Gegner über.

Dessen starker Mann heißt Khalifa Al-Ghweil. Er ist der Ministerpräsident der „Regierung des Heils“. Ihre Basis hat sie im Parlament in Tripolis, dem General National Congress (GNC), das international nicht anerkannt ist, wie auch die Regierung des Heils nicht international anerkannt ist. Das ist Al-Ghweil nicht so wichtig. Wichtig ist für ihn, dass er behaupten kann, dass seine Regierung 100 Prozent der Hauptstadt kontrolliere.

Putsch im Rixos-Komplex, Islamisten versus Militärregierung

Ob das tatsächlich stimmt, ist von außen schwer einzuschätzen. Sicher ist, dass die Aktion dem UN-Sonderbeauftragten für Libyen, dem deutschen Martin Kobler, Kopfschmerzen bereitet hat und noch bereiten dürfte. Er verurteilte die Aktion und bemüht sich weiter, seinen Gästen das Lied von der angestrebten Stabilität Libyens vorzusingen.

Koblers Projekt ist die Stabilisierung der Einheitsregierung unter dessen Chef Fayez al-Sarraj. Daran hängt vieles: der Nato-Einsatz im Mittelmeer, der sich im großen Bild als Schutzmaßnahme nicht nur gegen Terroristen, sondern vor allem gegen „unvorhersehbare Russen“ versteht; die Sicherung der EU-Außengrenze, die Ausbildung einer libyschen Küstenwache, die Stabilität im Inneren des Landes und, ganz sicher nicht nebensächlich, der Einfluss westlicher Staaten auf Libyen.

Die Vertreibung der Einheitsregierung aus dem Rixos-Komplex in der Hauptstadt ist ein Ausschnitt aus einem großen, in Einzelheiten wenig übersichtlichen Machtkampf, den Beobachter mittlerweile auf die Formel bringen: Islamisten versus Militärregierung.

Kobler, wie sein Vorgänger Bernardino León, dachten möglicherweise, sie könnten diese Entwicklung verhindern. Aber sie hatten die Rechnung ohne General Haftar gemacht, weil sie, wie alle von Außen Kommenden, das Land und seine Verhältnisse offensichtlich zu wenig kennen oder sie zu wenig berücksichtigen – und einer ganz anderen Agenda folgen. Die von ihnen konzipierte und gepuschte nationale Einheitsregierung hatte von Anfang an Legitimitätsprobleme und keine nennenswerte Milizenunterstützung.

Keiner will von Intervention sprechen, aber sie sind schon dabei

Das Wort „Intervention“ will kein Politiker mehr in den Mund nehmen, wenn es um Libyen geht, weil Libyen das letzte Musterbeispiel für Interventionspfusch im großen Ausmaß ist, für politische Ignoranz, Gier und blindes Setzen auf militärische Power zugunsten von „Rebellen“, die man ganz und gar nicht kannte, die aber ein probates Mittel waren, um einen missliebig gewordenen Machthaber abzusetzen.

Italienische Politiker, französische Politiker, britische Politiker und deutsche Politiker hüten sich davor, von Intervention zu sprechen. Dabei sind ausländische Truppen längst im Land, französische und britische und amerikanische.Italien engagiert sich längst in der verdeckten Unterstützung der Einheitsregierung auch mit Militär. Die treulose Präsidialgarde soll vom italienischen Militär ausgebildet worden sein. Der Einzug des Chefs der Einheitsregierung vor Monaten in den Marinehafen von Tripolis geschah in Begleitung italienischer Marinesoldaten.

Die USA flogen seit 1.August über 300 Luftangriffe auf Stellungen des IS. Eigentlich hätten die IS-Milizen in Sirte längst besiegt sein müssen. Erfolgsmeldungen über die „letzten Zuckungen, Positionen, Stellungen…“ des IS gibt es seit Sommer. Gegenwärtiger Stand: Die Kämpfe dauern an, die Auseinandersetzungen mit dem IS fordert noch immer Todesopfer. Auch das ist ein Beispiel dafür, wie zäh in dem failed State Fortschritte zu erzielen sind.

