26. Juli 2015 · Kommentare deaktiviert für „Verloren zwischen zwei EU-Aussengrenzen“ · Kategorien: Balkanroute, Mazedonien, Serbien

Quelle: NZZ

Die Zahl der Flüchtlinge auf der Balkanroute zwischen Griechenland und Ungarn ist dieses Jahr explodiert

Zehntausende von Migranten durchqueren den westlichen Balkan. Sie begegnen den besten und schlechtesten Seiten der lokalen Bevölkerungen und Behörden.

Andreas Ernst, Belgrad

Man hat sich schon fast an den Anblick gewöhnt. Vor der Ausländerpolizei an der Savska-Strasse in Belgrad lagert eine Gruppe syrischer Flüchtlinge – Männer, Frauen und Kinder. Einige schlafen auf dem Boden, andere sprechen leise miteinander oder starren vor sich hin. Ein strenger Geruch liegt in der Luft. Polizisten steigen vorsichtig über die Liegenden. «Arme Teufel», sagt der Beamte, der den Eingang bewacht. «Die wollen nach Westen. Aber wenn sie bei uns kein Asyl beantragen, werden sie zurückgeschickt.»

In Serbien und seit Mitte Juni auch in Mazedonien müssen sich die Flüchtlinge an der Grenze registrieren lassen und dürfen sich danach 72 Stunden lang legal im Land aufhalten. Der grösste Teil von ihnen reist allerdings direkt weiter, was die beiden Staaten fördern, indem sie den Flüchtlingen die Benutzung von Zügen und Bussen erlauben, die von der Polizei kontrolliert werden.

Dramatische Zunahme

Die Zahl der Anträge in Serbien ist von 5066 im Jahr 2013 auf 55 000 seit Jahresbeginn explodiert. Während Europa die Tragödie der Flüchtlingsschiffe auf dem Mittelmeer beobachtet, hat auf der Route von Griechenland nach Mazedonien und Serbien eine neue Etappe der grossen Wanderung begonnen. Seit Mitte Juni hat Mazedonien über 18 000 Grenzübertritte verzeichnet. Hier beginnt der gefährlichste Abschnitt der Wanderung. Er führt von Gevgelija den Eisenbahngleisen nach durchs Vardartal nach Norden. Dabei kam es in den letzten Monaten zu schlimmen Unfällen, bei denen Flüchtlinge von Zügen erfasst wurden. Mindestens 28 Menschen kamen dabei ums Leben.

Andere versuchen ihr Glück auf Fahrrädern, die sie oft überteuert im Süden Mazedoniens kaufen, um auf dem Pannenstreifen der Autobahn nach Norden zu fahren. Das Aufenthaltsgesetz von Mitte Juni schützt sie nun immerhin vor den Räuberbanden, die in den letzten Monaten Elendskolonnen überfielen und ausraubten. In Vaksince, kurz vor der serbischen Grenze, wurden laut Medienberichten Dutzende von Migranten festgehalten und erst gegen die Überweisung von Lösegeld freigelassen. Die Angehörigen investieren oft einen grossen Teil ihres Vermögens in einen Flüchtling, in der Hoffnung, dass er eine Existenz im Westen aufbauen und Geld zurückschicken kann.

Schlepper in der Moschee

Eine Oase der Ruhe und Sicherheit für viele Migranten ist die Sinan-Tatar-Pascha-Moschee in Kumanovo. Kurz vor dem Grenzübertritt nach Serbien erholen sie sich dort im Garten und im Gebetsraum. Einheimische und Hilfsorganisationen bringen Essen, Kleidung und bieten einfache medizinische Hilfe an. Auch Schlepper mischen sich unter die Menge und versuchen, ins Geschäft zu kommen. Zwischen 120 und 200 Euro kostet der illegale Grenzübertritt. Die nächste Station ist das südserbische Presevo, wo das Uno-Flüchtlingswerk UNHCR die Migranten in Empfang nimmt. Die Armee hat Zelte aufgestellt, doch sie reichen nicht aus. Hunderte übernachten auf freiem Feld oder in den Strassen. Noch zeigt sich die Bevölkerung tolerant und hilfsbereit gegenüber den Migranten. Die Behörden sind von der Zunahme des Flüchtlingsstroms dennoch überfordert.

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