26. Juli 2015 · Kommentare deaktiviert für „Balkan-Flüchtlinge – worum es in dem Streit geht“ · Kategorien: Balkanroute

Quelle: Spiegel-Online

Fragen und Antworten

Von Florian Gathmann und Peter Maxwill

Die Flüchtlingsdebatte in Deutschland entzündet sich vor allem an Asylbewerbern vom Westbalkan. Warum kommen sie so zahlreich? Und weshalb tut sich die Politik so schwer mit dem Thema? Der Überblick.

Der Hass verbreitet sich im ganzen Land: In beinahe allen Bundesländern haben aufgebrachte Fanatiker in den vergangenen Wochen Flüchtlingsunterkünfte und deren Bewohner attackiert. Die Stimmung ist aufgeladen, und im Mittelpunkt der hitzig geführten Asyldebatte stehen vor allem Flüchtlinge vom Balkan.

Aus Ländern wie Serbien und dem Kosovo fliehen besonders viele Menschen in die Bundesrepublik – und Politiker fordern inzwischen unverhohlen, diese Menschen schnell wieder abzuschieben. Aber warum sollen ausgerechnet Balkan-Flüchtlinge gehen? Welche Vorschläge gibt es in der Debatte? Und warum kommen überhaupt so viele Südosteuropäer in die EU?

Die zentralen Fragen und Antworten:

Wie viele Asylbewerber kommen vom Balkan?

Im ersten Halbjahr haben laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) knapp 65.000 Menschen aus Mazedonien, Kosovo, Serbien und Albanien erstmals einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Die meisten Balkan-Flüchtlinge kommen aus dem Kosovo und Albanien. Zur Relation: Insgesamt gab es im selben Zeitraum etwa 160.000 Erstanträge in Deutschland.

Besonders viele Flüchtlinge kommen über die Grenze zwischen Serbien und Ungarn in die Europäische Union. Amnesty International zufolge überquerten allein seit Januar dieses Jahres dort mehr als 60.000 Flüchtlinge die EU-Außengrenze. Im ganzen Jahr 2010 waren es lediglich 2370. Unter diesen Asylbewerbern sind jedoch auch zahlreiche Notleidende aus Krisenregionen wie Syrien oder Afghanistan, die den Balkan durchquert haben.

Warum flüchten so viele Menschen vom Balkan?

Die Jugoslawienkriege der Neunzigerjahre wirken bis heute in der Region nach. In Mazedonien droht eine Staatskrise in einen Bürgerkrieg umzuschlagen. Seit Jahren schwelt der Konflikt zwischen Serbien und Kosovo. Hinzu kommt: Tausende Kosovaren und Mazedonier fliehen vor Armut und Kriminalität, sie hoffen auf ein besseres Leben in der EU. Den Flüchtlingen wird teilweise vorgeworfen, in Deutschland auch auf das ihnen zustehende monatliche Taschengeld von etwa 140 Euro zu spekulieren. „Von dem Geld können sie dann neun bis zwölf Monate in ihrer Heimat auskommen“, sagte BAMF-Chef Manfred Schmidt der „Bild“-Zeitung.

Zudem werden Minderheiten in vielen Regionen des Balkans diskriminiert. Amnesty International beklagt Polizeiwillkür gegen Flüchtlinge und prangert Bestechungen und Misshandlungen von Hilfesuchenden an. Dass viele selbst nach der Ankunft in der EU zunächst weiterziehen, liegt offenbar auch am Umgang mit Flüchtlingen und ethnischen Minderheiten etwa in Ungarn: Der Europarat wirft dem Land vor, Einwanderer und Roma nicht ausreichend vor Hasstiraden zu schützen – ein Fünftel der Asylbewerber dürfe sich zudem nicht frei bewegen.

Wie gelangen die Hilfesuchenden nach Deutschland?

Der Westbalkan ist inzwischen ein Transitgebiet für viele Flüchtlinge. Gemeinsam mit Hilfesuchenden aus Afrika und dem Mittleren Osten kommen Serben, Albaner, Kosovaren und Mazedonier wohl vor allem über Kroatien und Ungarn in die Europäische Union. Montenegro oder Bosnien-Herzegowina spielen hingegen kaum eine Rolle, von dort kommen laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auch deutlich weniger Flüchtlinge als aus den anderen Staaten des Westbalkans.

balkan

Warum stehen die Westbalkan-Flüchtlinge im Mittelpunkt der Debatte in Deutschland?

Die vom Westbalkan geflohenen Menschen stellen neben jenen aus Syrien die größte Flüchtlingsgruppe in Deutschland dar. Viele Politiker behaupten, für die Flüchtlinge vom westlichen Balkan gebe es keine Gründe für Asyl in Deutschland. Darum ist nun eine heftige Debatte entbrannt.

Nachdem Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina bereits zu sogenannten sicheren Herkunftsländern erklärt wurden – also Länder, deren Bewohner in Deutschland grundsätzlich keinen Anspruch auf Asyl haben – gibt es nun auch Bestrebungen, weitere Staaten des Westbalkans in diese Kategorie aufzunehmen. Damit, so das Argument der Befürworter, könnten die entsprechenden Asylverfahren deutlich beschleunigt und die Menschen rascher zurückgeschickt werden. Allerdings ist offen, ob dies wirklich funktioniert: Das Bundesinnenministerium räumte gerade ein, dass die Flüchtlingszahl aus den drei sicheren Herkunftsländern des Westbalkans zwar leicht gesunken, aber immer noch hoch sei – und dass sich auch die Dauer der Verfahren nicht signifikant verkürzt habe.

Welche neuen Forderungen gibt es?

Zuletzt machte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer Schlagzeilen mit seiner Forderung, Flüchtlinge vom Westbalkan in gesonderten Einrichtungen entlang der bekannten Routen aufzunehmen. Der CSU-Politiker erwägt auch, diese Asylbewerber in speziellen Zeltlagern unterzubringen. Vertreter von SPD, Grünen und Linkspartei hatten Seehofer dafür hart kritisiert.

Nach Darstellung des Bundesinnenministeriums bewegt sich dieser Vorschlag allerdings im Rahmen dessen, was beim jüngsten Flüchtlingsgipfel von Kanzlerin Angela Merkel und den Länder-Regierungschefs beschlossen wurde. Die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), signalisierte inzwischen Offenheit dafür, Asylbewerber nach Herkunftsregionen auf Aufnahmeeinrichtungen zu verteilen – im Kern Seehofers Plan. Hamburg ist gerade dabei, Container-Dörfer für bis zu 20.000 Flüchtlinge im gesamten Stadtgebiet zu errichten.

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