17. Februar 2016 · Kommentare deaktiviert für „Netzgespräche über Flüchtlinge: Stilformen der Menschenverachtung“ · Kategorien: Deutschland · Tags:

Quelle: Spiegel Online

Eine Kolumne von Sascha Lobo

Die AfD denkt laut über Schüsse auf Flüchtlinge nach und eilt weiter von Umfrageerfolg zu Umfrageerfolg. Wie kann das sein?

Die AfD kommt in Umfragen auf 17% in Sachsen-Anhalt, und ich mache mir Sorgen, weil diese Zahl ein Symbol ist für eine Stimmung im Netz und im Land. In den letzten Wochen habe ich das, naja, Gespräch mit besorgten Bürgern gesucht, im Netz und in der Kohlenstoffwelt.

Auf den Seiten von AfD, Pegida und verschiedenen Bürgerwehren habe ich versucht, diese Stimmung zu erspüren. Schon mehrfach habe ich in meinen Kolumnen versucht zu greifen, was im Moment im Netz passiert, weil ich es für wichtig und gefährlich halte, eine Schreispirale, Social-Nationalismus, ein deutscher, digitaler Dauermob. Nach der intensiven Beschäftigung mit den Äußerungen dieser Leute verstört mich am meisten – dieser unfassbare Mangel an Empathie.

Es sammeln sich Leute, die in der Entscheidung zwischen dem Leben eines fremden Kindes und dem Verlust eines gebrauchten Papptellers erkennbar zum Pappteller neigen. Ein Teil dieser Antimenschlichkeit mag nur Pose sein, aber es ist nicht alles gespielt. Darauf weist der unfassbare Anstieg der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte hin, also verschiedene Formen der Gewalt, die auf der Geringschätzung des Lebens anderer beruhen, diese sogar voraussetzen. Die entsprechenden Zahlen vom BKA lauten:

2011: 18
2012: 23
2013: 69
2014: 199
2015: 1.005

Eine Verfünfzigfachung innerhalb von fünf Jahren. Der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, stellt zur Erklärung dieser Statistiken selbst einen direkten Zusammenhang her: „…rechtsextremistische Hetze in sozialen Netzwerken […] ist der Nährboden für Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit.“ Meine Beobachtungen genau dieses Nährbodens in den letzten Wochen haben mir neben der kaum vorhandenen Empathie einige andere, wiederkehrende Kommunikationsmuster gezeigt. Herausgekommen ist eine Reihe von Argumenten und Stilfiguren des Rechtspopulismus und der Menschenverachtung.

Innerer Widerspruch

Oft wird innerhalb eines Satzes ein unauflösbarer Widerspruch aufgebaut, der ja auch die Basis des Aber-Nazi darstellt, „Ich bin kein Nazi, aber“ – und dann folgen eindeutige Naziaussagen. Manchmal ist der innere Widerspruch subtiler: „Niemand möchte auf Flüchtlinge schießen, aber wir müssen unsere Grenzen mit Waffengewalt verteidigen.“ Und manchmal gerät er ins völlig Irreale: „Ich bin doch kein Rassist, nur weil ich diese Kanaken hasse.“

Ständiges Opfergefühl

Aus vielen Sätzen spricht eine diffuse, aber meiner Einschätzung nach echte Angst, die mit wütender Härte übertüncht wird. Es ist die Angst, die eigene Identität zu verlieren durch äußere Faktoren wie islamisch geprägte Zuwanderung oder die gesellschaftliche Hegemonie von „Gutmenschen“. Daraus resultiert ein ständiges Opfergefühl, das zu typischen Sätzen führt wie „Wir müssen uns endlich wehren“, „Bürger, wir müssen handeln! Wählt diese Landeszerstörer ab!“ Oder dem Generalvorwurf an die „Volksverräter“ aus der Politik, der wiederum nichts anderes bedeutet als „Ich bin das Opfer, ihr Mächtigen habt mich verraten“, Groß-Opferte vs. Groß-Kopferte. Der Satz „Was muss denn noch alles passieren?“ fällt sehr oft, der präzise die Selbststilisierung zum Daueropfer markiert. „Merkt euch die Namen“, ist dabei eine Aufforderung, die von der eigenen Opferhaltung zur kommenden Rache überleitet, also der Hoffnung auf eine Zeit, in der die „Lügenpresse“ und die „Volksverräter“ endlich bezahlen müssen für das, was sie „uns angetan haben“. Aus dem Opfergefühl heraus wird nämlich die Bereitschaft zum „Zurückschlagen“, zur vermeintlichen „Gegengewalt“ erhöht.

Aggressiver Sarkasmus und ironische Andeutung

Was besorgte Bürger für Humor halten, spielt eine große Rolle in der Kommunikation. Meistens handelt es sich um aggressiven Sarkasmus, Flüchtlinge werden ironisch als „Kulturbereicherer“ oder „Fachkräfte“ bezeichnet. Das referenziert auf linke Argumentationen über positive Seiten der Zuwanderung. Ähnlich werden Begriffe wie „traumatisiert“ verwendet, mit denen ausschließlich vermeintliche oder tatsächliche Straftäter unter den Flüchtlingen bezeichnet werden. Es handelt sich um ritualisierten Spott auf das den „Gutmenschen“ unterstellte Verständnis für Flüchtlinge. Insgesamt scheint dieser Dauersarkasmus als Bewältigungsstrategie für die eigene Ohnmacht zu funktionieren, als soziales Schmiermittel sowie als Erkennungszeichen der Zugehörigkeit zur Gruppe. Zugleich wird der Sarkasmus in einer leichteren, ironisierten Form nur angedeutet, wie überhaupt die Andeutung insgesamt, das verbalisierte Augenzwinkern, ein ebenso häufiges Kommunikationselement ist.

