21. Juli 2015 · Kommentare deaktiviert für „Die Flüchtlingspolitik als Trauerspiel“ · Kategorien: Europa, Griechenland, Italien · Tags:

Quelle: NZZ Webpaper

EU-Staaten verfehlen ihre Umsiedlungsziele

Die EU-Innenminister sind an ihrer Vorgabe gescheitert, 60 000 Asylsuchende auf Europa zu verteilen. Dennoch sollen ab Oktober in der EU die ersten Flüchtlinge umgesiedelt werden.

Niklaus Nuspliger, Brüssel

Nach ihrem Sondertreffen zur Flüchtlingskrise vom Montag in Brüssel versuchten die EU-Innenminister das Glas als halb voll zu sehen. Zwar habe man das von den EU-Regierungschefs vorgegebene Ziel noch nicht erreicht, in den nächsten zwei Jahren insgesamt 60 000 Asylsuchende auf die EU-Staaten zu verteilen, räumte der Luxemburger Minister Jean Asselborn ein, dessen Land derzeit die EU-Präsidentschaft innehat. Mit Zusagen für die Aufnahme von insgesamt 54 760 Asylsuchenden sei man dem verbindlichen Ziel aber sehr nahe gekommen – und wolle es bis Ende Jahr noch erreichen. Vor allem aber, so betonte Asselborn weiter, ermögliche der Entscheid vom Montag die planmässige Umsetzung der Umsiedlung von Asylsuchenden aus Italien und Griechenland auf andere EU-Staaten. Nach der Anhörung des EU-Parlaments sollen die ersten Asylsuchenden im Oktober in Europa umverteilt werden.


Eigeninteressen dominieren

Diese Töne vermochten nicht darüber hinwegzutäuschen, dass die von Misstrauen und innenpolitischem Kalkül geprägten Beratungen der EU-Staaten in den letzten Monaten einem politischen Trauerspiel glichen. Zunächst stellten sich die EU-Regierungschefs gegen einen obligatorischen Verteilschlüssel und rangen sich nur zur Umsiedlung von 40 000 Asylsuchenden auf freiwilliger Basis durch – selbst diese Vorgabe ist nun verfehlt worden. Übertroffen wurde dafür die Zahl von 20 000 Flüchtlingen, die über Neuansiedlungen (Resettlement) direkt aus Krisengebieten aufzunehmen sind. Dies allerdings nur, da auch Drittstaaten wie Norwegen (3500 Flüchtlinge) oder die Schweiz (519 Plätze) mitmachen. Die Schweiz hatte im März angekündigt, innert dreier Jahre über ein Resettlement-Programm rund 2000 syrische Kriegsflüchtlinge aufzunehmen. Nun wird ein Teil des Programms in die EU-Pläne integriert. Noch nicht entschieden ist, ob und in welchem Umfang sich Bern auch an den Umsiedlungen beteiligen wird.

Die Verhandlungen über diese Umsiedlungen gestalteten sich schwierig. Mehrere Staaten forderten Garantien, dass Italien und Griechenland die Registrierung von Asylsuchenden verbessern, wozu nun neue EU-Hotspot-Zentren beitragen sollen. Dennoch übte der spanische Innenminister Jorge Fernandez Diaz ganz grundsätzliche Kritik: Anstatt das Dach eines undichten Hauses zu reparieren, wolle man das Wasser auf die verschiedenen Zimmer verteilen, erklärte er. Spanien blieb wie auch Polen deutlich unter den von der EU-Kommission vorgeschlagenen Zahlen für die Aufnahme von Flüchtlingen. In Brüssel besteht aber die Hoffnung, dass beide Staaten nach ihren jeweiligen nationalen Wahlen bis Ende Jahr ihre Zusagen noch erhöhen könnten.

Wiener Winkelzüge

Mit der Aufnahme von Flüchtlingen sehr schwer getan hatten sich viele osteuropäische Staaten, zumal viele bisher kaum Erfahrung mit der Aufnahme von Flüchtlingen aus Afrika oder dem Nahen Osten haben. Am Ende beteiligen sich aber auch die baltischen Staaten oder Tschechien an den Umsiedlungen, wenn auch in tieferem Ausmass als von der EU-Kommission vorgeschlagen.

Nicht an den Umsiedlungen beteiligen sich nur Ungarn und Österreich. Während sich die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban stets kategorisch gegen die Pläne gestellt hatte, kommt das Nein der österreichischen Ministerin Johanna Mikl-Leitner einem argumentativen Winkelzug gleich, da sie stets obligatorische Flüchtlingsquoten gefordert hatte. Den Umsiedlungen als erstem Schritt in diese Richtung verweigert sie sich nun: Für Wien komme es nicht infrage, Flüchtlinge aus EU-Staaten aufzunehmen, die weniger Asylgesuche aufwiesen als Österreich, sagte Mikl-Leitner mit Blick auf die sehr hohen Asylzahlen, die ihr Land wegen der steigenden Bedeutung der Westbalkan-Route derzeit registriert.

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