12. Juni 2015 · Kommentare deaktiviert für Israel: Abschiebung von EritreerInnen und SudanesInnen nach Uganda · Kategorien: Israel · Tags: , ,

Flüchtlinge in Israel: Mahlzeit, Hotel und Billett einfach nach Uganda

Tausende von Afrikanern suchen in Israel Zuflucht und Prosperität. Die Israeli wollen sie nicht und schieben sie ab.

von Ulrich Schmid, Holot

Tausende von afrikanischen Asylsuchenden demonstrieren vor der amerikanischen Botschaft in Tel Aviv gegen die israelische Abschiebungspolitik. (Bild: Jonas Opperskalski / Laif)

Nein, dies ist kein Konzentrationslager. Wer sich die Bösartigkeit einer Gleichsetzung mit den Arbeits- und Vernichtungslagern der Nazis gestattet, wenn von den israelischen Lagern und Gefängnissen für illegale Immigranten die Rede ist, der muss sich natürlich auch sagen lassen, dass damals, in Auschwitz und Buchenwald, die Insassen tagsüber nicht kommen und gehen konnten, wie sie wollten, dass sie ihre Autos nicht vor den Toren des Lagers parkierten, dass sie nicht nach Belieben mit Journalisten redeten und dass sie danach, auch wenn es die Technik schon gegeben hätte, nicht zu ihren Laptops zurückkehrten, um noch etwas zu arbeiten. In Holot gibt es Essen, Wasser und medizinische Versorgung. Es sind keine Mengeles, die sich über die Kranken neigen. Ein Handy hat jeder. Wie solch törichte Insinuationen auf Überlebende wie Marta Wise wirken, die dem Wüten der Nazis entrannen, kann man sich fragen.

Eine reine Schikane

Fragen kann man sich aber auch, ob Unsäglichkeiten wie das Lager Holot oder das Gefängnis von Saharonim gleich nebenan tatsächlich nötig sind und warum die Regierung in Jerusalem keine andere Möglichkeit sieht, mit diesem Problem umzugehen, das zwar drückend, aber weder erdrückend noch einzigartig ist. Stacheldraht, Mauern, Wachtürme – Holot und Saharonim, mitten in der Negevwüste nahe der ägyptischen Grenze gelegen, liefern zuhauf jene wohlfeilen Assoziationen, die den Feinden des Landes so teuer sind. «Dies ist keine mörderische Einrichtung. Aber eine, die das Leben so unangenehm wie möglich machen soll», sagt Mutasim Ali, den wir an diesem heissen Apriltag vor den Toren Holots treffen. Ali ist 28, Sudanese aus Darfur, Absolvent eines Geologiestudiums. Er floh vor dem Krieg in seiner Heimat 2003, lebte 4 Jahre in Khartum und kam 2009 über Kairo und den Sinai nach Israel – illegal, aber ausgerüstet mit Intelligenz, Unternehmergeist, Witz und Charme.

Zunächst schaffte es Mutasim Ali damit in eine Firma für Plasticprodukte in Tiberias. Danach wurde er rasch so etwas wie der Star der Immigrantenszene. Er hat ein Hilfszentrum für Asylsuchende gegründet und ist dessen Exekutivdirektor. Er ist omnipräsent im Netz und der Vorzeigemann der NGOs, er tritt auf am Radio und an Universitäten, und mit seiner klugen, nachdenklichen Art und seiner Sprachbegabung begeistert er die unzähligen Hilfsbereiten, die es in Israel gibt.

Nun aber sitzt der Star hier in Holot im Staub des Negev auf einem leeren Harass und tupft mit Fladenbrot die Fleischstücke auf, die uns ein junger Mann mit Verbeugung gebracht hat. Ali ist wie alle anderen illegalen Sudanesen und Eritreer hier in Holot, weil er gehen soll – entweder zurück in das Land seiner Herkunft oder dann in eines von zwei afrikanischen Ländern, die von der Regierung nicht genannt werden (es handelt sich um Uganda und Rwanda). Diese Form der Ausschaffung ist weltweit einzigartig.

Undurchlässiger Zaun

Jerusalem hat mit den Ländern Verträge abgeschlossen, über deren Inhalt man sich ausschweigt. Uganda hat unterdessen die Existenz eines Abkommens mit Israel dementiert. Aber im vergangenen Jahr sind bereits etwa 1500 Immigranten nach Kampala oder Kigali ausgeflogen worden. Sie hatten zuvor ein Papier unterzeichnet, in dem sie bezeugten, «freiwillig» zu gehen, erhielten Flugtickets, Hotelübernachtungen und etwas Geld. Weder Uganda noch Rwanda können als «sichere» Länder gelten. Eben haben Hilfsorganisationen mitgeteilt, dass drei in ein Drittland ausgewiesene Eritreer, die nach Libyen weiterzogen, von der Terrororganisation IS entführt und enthauptet wurden. Mindestens einer von ihnen war in Holot festgehalten worden. Wer sich zu gehen weigert, wird nach Saharonim nebenan umquartiert, wo Gefängnisregeln herrschen. Mutasim wird wohl ins Gefängnis gehen. «Ich bleibe. Sie müssen mich schon mit Gewalt deportieren.»

