07. Februar 2016 · Kommentare deaktiviert für „Das Durchwinken soll ein Ende haben“ · Kategorien: Balkanroute, Europa, Griechenland, Mazedonien, Türkei · Tags:

Quelle: FAZ

Auf der Balkanroute sollen die Migranten bald an der Grenze zu Mazedonien gestoppt werden, auch Bürgerkriegsflüchtlinge. Damit zudem die Umverteilung der Flüchtlinge gelingt, will die EU-Kommission „Blaue Briefe“ verschicken.

von Thomas Gutschker

Auf der Balkan-Route nähert sich das Durchwinken von Migranten nach Deutschland seinem Ende. Gemäß Recherchen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zeichnet sich ab, dass die Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien in den nächsten Wochen weitgehend geschlossen wird – auch für Bürgerkriegsflüchtlinge. Offen erscheint momentan nur, ob die Griechen oder die Mazedonier dafür sorgen. Mazedonien wird zunehmend von Staaten bei der Grenzsicherung unterstützt, die den Flüchtlingsstrom stoppen wollen. Die EU-Kommission will hingegen, dass Griechenland selbst Migranten aufhält – und die Last dann mit den anderen Mitgliedstaaten teilt.

Das soll bald möglich sein, weil der lange schleppende Aufbau von „Hotspots“ für die Registrierung und Verteilung von Flüchtlingen nun vorangeht. Die griechische Regierung hat die Armee mit den Arbeiten betreut – auf Brüsseler Wunsch. Bis zum nächsten Gipfeltreffen am 18. und 19. Februar sollen die Hotspots auf fünf Ägäis-Inseln weitgehend fertig sein. Griechenland macht auch Fortschritte beim Bau zusätzlicher Unterkünfte. Die Regierung und das UN-Flüchtlingshilfswerk haben in wenigen Wochen zusammen 32.000 Plätze geschaffen. Bis Ende des Monats könnte das Ziel von 50.000 Plätzen erreicht sein.

Damit wäre eine wesentliche Zusage erfüllt, die Griechenland bei einem Westbalkan-Gipfel im September gegeben hatte. EU-Kommissionspräsident Juncker machte sich schon damals dafür stark, die „Politik des Durchwinkens“ zu beenden. Sein Plan sah vor, dass über die Schutzbedürftigkeit von Flüchtlingen direkt in Griechenland und Italien entschieden wird. Von sogenannten Hotspots aus sollen dann bis zu 160.000 Flüchtlinge auf die Mitgliedstaaten verteilt werden. So haben es die Innenminister mit großer Mehrheit beschlossen. Die Staaten haben kurzfristig aber erst 4500 Plätze für Griechenland angeboten, bisher wurden von dort nur 202 Personen umgesiedelt. Die Kommission will deshalb nun „Blaue Briefe“ versenden – eine Vorstufe zu Vertragsverletzungsverfahren. Intern wird erwartet, dass die Kooperationsbereitschaft steigt, sobald die Balkan-Route dicht ist. Denn dann entfällt das Argument der Umverteilungsgegner, sie wollten Angela Merkel nicht dabei helfen, noch mehr Flüchtlinge nach Europa zu holen.

Juncker für Rückkehr zum Dublin-Verfahren

Juncker hat signalisiert, dass er die Rückkehr zum sogenannten Dublin-Verfahren nunmehr für geboten hält. Demnach müssen Flüchtlinge im ersten EU-Staat um Schutz nachsuchen, den sie erreichen. Dem slowenischen Ministerpräsidenten Cerar schrieb Juncker Ende Januar, dass die Mitgliedstaaten Migranten an ihrer Grenze zurückweisen sollten, „die keinen Asylantrag gestellt haben, obwohl sie dazu Gelegenheit hatten“. Im vergangenen Jahr kamen 860.000 Migranten über die Ägäis in die EU, davon stellten jedoch nur 12.000 einen Asylantrag in Griechenland.

Juncker schrieb weiter, auch Mazedonien solle nur Personen einreisen lassen, die in dem Land um Asyl bitten. Die Regierung in Skopje schleust bislang Flüchtlinge in Zügen weiter Richtung Serbien. Seit November lässt sie nur noch Syrer, Afghanen und Iraker passieren – neuerdings müssen sie zusätzlich Deutschland oder Österreich als Ziel angeben. Künftig müsse es genau andersherum sein, heißt es in der EU-Kommission: Wer Deutschland und Österreich als Ziel nenne, sei abzuweisen.

Mazedonien sorgt sich wie die anderen Staaten auf der Balkan-Route darüber, dass es zu einem Rückstau der Migranten kommt, wenn an einer Stelle die Grenzen abrupt geschlossen werden. Seit November hat es schon dreimal seinen Übergang bei der nordgriechischen Stadt Idomeni vorübergehend abgeriegelt und in der Umgebung einen Stacheldrahtzaun gebaut. Der mazedonische Außenminister Poposki sagte kürzlich, eine Schließung der Grenze zu Griechenland sei nur die „zweitschlechteste Option“ – verglichen mit der schlechtesten, dass jedes einzelne Land auf der Balkan-Route seine Grenzen schließen müsse.