Für die genannten westlichen Staaten und Bündnisse (Nato und EU) ist das „Sesam-Öffne-dich“ für Libyen die Bitte der anerkannten libyschen Regierung um Hilfe (was angesichts dessen, dass man es Russland übel nimmt, dass es auf Bitten der syrischen Regierung dort legal interveniert, ein ganz eigenes Geschmäckle hat).

Eklatante Lücken im libyschen Küstenschutz

Mit einer solchen Bitte um Hilfe könnten die Nato-und Eu-Schiffe der Seeüberwachungs-Mission Sea Guardian, an welcher auch die Bundeswehr beteiligt ist, endlich in libyschem Hoheitsgewässer operieren und die Küstenwache „übernehmen“.

Offiziell ist selbstverständlich nicht von „übernehmen“ die Rede, sondern von Ausbildung im Rahmen eines nationbuilding-ähnlichen Prozesses. Aber gibt es keinen Zweifel daran, dass das Interesse der EU und der Nato an einer Kontrolle der Küstenwache bedeutend ist. Der Weg dazu führt über die Ausbildung und den Zugang zu den Hoheitsgewässern.

Der libysche Küstenschutz weist eklatante Lücken auf. Die offizielle Küstenwache ist schwach bestückt.

Derzeit sollen der libyschen Küstenwache drei Boote in Tripolis, drei in Misratah und zwei inZuwarah für Einsätze zur Verfügung stehen. Hinzu kommt eine geringe Anzahl vonFestrumpfschlauchboote.

Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken

Die Küstenwache beherrscht auch nur ein paar hundert Kilometer, der Rest wird von Milizen kontrolliert, die wichtigsten Ölhäfen zum Beispiel vom Warlord Khalifa Haftar.

Operation Sea Guardian

Darüber hinaus geht es der Nato um Größeres. Die Operation Sea Guardian ist mit der Nato-Operation in der Ägais verbunden. Es geht nicht nur um die Seeüberwachung, Sicherung des Schiffsverkehrs gegen Terroristen. Es ist eine militärische Operation, es geht um Logistik und Kontrolle im Mittelmeer.

Dabei hat man längst nicht nur Terroristen und Schleuser und Schlepper von Migranten im Lagebild, sondern auch das „nicht vorhersehbare Russland“, wie Nato-Generalsekretärs Stoltenberg erklärte.

Die Bitte um Hilfe vonseiten einer legitimierten libyschen Regierung wäre höchst willkommen, um nicht zu sagen, dringend erforderlich. Allerdings fehlt der nationalen Einheitsregierung nicht nur die Legitimierung durch das libysche Volk, sondern auch durch dessen Vertreter in der einzig international anerkannten Kammer, dem Repräsentantenhaus.

Haftar und der GNC

Dort zieht General Haftar im Hintergrund die Fäden für die Bildung der Mehrheit. Bislang ist die notwendige Mehrheit für die Absegnung der Einheitsregierung nicht zustande gekommen. Haftar würde in der neuen Regierung seinen Posten als Oberbefehlshaber der Reste der libyschen Armee verlieren.

Das war offensichtlich die Konzession der UN-Vermittler (und der dahinter stehenden Staaten, USA und Katar) an die illegitime zweite Regierung in Tripolis mit dem General National Congress (GNC) als Kammer. Dort, im islamistischen Lager, hasst man Haftar. Der kämpft seit langem gegen die Milizen der libyschen Morgenröte, die dem GNC nahe stehen – und er baut mit Getreuen seine Macht im Osten des Landes aus. Wie bereist erwähnt, hat er sich mit der Übernahme der wichtigsten Ölverladestationen an der Küste auch eine wichtige Machtbasis gesichert.

Die faktischen Machtverhältnisse hatten zuletzt auch den UN-Sondergesandten Martin Kobler dazu bewogen, laut über eine Rolle der wichtigen Persönlichkeit Haftar in der neuen Regierung nachzudenken. Zum Missfallen von Khalifa Ghwell, der mit islamistischen Milizen Bescheid gab, wer die Macht in der Hauptstadt Tripolis hat. Welche Antwort Kobler darauf hat, um die Einheitsregierung zu retten, ist noch unbekannt.

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