17. Februar 2016 · Kommentare deaktiviert für „Dieser Deal ist die letzte Chance für Merkels Flüchtlingspolitik“ · Kategorien: Balkanroute, Deutschland, Europa, Frankreich · Tags: , ,

Quelle: Süddeutsche Zeitung

  • Vor dem EU-Gipfel treffen sich mehrere EU-Staats- und Regierungschefs mit dem türkischen Ministerpräsidenten Davutoğlu.
  • Es geht um Details eines Plans zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen.
  • Ob der Plan Realität wird, hängt vor allem von Frankreich ab, das nicht mehr unbedingt an Deutschlands Seite steht.

Von Stefan Braun, Thomas Kirchner, Christiane Schlötzer und Christian Wernicke

Wieder ein EU-Gipfel, Donnerstag und Freitag in Brüssel. Und wieder geht es um alles: den Brexit, die Flüchtlingskrise. Das entscheidende Treffen aber läuft vorher: In der Ständigen Vertretung Österreichs bei der EU werden sich am Donnerstagmittag Staatschefs aus mehreren europäischen Ländern mit dem türkischen Premier Ahmet Davutoğlu zusammensetzen. Sie sprechen über die Details eines Plans, der, wenn es optimal liefe, eine Wende in der Flüchtlingskrise bringen könnte. Denn zum ersten Mal gäbe es dann Anlass zur Hoffnung, der Strom der über das Meer nach Europa drängenden Flüchtlinge lasse sich tatsächlich und dauerhaft reduzieren.

Der neue Deal mit Ankara war schon im Herbst vergangenen Jahres entworfen worden und wurde danach vor allem bilateral zwischen der deutschen und der türkischen Regierung vorangetrieben. Die Vereinbarung lautet so: Die Türkei macht die Grenze zu Griechenland dicht, bekämpft Schlepper, nimmt unter Umständen auch Flüchtlinge zurück, die schon das EU-Gebiet erreicht haben. Im Gegenzug verpflichten sich die EU-Staaten, Hunderttausende Flüchtlinge direkt aus der Türkei zu übernehmen. Funktioniert das, könnte die mörderische Route über die Ägäis und durch den westlichen Balkan endlich ausgetrocknet werden, man fände zu jener geordneten und legalen Migration, die sich nicht nur Bundeskanzlerin Angela Merkel seit Langem erträumt.

Es sollen möglichst viele Familien berücksichtigt werden

Auf dem Papier klingt das schon mal ganz gut, Deutsche und Türken haben unter der Überschrift „Schlüsselelemente eines Umsiedelungsprogramms/humanitären Aufnahmeprogramms mit der Türkei“ die Grundlagen erarbeitet. Das Konzept liegt der SZ vor. Es enthält keine konkreten Zahlen, von verschiedenen Seiten werden aber 250 000 bis 300 000 Menschen genannt, die pro Jahr umgesiedelt werden könnten. Das würde auf mehrere Hundert Personen hinauslaufen, die täglich per Flugzeug aus Flüchtlingslagern oder anderen Orten in der Türkei nach Europa geschickt würden.

Infrage kämen laut dem Papier nur Syrer, die vor dem 29. November 2015 in der Türkei registriert wurden und „keine Bedrohung der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit darstellen“. Es sollen auch möglichst viele Familien berücksichtigt werden. Überprüft würden die Kandidaten von Vertretern der teilnehmenden EU-Staaten, die auch die letzte Auswahl für sich reservieren und den Transport organisieren. Das Ganze soll „möglichst bald“ anlaufen, vermutlich schon in einigen Wochen.

Die Angebote zur Aufnahme von Flüchtlingen sind bisher überschaubar

Welche Staaten nehmen teil? Das ist offen. Bekannt ist nur, wer am Donnerstag mit Davutoğlu am Tisch sitzt. Es ist jene „Koalition der Willigen“, die schon seit Monaten separat mit der Türkei redet: Deutschland, Österreich, die Benelux-Länder, Finnland, Griechenland, Portugal und Schweden. Auch Frankreichs Präsident François Hollande werde vermutlich dabei sein, sagt ein EU-Diplomat. Premier Manuel Valls hatte am Wochenende in Deutschland noch so geklungen, als ob Frankreich zu gar keinen Aufnahmen mehr bereit sei.