Die Eritreer und Sudanesen, die derzeit für so viel Wirbel sorgen in Israel, kamen ab 2005 ins Land. 2010 schätzte man ihre Zahl auf knapp 60 000. Praktisch alle kamen durch die Wüste Sinai, wo sie in den meisten Fällen von Beduinen drangsaliert, ausgenommen und in einigen Fällen auch gefoltert wurden. Der Höhepunkt der Einwanderung war ums Jahr 2010 herum erreicht. Dann begann Israel mit dem Bau eines 230 Kilometer langen Zauns an der ägyptischen Grenze, der 2013 abgeschlossen wurde und sich als überaus wirkungsvoll erwiesen hat. Seit 2013 sind praktisch keine Schwarzafrikaner mehr ins Land gekommen. Heute leben laut offiziellen Angaben noch rund 43 000 Afrikaner in Israel, 34 000 Eritreer und knapp 9000 Sudanesen. Prinzipiell gilt die Ausschaffungsverfügung für alle Illegalen, nicht nur für die in Holot und Saharonim inhaftierten. In Holot werden derzeit fast ausschliesslich Personen ohne Arbeits- und Aufenthaltsbewilligungen festgehalten. Regierungsbeamte lassen aber keine Zweifel daran, dass früher oder später auch die, die sich registrieren liessen, abgeschoben werden können. Die Polizei sucht permanent nach Immigranten, die Lager in der Wüste werden ständig neu aufgefüllt.

Die Regierung handelt durchaus mit dem Einverständnis eines Grossteils der Bevölkerung, und deshalb scheut man auch die harte Sprache nicht. Für Jerusalem sind die Afrikaner «illegale Arbeitsmigranten», bis heute werden sie offiziell und in einem Teil der Medien als «Infiltratoren» bezeichnet. Die bürokratischen Schikanen, mit denen sie belastet werden, beschreiben die Hilfsorganisationen im Detail. Zwar durften sie fürs Erste bleiben. Als einziges Land der «westlichen Hemisphäre» kennt Israel das Asylrecht für Individuen nicht, aber es wendet immerhin das an, was im internationalen Recht «Kollektivschutz» genannt wird. Die «Infiltratoren» erhalten Arbeits- und Aufenthaltsbewilligungen, aber stets nur kurzzeitige, die erneuert werden müssen, was mit extremer bürokratischer Zermürbung verbunden ist. Über 9000 Immigranten haben Israel in den letzten beiden Jahren bereits «freiwillig» verlassen.

Null Aussicht auf Asyl

Was für die Immigranten gilt, gilt für die Asylsuchenden unter ihnen erst recht. Knapp 5600 Eritreer und Sudanesen haben in Israel bisher um Asyl ersucht. Vor allem im Fall der Sudanesen, die aus dem Lande des Darfur-Konflikts kommen, würde man eine einigermassen ernsthafte Prüfung dieser Anliegen erwarten. Das ist nicht der Fall. Sudanesen haben kaum Erfolgschancen, Asylgesuche von Eritreern werden konsequent abgelehnt. Insgesamt sind bisher vier Asylgesuche akzeptiert worden. Mutasim Ali versuchte unmittelbar nach seiner Ankunft, einen Asylantrag zu stellen. Drei Jahre lang gab man ihm nicht einmal ein Formular.

In der Regierung gibt man sich ausgesprochen defensiv. Ein hoher, aber ungenannt bleiben wollender Beamter in Jerusalem unterstreicht barsch, dass für Israel der Ansturm «illegaler Arbeitsmigranten» aus Eritrea und Sudan schlicht nicht zu bewältigen sei. «Warum kommen sie nach Israel? Weil Israel das einzige Land mit einer gut entwickelten, quasi europäischen Wirtschaft ist.» Hier seien die Arbeitsbedingungen besser als in Ägypten und die Löhne besser als in Jordanien, ja sogar als in Griechenland. Selbst als Schwarzarbeiter verdienten die Menschen noch genug, um sich zu ernähren und einen Rest nach Hause zu schicken. Die Migranten wüssten sehr genau, dass sie hart angefasst würden. Aber ebenso genau wüssten sie, dass sie in eine «fortgeschrittene» Gesellschaft mit Dutzenden hilfreicher NGO kämen.