Rhetorische Vergewisserungsfragen

Eine auffällig hohe Zahl von rhetorischen Fragen taucht auf, die zum Teil von den folgenden Kommentatoren beantwortet werden. Rhetorische Fragen dienen allgemein sehr oft der Vergewisserung, aber in der besorgten Kommunikation bekommen sie eine zusätzliche Dimension: sie dienen als Feststellung gefühlter Realitäten. Durch die Frageform entfällt jede Pflicht eines Nachweises, weil ja nur Behauptungen eines Beweises bedürfen. „Haben wir nicht genug arbeitslose Menschen im eigenen Land, die umgeschult werden können?“ Jede mitlesende Person kann die Antwort darauf selbst abseits der Faktenlage nach eigener politischer Empfindung geben. So werden rhetorische Vergewisserungsfragen verwendet, um gefühltes, behauptetes Wissen weiterzugeben, ohne jemals einen Bezug zur Realität herstellen zu müssen.

Vernunftposen

Der Begriff der Vernunft ist zentral in der Kommunikation der besorgten Bürger. Ein typischer Halbsatz: „…wann kommen die endlich zur Vernunft?“ Der Kern dieses Vernunftbegriffs ist, dass die Besorgten an das Opfergefühl angrenzend glauben, das Land stehe ganz real kurz vor der Katastrophe. Daraus schließen sie, man müsse eigentlich umgehend und sehr radikal reagieren. Und wer das nicht tut oder sagt, kann nicht vernünftig sein, weil er die Augen vor der angeblichen Realität verschließt. Vernunft wird dabei nicht mehr als Geisteshaltung der Aufklärung betrachtet, sondern nur noch zur sozialen Abgrenzung, als Selbstzuschreibung: Wir sind vernünftig, alle anderen sind nicht vernünftig.

Untergangsfantasien

Die Untergangsfantasie ist geradezu die Basis, auf der alle anderen Kommunikationsmuster und Stilfiguren ausgespielt werden. Regelmäßig lässt sich dabei ein situatives Hineinsteigern beobachten, der erste Kommentar malt schwarz, der fünfte ist schiere Untergangshysterie und ab dem zwanzigsten geht es nur noch um das wann und nicht mehr um das ob. Es blitzt eine regelrechte Panik auf, und zwar meiner Einschätzung nach sowohl eine gespielte wie auch eine echt scheinende, ja nach Persönlichkeit. Der „Unrechtsstaat“, die „Meinungsdiktatur“, die „Merkeldiktatur“ sind die politischen Untergangsfantasien. Sie werden ergänzt durch die kulturellen und religiösen: „Deutschland stirbt!“, „Wir holen uns den Krieg ins Land!“, „Das ist ein christliches Land und unsere Kinder sollen auch noch frei aufwachsen dürfen!“

Gewaltausbrüche

Schließlich lässt sich beobachten, wie manchmal sehr unvermittelte Verbalisierungen von Gewalt stattfinden. Es handelt sich meistens um Racheszenarien, also um Gewaltankündigungen als Reaktion auf Berichte, Meldungen, Gerüchte. Aktiv auffordernd: „Alle an die Wand.“, passiv hoffend „Frau Merkel, können Sie nicht endlich verrecken!“, selbst in die Hand nehmend: „Ich laufe bald Amok!“. Vom Niveau her sind die textlichen Gewaltausbrüche nach unten offen, auch konkrete Drohungen vor allem gegen Politikerinnen wie Angela Merkel und Claudia Roth finden häufig statt.

In Bezug auf die sexuellen Gewaltverbrechen in Köln wird von Leuten, die „unsere deutschen Frauen schützen“ wollen, in einer aberwitzigen Wendung der Wunsch geäußert, die „Gutmenschen sollten selbst mal durch den Kölner Sexmob vergewaltigt“ werden. Die racheorientierten Gewaltausbrüche erscheinen als Kommunikationsmuster zugleich als Ausweis der Hilflosigkeit und als Reaktion auf ein unterstelltes Staatsversagen und damit als Form von angedrohter Selbstjustiz. Aber – sie heizen auch erkennbar die Stimmungen an. Auf solche Drohungen hin ergießt sich häufig eine Art Kollerkommunikation, die fast alle obigen Muster aufweist und die spürbar das Erregungslevel enorm hebt. Und hebt. Und noch mehr hebt, bis –

Die Explosion jedoch bleibt überraschend oft aus. Das kann entweder sein, weil besonders überschäumend radikale Kommentare sogar auf den einschlägigen Seiten gelöscht werden. Oder weil die Explosion nicht mehr im Netz stattfindet, sondern auf der Straße.

Und genau deshalb mache ich mir Sorgen, um die 17 Prozent, um die mit Diskussionen Unerreichbaren, um die immer weiter steigende Gewalt. Ich mache mir Sorgen, weil ich nach dem intensiven Studium der Netzkommunikation zu der Überzeugung gekommen bin, dass die AfD nicht trotz der Überlegungen, auf Flüchtlinge zu schießen, geschätzt wird. Sondern wegen.

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