So sehen es auch die Nachbarstaaten. Mazedonien wird deshalb seit Dezember von Slowenien, Serbien und den Visegrád-Staaten Ungarn, Slowakei und Tschechische Republik bei der Grenzsicherung unterstützt. Derzeit sind 50 bis 90 Grenzbeamte aus diesen Ländern im Einsatz. Die Visegrád-Staaten haben in Brüssel intern angekündigt, dass sie Mitte des Monats ihre Kontingente weiter aufstocken werden. Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán hatte Anfang Januar gefordert, Europa müsse eine weitere „Verteidigungslinie“ an der Nordgrenze Griechenlands errichten.

Zehn Millionen Euro für die Grenzsicherung in Mazedonien?

Auch Österreich macht in diese Richtung Druck, seitdem die Regierung eine Obergrenze für Flüchtlinge beschlossen hat. Verteidigungsminister Doskozil brachte am Freitag sogar den Einsatz von Soldaten im Rahmen einer „militärisch-zivil gemischten Mission“ auf dem Balkan ins Gespräch. Außenminister Kurz sagte, Mazedonien und andere Balkan-Staaten seien bereit, mit EU-Ländern zusammenzuarbeiten, um „den Flüchtlingszustrom zu reduzieren, zu drosseln, vielleicht sogar zu stoppen“. Die Außenminister der Staaten an der Balkan-Route berieten am Samstag in Amsterdam über mögliche Maßnahmen. Die niederländische Ratspräsidentschaft und die EU-Kommission warben bei der Sitzung für ein abgestimmtes europäisches Vorgehen. Sie stellten Mazedonien zehn Millionen Euro für die Grenzsicherung in Aussicht.

Die EU-Kommission dringt darauf, dass die Griechen ihre Nordgrenze selbst schützen. Ministerpräsident Tsipras hatte sich lange dagegen gewehrt, weil er sein Land angesichts des Zustroms überfordert sah. Anfang Dezember stimmte er nach massivem Druck aus Brüssel einem Einsatz der EU-Grenzschutzbehörde Frontex an der Grenze zu Mazedonien zu. Es gibt zwar einen Operationsplan, bislang ist aber nur ein kleines Vorausteam im Einsatz. Die Mitgliedstaaten müssen noch 400 weitere Beamte abstellen. Und Athen muss dafür sorgen, dass sie untergebracht werden können. Frontex darf nach geltendem Recht nur auf griechischer Seite patrouillieren.

„Signal der Abschreckung“ gegenüber Wirtschaftsflüchtlingen

In der EU-Kommission wird nicht verhohlen, dass es um ein Signal der „Abschreckung“ gegenüber Wirtschaftsflüchtlingen geht. Deren Anteil ist stark gestiegen. Nach Einschätzung eines hohen Kommissionsbeamten haben 40 Prozent der Migranten, die zuletzt kamen, keine Aussicht auf Schutz. Der Anteil der Syrer betrug im Januar nur noch 39 Prozent (nach 69 Prozent im September). Gestiegen ist dagegen der Anteil von Irakern und Afghanen, die geringere Anerkennungsquoten haben, sowie von Maghrebinern, die durchweg als Wirtschaftsflüchtlinge gelten. Der Zeitpunkt für eine Grenzschließung erscheint günstig, weil im Januar nur noch 2000 Migranten am Tag über die Ägäis kamen (nach 3500 im Dezember). Auf diesem Niveau könnte Griechenland etwa einen Monat lang Flüchtlinge selbst unterbringen.

Bislang hält der Flüchtlingszustrom nach Griechenland weiter fast unvermindert an. Mehr als 68.000 Menschen setzten seit Jahresbeginn von der türkischen Ägäisküste zu den griechischen Inseln über, teilte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR am Sonntag mit. Allein in den ersten sechs Februartagen kamen demnach 7521 Migranten nach Griechenland, im ganzen Februar 2015 waren es 2873. Mindestens 366 Menschen überlebten die Überfahrt nicht oder werden vermisst. Fast alle Migranten versuchen, von Griechenland aus auf der sogenannten Balkanroute weiter Richtung Österreich und Deutschland zu gelangen.

Es kommt auf die Türkei an

Wenn die Abschreckung funktioniert, werden sich künftig weniger Migranten auf den Weg über die Ägäis machen. Hier kommt es auch auf die Hilfe der Türkei an. Wer das griechische Festland erreicht, könnte versuchen, nach Albanien auszuweichen und von dort mit dem Schiff nach Italien zu gelangen. Sollten die Unterkunftsplätze in Griechenland nicht reichen, müsste die Grenze nach Mazedonien wohl wie ein Ventil geöffnet werden, um Druck abzulassen. „Man kann nur so lange dichtmachen, wie in Griechenland menschenwürdige Zustände herrschen“, heißt es in der EU-Kommission.

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