05. August 2016 · Kommentare deaktiviert für „Flüchtlinge in Griechenland: Mini-Oase im Flüchtlingschaos“ · Kategorien: Griechenland · Tags:

Quelle: NZZ

Die Autonomenszene von Athen beherbergt Flüchtlinge in einem besetzten Hotel. Die Behandlung ist deutlich besser als in den offiziellen Lagern.

von Markus Bernath, Athen

Das Hotel City Plaza steht auf keiner Reise-Website mehr. Offen ist es trotzdem, und wer ein Zimmer bekommt, bestimmt die Hotelleitung. Das allerdings ist der schwierigste Part dieser ungewöhnlichen Unternehmung in der Athener Innenstadt. Denn in einem Land, in dem Zehntausende von Flüchtlingen seit Monaten und auf unbefristete Zeit in Lagern untergebracht sind, die mehrheitlich als «Substandard» gelten, ist ein Hotelzimmer für eine Familie aus Syrien oder dem Irak ein Luxus. Die Hotelleitung geht äusserst pragmatisch vor. Sie akzeptiert nur zwei Kategorien von Gästen: «Wir nehmen Leute, die in Not sind, und Leute, die helfen können – Lehrer, Köche, Krankenpfleger», sagt Nazim Lomani, der Sprecher und Mitorganisator des «City Plaza»-Projekts.

«Das beste Hotel Europas»

Die wirkliche Hotelleitung gibt es nicht mehr, nur das Metallgitter vor der Eingangstür ist geblieben. Lomani und seine Freunde haben es kurzerhand aufgeschweisst. Das «City Plaza» ist lange schon in Konkurs und stand sieben Jahre lang leer. Dann, im vergangenen April, kamen die Flüchtlingshelfer aus dem benachbarten Exarchia, dem Viertel der Linken und Anarchisten. Sie besetzten das ehemalige Mittelklasse-Hotel, was Behörden und Eigentümer duldeten. 110 Zimmer hat das «City Plaza», rund 400 Flüchtlinge sind einquartiert, vornehmlich Eltern mit ihren Kindern. Strom, Wasser und Verpflegung werden aus Spenden finanziert. «Kein Pool, keine Minibar, kein Roomservice und trotzdem das beste Hotel Europas», steht auf roten Plakaten im Foyer. Das «City Plaza» hat weltweit Bekanntheit erlangt. Soziologen aus Westeuropa und den USA kommen, um das selbstverwaltete Flüchtlingshotel zu inspizieren.

Das «City Plaza» liegt in Patission, ehemals ein Viertel des Athener Bürgertums nahe dem Omonia-Platz, das heute vor allem von Einwanderern bewohnt wird. Die staubigen Wohnungen im Souterrain oder Halbparterre mietet hier oder in den anderen wenig attraktiven Stadtvierteln das Flüchtlingshilfswerk der Uno (UNHCR) an. Die Nachfrage nach Wohnraum für Flüchtlinge ist gross. Bald ein halbes Jahr nun, seit der Schliessung der Balkanroute im vergangenen Februar, sitzen auf dem griechischen Festland rund 42 000 Menschen fest; knapp 9000 sind es auf den ostägäischen Inseln. In den Lagern herrscht eine kafkaeske Situation des Wartens ohne Ziel, die sich oft in Gewalt entlädt. Obwohl die Zahl der Ankünfte seit Inkrafttreten des Abkommens zwischen der EU und der Türkei zurückgegangen ist, läuft die Verteilung der Flüchtlinge in die EU-Staaten schleppend.

Auf den Inseln ist nicht einmal ein Drittel der Asylanträge bearbeitet, und die Rückschaffung von Asylbewerbern in die Türkei, wie im Abkommen vorgesehen, ist noch gar nicht angelaufen (siehe Grafik). Ausgeschafft wurden lediglich einige hundert Personen, die keine Asylgründe geltend machen konnten. Auf dem Festland, wo das Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei nicht gilt, arbeitete die griechische Asylbehörde so langsam, dass das UNHCR und die europäische Asylbehörde EASO nun bei der Vorregistrierung der Flüchtlinge halfen, die Asyl beantragen wollen; 20 100 waren es bis Anfang Juli, mittlerweile ist diese Registrierung abgeschlossen.

Kleine heile Welt

Fast alle Flüchtlinge leben in Lagern ausserhalb der Städte, unter zum Teil prekären sanitären Verhältnissen und ohne Privatsphäre. Das «City Plaza» dagegen hat den Anschein einer heilen Welt. Eine Kindergartengruppe läuft durchs Foyer, ein Syrer schneidet in der Lobby Haare im Akkord. Ein Dekorationsspiegel dient ihm als Hilfe. «Wir sind nur eine Blase inmitten dieses Chaos», sagt Nazim Lomani, der selbst als Flüchtling aus Afghanistan nach Athen gekommen war. «Wir wollen einen anderen Weg zeigen, um Flüchtlinge unterzubringen. Das ist schon alles.»

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