13. August 2016 · Kommentare deaktiviert für „Flüchtlinge: Unerwünscht auf den Straßen Mailands“ · Kategorien: Italien

Quelle: derStandard

Die Zeltlager reichen nicht für alle aus. Viele Eritreer suchen ein Viertel auf und stoßen dort auf Hilfe wie Ablehnung

Thesy Kness-Bastaroli aus Mailand

Um sechs Uhr früh in der Via Lazzaro Palazzi, im Zentrum Mailands, kann man leicht über schlafende Flüchtlinge stolpern. Über 3.300 Migranten kamen seit dem vergangenen Wochenende in die norditalienische Stadt. Sie wurden in neu errichteten Zeltlagern untergebracht. Doch die Unterkünfte reichen nicht für alle aus.

Vom Bahnhof sind es nur zehn Minuten zu Fuß zu Mailands „Mini Asmara“, der Via Lazzaro Palazzi. Nahe dem Nobelviertel rund um Porta Venezia ist in den vergangenen Jahren ein Stadtteil entstanden, in dem sich die eritreischen Flüchtlinge des Unabhängigkeitskriegs von 1961 bis 1991 und später jene der Diktatur von Isayas Afewerki niederließen. Ein eigenes Stadtviertel, mit Geschäften, eritreischen Restaurants und Handyshops.

Nach Hause telefonieren

Geschäftsbesitzer Weldman Woldegaber Fishay öffnet seinen Laden bereits um sechs Uhr früh: „Wir wissen alle, wie es in Eritrea zugeht. Deshalb helfen wir so gut wie möglich. Auch wenn wir oft Schwierigkeiten mit der Polizei bekommen.“ Wie denn die Hilfe aussehe? „Ich lasse sie nach Hause telefonieren, warne vor Drogen- und Menschenhändlern, versorge sie mit Informationen.“

Weldman weckt einige der auf der Straße schlafenden Frauen und überzeugt sie, sich nicht zu lange auf ein und demselben Platz aufzuhalten. Sie könnten Schwierigkeiten mit den Passanten und Anrainern bekommen. Kurz nach seiner Warnung öffnet das Restaurant Da Oscar. Der Besitzer verscheucht kurzerhand die Flüchtlinge: nicht aus Bosheit, rein aus Überlebensgründen, entschuldigt er sich: „Ich habe Angst, meine Kunden zu verlieren.“

In Libyen festgenommen

Der 17-jährige Filimon aus Eritrea bestand darauf, „nach Asmara“ zu gehen. Die Adresse kennt er von Facebook. Filimon spricht gebrochen Englisch. Fast ein Jahr habe seine Flucht gedauert, erzählt er. Über den Sudan und die Sahara nach Libyen, dann Agrigento in Sizilien und nun Mailand. In Libyen sei er gefangen genommen worden. Dort gibt es nur böse Menschen, mischt sich der 13-jährige Yessus ein: „Die Polizei und die Diebe sind ein und dasselbe.“
Yessus hat sein Dorf im Süden Eritreas verlassen, die 6.000 Dollar für die Reise nach Europa haben seine Eltern gezahlt. Das Ziel ist sein großer Bruder, der in Norwegen wohnt. Von den Schwierigkeiten einer Weiterreise oder einem obligaten Asylantrag hat Yessus nicht die geringste Ahnung.

In seinem Kopf schweben einzig die Beispiele von Freunden und Verwandten, die es geschafft haben. Morgen will er nach Ventimiglia an der italienisch-französischen Grenze fahren, nicht ahnend, dass von dort aus ein Weiterkommen derzeit nicht möglich ist. „Kann man den Zug auch ohne Fahrkarte nutzen?“, fragt er.

„Sie gehören in die Schule“

Die Bewohner der Via Lazzaro Palazzi sind sich einig: Die Kinder und Jugendlichen dürften nicht hier sein. „Warum verhelfen ihre Eltern ihnen zur Flucht?“ kritisiert eine Restaurantbesitzerin. „Es sind Kinder. Sie gehören in die Schule.“ Die Antwort ist immer die gleiche. Die Illusion von einem Europa, in dem Glück und Wohlstand auf alle warten, ist offenbar nicht zu zerstören.

Aktuell versorgt Italien rund 120.000 Menschen in seinen Flüchtlingseinrichtungen. Seit Anfang Juni sind etwa 2.300 Eritreer in Mailand gestrandet. Nur knapp ein Zehntel hat in den von der Stadt zur Verfügung gestellten Schlafräumen Unterkunft gefunden. Doch es gibt unzählige Helfer. Die meisten wollen anonym bleiben. Sie fürchten den Druck der Polizei und des Konsulats von Eritrea, wo die Anhänger des Diktators Afewerki dauernd auf der Lauer sind und die Flüchtlinge samt Helfershelfern anzeigen.

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