29. August 2016 · Kommentare deaktiviert für „Frontex dringt auf Hilfe für Bulgarien“ · Kategorien: Balkanroute, Bulgarien, Griechenland, Türkei · Tags:

Quelle: Frankfurter Rundschau

Der Frontex-Chef spricht sich für mehr legale Wege für Flüchtlinge aus. Gleichsam fordert er mehr Unterstützung für Bulgarien beim Schutz der EU-Außengrenzen.

Der Chef der EU-Grenzschutzagentur Fabrice Leggeri hat vor einem erneuten Anstieg der Flüchtlingszahlen in Europa gewarnt. „Der Migrationsdruck bleibt immens“, sagte Leggeri im Interview der „Welt“ (Montag). „In Syrien herrscht weiter Krieg, die Terrormiliz Islamischer Staat setzt sich nun auch in Nordafrika fest und noch immer hat die Armut weite Teile der Welt fest im Griff.“

Leggeri sprach sich daher für eine Stärkung des EU-Grenzschutzes sowie mehr legale Wege für Migranten nach Europa aus. Der französische Exekutiv-Direktor erklärte, angesichts der geschlossenen Balkanroute fächerten sich die Flüchtlingsströme auf. „Die Migranten und die Schmuggler finden neue Wege“, sagte Leggeri. „Es kommen mehr Migranten aus Griechenland oder der Türkei nach Bulgarien“, stellte der Frontex-Chef fest. Leggeri forderte mehr Unterstützung für Bulgarien beim Schutz der EU-Außengrenze: „Zurzeit haben wir etwa 112 Beamte in Bulgarien eingesetzt, wir brauchen aber noch mindestens 100 mehr.“

Es sei aber nicht so, dass in Bulgarien nun ähnliche Zahlen wie auf dem Westbalkan im vergangenen Jahr registriert würden. Im Juli 2016 habe man etwa 2.160 illegale Grenzübertritte in der westlichen Balkanregion registriert.

Leggeri wies darauf hin, dass die EU-Länder zum Teil die Grenze der Belastbarkeit erreicht hätten: „Die Mitgliedsstaaten sind mittlerweile erschöpft“, sagte Leggeri. „Mehrere Länder haben an den Schengen-Binnengrenzen Kontrollen eingeführt. Die Kapazitäten sind vielerorts aufgebraucht.“ Der Frontex-Chef hob die Bedeutung der Grenzschließung durch Mazedonien für das Sinken der Flüchtlingszahl nach Europa hervor. „Das war der entscheidende Einschnitt“, sagte Leggeri. Das spätere Abkommen mit der Türkei sorge für eine „hoffentlich nachhaltige Beherrschbarkeit der Situation“.

Angesichts der angespannten Lage in der Türkei warnte Leggeri vor einem Scheitern des Abkommens: „Die Zahl der irregulären Migranten aus der Türkei würde wahrscheinlich steigen“, sagte der Frontex-Chef. Leggeri lobte die Bemühungen Ankaras in der Flüchtlingskrise. „Seit dem Start des Abkommens arbeitet die Türkei aber mit Griechenland und Frontex sehr gut zusammen.“ Es gelinge immer besser, „die Migrantenströme bereits in der Türkei zu kontrollieren“.

Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen sprach sich Leggeri dafür aus, dass die EU für Migranten mehr legale Möglichkeiten zur Einreise schafft: „Grenzschutz und legale Wege nach Europa schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich“, sagte Leggeri. „Wenn es legale Wege gibt, sinkt der Druck auf die Außengrenze.“ (kna)

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siehe auch: Die Welt

„Der Migrationsdruck bleibt immens“

Der Chef der EU-Grenzschutzagentur Frontex warnt vor steigenden Flüchtlingszahlen: Der Migrationsdruck sei „immens“, die Ströme fächerten sich auf. Vor allem ein Land sei davon stark betroffen.

Die Welt: Herr Leggeri, was passiert, wenn das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei scheitert?

Fabrice Leggeri: Die Zahl der irregulären Migranten aus der Türkei würde wahrscheinlich steigen. Außerdem könnten wir die Personen anschließend nicht mehr von den griechischen Inseln zurück in die Türkei bringen, so wie es die Vereinbarung derzeit vorsieht.

Die Welt: Die Risse zwischen Europa und der Türkei sind deutlich größer geworden. Spielt Erdogan bereits den Schleusenwärter und schickt Flüchtlinge in die EU?

Leggeri: Dafür gibt es bislang keine Hinweise. Im gesamten Monat Juli haben wir etwa 1800 Migranten gezählt, die in Griechenland angekommen sind. Zum Vergleich: Im Februar und auch noch im März kamen täglich so viele Menschen.

Die Welt: Registrieren Sie, dass seit dem Putschversuch in der Türkei vermehrt auch Türken ihr Land verlassen?

Leggeri: Ein paar Fälle gibt es, das stimmt. Seit Juli haben wir aber keinen nennenswerten Effekt gespürt.

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Die Welt: In der Vergangenheit haben Sie Ankara dafür kritisiert, dass das Land nicht genug unternimmt, um das Ablegen der Flüchtlingsboote zu verhindern. Hat sich die Situation verbessert?