Aber das ist vielleicht schon der Beginn des Geschachers darum, wer wie viele Flüchtlinge aufnehmen wird. Die Offerten sind bisher überschaubar, vermutlich werden es vorerst nur wenige Staaten sein, mit Deutschland an der Spitze. Und wie lässt sich sicherstellen, dass die Türkei auch zu ihrer Abmachung steht? Hier ist der Plan noch sehr vage. In eckigen Klammern, also vorläufig, steht: „Die Mitgliedstaaten nehmen unter der Annahme teil, dass die Türkei die Zahl der Personen, die irregulär die Grenze der Türkei zur EU überqueren, nachhaltig und deutlich reduziert. Umso mehr dies der Fall ist, desto mehr Personen werden umgesiedelt.“

Es ist das Henne-und-Ei-Problem: Wer bewegt sich zuerst? Worauf lassen sich die „Willigen“ ein? In Berlin heißt es, man wolle den Türken nicht mit einer festen Zahl vorab was schenken. Erst müsse Ankara bis Anfang März beweisen, dass es sich an die Absprachen hält. Danach werde man über ein Kontingent verhandeln und entscheiden. Merkel will Bedingungen formulieren, nicht wie eine Bittstellerin wirken.

Der eigentliche europäische Plan der Umsiedlung kommt nicht vom Fleck

Die Europäische Stabilitätsinitiative, eine Denkfabrik, die an der Erarbeitung des Plans beteiligt war, schlägt eine andere Lösung vor. Danach müsste die Türkei Flüchtlinge und irreguläre Migranten, die auf den griechischen Inseln angekommen sind, umgehend zurücknehmen. Die rechtlichen Voraussetzungen sind gegeben, vor allem durch das türkisch-griechische Rücknahmeabkommen, das noch nicht angewendet wird. Allerdings bräuchte Griechenland dringend Hilfe, um Flüchtlinge überhaupt abschieben zu können.

Der eigentliche „europäische“ Plan, die Umsiedlung von – unter anderen – 66 400 Flüchtlingen aus Griechenland, kommt derweil nicht vom Fleck. 245 Menschen sind bisher in andere EU-Staaten gebracht worden, der Rest zieht einfach weiter, Richtung Deutschland. Dennoch hält die EU-Kommission eisern fest an der Idee.

Berlin jedoch setzt auf den Deal mit der Türkei, die letzte Karte. Eine Einigung mit Ankara sei das große Ziel, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Es sei der Weg zur Sicherung der EU-Außengrenzen und zu einem „massiven Zurückdrängen“ der illegalen Migration. So die Hoffnung.

Daneben lässt sich etwas anderes in Berlin beobachten: eine Warnung, die keine Drohung sein soll. Maßgebliche Minister haben wiederholt über die Folgen eines Scheiterns der türkischen Option geredet. Von einem Mini-Schengen wird geflüstert, man weist auf die Folgen für die Wirtschaft im EU-Raum hin. „Wir müssen klarmachen, was es bedeuten würde – für uns alle“, heißt es in Berliner Regierungskreisen.

Frankreichs Premier macht sich über Deutschland und die Kanzlerin lustig

Ob die Türkei-Option gelingt, hängt maßgeblich davon ab, ob Frankreich mitzieht, der wichtigste deutsche Partner. Am Wochenende schien es, als wollte der französische Premier Manuel Valls den deutschen Traum einer gemeinsamen EU-Flüchtlingspolitik ein für allemal zerschlagen. In Gesprächen mit Journalisten am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz und beim Besuch einer Notunterkunft für Asylbewerber in einer Kaserne stellte der Mann aus Paris kategorisch fest, „dass Europa nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen kann“.

Dies hatte Valls wortwörtlich zwar schon einmal Ende November der SZ gesagt. Neu jedoch war die blanke Häme, mit der sich der Sozialist über „Madame Merkel“ äußerte. „Vor einigen Monaten fragten die französischen Medien: ‚Wo ist die französische Merkel?‘ Oder sie wollten der Kanzlerin den Nobelpreis verleihen“, lästerte Valls laut Le Monde. In Anspielung auf Merkels innenpolitische Bredouille ergänzte Valls dann: „Heute konstatiere ich die Resultate.“ Der Franzose zog klare Linien. Seine Nation werde einerseits ihre Zusage einhalten, im Rahmen der europäisch vereinbarten Umverteilung von 160 000 Flüchtlingen 30 000 Migranten aufzunehmen. Bisher sind aber gerade 140 Flüchtlinge angekommen. Im März sollen es noch einmal mehr werden.

Wenn dann einmal die 30 000 erreicht sind, ist für Valls aber Schluss. Endgültig: „Wir sind nicht für einen dauerhaften Umverteilungsmechanismus“, stellte Valls klar. Genau das aber – einen Verteilungsschlüssel für alle Zeiten und alle EU-Mitgliedstaaten – hatte die Bundesregierung ursprünglich gewollt. Dass der französische Erzfreund nun Breitseiten abschoss, überraschte in Berlin. Unklar blieb, ob Valls Absage an die Kanzlerin ein Alleingang war – oder ob er dies mit seinem Dienstherrn Hollande abgestimmt hatte. Bisher hatte sich der Präsident zumindest in Worten stets um eine gemeinsame Linie mit Merkel in der Flüchtlingspolitik bemüht. Nun werden auch die Lippenbekenntnisse weniger für Merkel.

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