Offener Rassismus

Hautfarbe, Religion, Kriminalität und die wirtschaftliche Konkurrenz: Um diese vier Stichworte drehen sich alle Versuche, die Unbeliebtheit der Afrikaner zu erklären. Es gibt viel offenen Rassismus in Israel, virulent ist er vor allem bei russischen Einwanderern und bei Palästinensern. Viele Israeli sehen in den Immigranten generell Muslime; dass die meisten Eritreer Christen sind, weiss man oft nicht. Im Volk und bei Teilen der Polizei dominiert die Meinung, dort, wo viele Immigranten lebten – vor allem im Süden Tel Avivs und in Eilat –, sei die Zahl der Verbrechen gestiegen. Hilfsorganisationen melden dagegen einen Anstieg von Hassverbrechen gegen Schwarzafrikaner und machen darauf aufmerksam, dass es viele von ihnen vorziehen, einen Raub oder eine Vergewaltigung gar nicht erst zu melden. Arme Israeli stört die Genügsamkeit der Afrikaner. Immigranten, angestellt als Bauarbeiter oder Kindermädchen, geben sich tatsächlich oft mit einem Drittel oder einem Viertel des Mindestlohnes zufrieden – «und fügen so den schwächsten Gliedern unserer Gesellschaft Schaden zu», wie es der barsche Regierungsbeamte ausdrückte. «Sie machen die Löhne kaputt» – Nathan, ein hünenhafter Gelegenheitsarbeiter, Jude aus Mumbai, sagt es direkter. Nathan ist gekündigt worden, weil ein Eritreer seine Arbeit billiger machte. Er ist wütend.

Dass Israel ein attraktives Ziel für Eritreer und Sudanesen ist, versteht sich. Das Land ist relativ leicht auf dem Landweg erreichbar. Das enorme Risiko, in einem lecken Boot im Mittelmeer zu ertrinken, kann vermieden werden. Der weite und derzeit überaus gefährliche Umweg über Syrien, Libanon, den Irak und die Türkei nach Griechenland entfällt. Natürlich lockt auch der relative Wohlstand. Die Nachfrage nach den fleissigen, umtriebigen «Schweizern Afrikas» im Schwarzmarkt ist gross. Die Männer arbeiten in praktisch jedem Sektor, vor allem in Hotels und Restaurants, die Frauen Seite an Seite mit Filipinas oder Pakistanerinnen als Haushaltshilfen oder Kinderbetreuerinnen.

Meist sind es die Christen aus dem Hochland Eritreas, die nach Israel gekommen sind, nicht die muslimischen Nomaden der Küstengebiete. Christen sind in Eritrea stark gefährdet. Dass sie in Israel nicht verfolgt werden, ist ein weiterer Grund dafür, dass sie ins Land gekommen sind, ebenso die beklagenswerte Menschenrechtslage in ihrem Heimatland. Was sie vor allem fürchten, ist der «Zivildienst» – ein Dienst, der offiziell auf 18 Monate begrenzt ist und militärischen Charakter annehmen kann, der vom Regime oft nach Belieben verlängert wird und in dem zahlreiche Menschen ihr Leben lassen. In der Schweiz haben sowohl Eritreer als auch Sudanesen reelle Chancen auf Asyl oder, falls dies nicht bewilligt wird, auf «vorläufige Aufnahme».

Alleingelassen von allen

Das Fazit ist niederschmetternd. Israel, sonst erpicht darauf, sich an europäischen Standards messen zu lassen, schert sich, was die Behandlung von Flüchtlingen und Asylsuchenden angeht, um sein internationales Renommee keinen Deut. Die Immigranten stellen keine Bedrohung dar. Weder negieren sie Israels Existenzrecht noch wollen sie Israeli töten, sie suchen Schutz und Arbeit, und sie machen die israelische Wirtschaft kompetitiver. Dennoch will man sie nicht. Weder internationales Recht noch humanitäre Erwägungen wiegen schwer, es dominiert die Innenpolitik.

Die Bevölkerung will die Afrikaner nicht, die Parteien richten sich danach. Netanyahu punktet mit rassistischen Ausfällen, und Yitzhak Herzog, der Oppositionsführer, hat das heisse Thema im Wahlkampf schlicht links liegenlassen. Niemand ausser den Linksparteien, einigen Intellektuellen und natürlich den NGO setzt sich für die Afrikaner ein. Die einzige Hoffnung ist, dass Gerichte die Ausschaffungsverfügungen annullieren werden.

Dass Israel international gerügt wird, ist Netanyahu ziemlich sicher egal. Israelkritik kommt ihm an der Urne zugute. Die Europäer haben zudem wenig Grund, allzu laut zu werden. Die rechtspopulistischen Parteien sind auf dem Vormarsch. Zum begehrten Ziel von «Wirtschaftsflüchtlingen» will sich kein Land machen. Eine auch nur halbwegs brauchbare europäische Flüchtlingspolitik fehlt, gegen das Drama der sinkenden Flüchtlingsboote hat man in Brüssel kein Rezept, und Italien, das die Hauptlast zu tragen hat, wird von den übrigen EU-Ländern kläglich im Stich gelassen. Man darf vermuten, dass etliche Rechtsparteien das «Vorbild» Israels nur zu gerne kopieren würden.

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