Leggeri: Anfang des Jahres habe ich gefordert, dass die Türkei nicht länger als „Autobahn“ nach Europa agieren darf. Seit dem Start des Abkommens arbeitet die Türkei aber mit Griechenland und Frontex sehr gut zusammen. Zusammen gelingt es uns immer besser, die Migrantenströme bereits in der Türkei zu kontrollieren.

Die Welt: Gehen die türkischen Behörden nun auch entschieden gegen Passfälscher vor?

Leggeri: Es gibt auch gefälschte Reisedokumente, die in der EU hergestellt werden…

Die Welt: In Griechenland oder Bulgarien beispielsweise…

Leggeri: Ich würde beim Thema Passfälschungen ungern nur auf die Türkei zeigen. Die Türkei hat erwiesen, dass sie die kriminellen Netzwerke effektiv bekämpfen kann. Gut ist, dass wir immer besser zusammen gegen die Schleusernetzwerke vorgehen.

Die Welt: Im Jahr 2015 kamen mehr als eine Million Migranten nach Europa – so viele wie noch nie zuvor. Wird sich das noch einmal wiederholen?

Leggeri: Ich denke, dass die EU dazugelernt hat. Was im vergangenen Jahr passierte, haben viele zu lange für unvorstellbar gehalten. Wir müssen wissen, wer nach Europa einreist. Dafür gibt es viele Gründe. Es geht darum, wer einen Anspruch auf Asyl hat. Oder schlichtweg darum, ob Kriminelle oder sogar mutmaßliche Terroristen einreisen.

Klar ist: Der Migrationsdruck jedenfalls bleibt immens. In Syrien herrscht weiter Krieg, die Terrormiliz Islamischer Staat setzt sich nun auch in Nordafrika fest, und noch immer hat die Armut weite Teile der Welt fest im Griff.

Die Welt: Die Bundesregierung zögerte im vergangenen Jahr bis Herbst, ehe sie die Flüchtlingsprognose deutlich anhob. Wann war für Sie klar, dass aus Syrien ungewöhnlich viele Migranten nach Europa kommen werden?

Leggeri: Im April haben wir festgestellt, dass es zu einer Verlagerung der Flüchtlingsströme von Libyen und Italien hin zum Mittelmeerraum zwischen der Türkei und Griechenland kommt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten viele Syrer noch den Weg über Nordafrika eingeschlagen.

Ab Frühjahr 2015 konnten Syrer aber nicht mehr ohne Visum in Nachbarländer Libyens reisen. Außerdem geriet die Sicherheitslage dort vollends außer Kontrolle. Wir wussten: Jetzt kommt was. Und ausgerechnet in jenen Wochen schlitterte Griechenland in seine nächste Finanzkrise.

Die Welt: Die Migranten brauchten meist nur ein paar Tage von den griechischen Inseln zum Balkan.

Leggeri: Alle Länder entlang der Balkanroute standen vor der Frage, wie sie mit den vielen Menschen umgehen sollen. Die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien war ein Nadelöhr auf der Route. Mitte Juni entschied man dort, Migranten für bis zu 72 Stunden ins Land zu lassen. Eigentlich sollten sie sich in Asylzentren melden – die meisten aber nutzten die Chance und fuhren weiter Richtung Mitteleuropa. So kamen immer mehr.

Die Welt: Ungarn kündigte lauthals an, einen Zaun zu bauen. Sorgte das für eine zusätzliche Torschlusspanik?

Leggeri: Die Migranten haben bemerkt, dass die Grenzen der EU praktisch offen waren. Und weil sie ahnten, dass das kein Dauerzustand sein wird, haben sie die Chance ausgenutzt.

Die Welt: Anfang September entschieden die Bundeskanzlerin und ihr österreichischer Amtskollege, Migranten aus Ungarn direkt nach Deutschland zu holen. Damit war das Durchreichen von Griechenland bis Deutschland perfekt.

Leggeri: So war es. Die EU und die Westbalkanstaaten kooperierten damals einfach nicht. Es dauerte Monate, bis die Zuwanderungszahl deutlich zurückging. Im Herbst hatten wir es vor allem mit einer humanitären Krise zu tun. Europa musste plötzlich Hunderttausende versorgen und unterbringen.

Die Welt: Frontex hat in einem Bericht festgestellt, dass erst mit der Grenzschließung in Mazedonien die Zahl der Migranten über die Ägäis deutlich zurückgegangen ist.
Leggeri: Das war der entscheidende Einschnitt. Daneben gab es noch weitere Faktoren, die sich ausgewirkt haben. Im Dezember haben wir bereits erstmals im größeren Ausmaß Frontex-Grenzbeamte zur Unterstützung nach Griechenland geschickt. Als die Zahl der Flüchtlinge im März dann schon stark zurückgegangen war, sorgte das Abkommen mit der Türkei für eine hoffentlich nachhaltige Beherrschbarkeit der Situation.

Die Welt: Können Zäune Flüchtlinge stoppen?

Leggeri: Nein, das können sie nicht.

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