Video: http://www.youtube.com/watch?
“Entschuldigt, dass wir nicht ertrunken sind“.
Said berichtet vom Schiffsunglück am 11. Oktober 2013 in der maltesischen Rettungszone [SAR]
Il 23 ottobre 2013 abbiamo incontrato alcuni profughi siriani (A., M., H.) che ci hanno raccontato di essere arrivati in Italia con l’imbarcazione che aveva fatto naufragio l’11 ottobre 2013 nella zona Sar di Malta…..
Am 23. Oktober 2013 haben wir einige syrische Flüchtlinge (A., M., H.) getroffen, die uns berichtet haben, dass sie nach Italien auf dem Boot gereist sind, das am 11. Oktober 2013 in der maltesischen Rettungszone [SAR] untergegangen ist. Wir haben sie gefragt, ob sie ein Video-Interview machen wollen und dazu bereit sind, wenn wir sie dabei unerkennbar zeigen würden. Denn sie haben Angst vor Vergeltungsaktionen gegenüber ihren Familienangehörigen und Freunden, die in Libyen und Syrien geblieben sind. Wir haben sie dann am Tag danach getroffen und diese Aufnahme gemacht. Wir haben sie anschliessend geschnitten und in die Erzählung von „Said“, einem Pseudonym, andere Bilder und im Internet erhältliche passende Informationen eingefügt.
In der Zwischenzeit wurde das Video-Interview von Fabrizio Gatti veröffentlicht, das er in Malta mit Mohanad Jammo geführt hat, dem syrischen Doktor, der auf demselben Flüchtlingsboot die Notruftelefonate gegenüber den italienischen Behörden seit 11 Uhr morgens (11.10.2013) geführt hat. Wenn die Rettungsaktionen sofort gestartet wären, wäre die Schiffstragödie vermieden worden, die um 17 Uhr passierte und die mehr als 250 Personen den Tod gebracht hat, unter ihnen sehr viele Babys.
Von dieser Schiffstragödie berichten nun die Überlebenden, und aus ihren Schilderungen ergeben sich Gründe und Verantwortungen. Da ist vor allem die Sache der Schüsse des libyschen Schiffs, das das Schiff mit über 450 Personen – überwiegend syrischen Flüchtlingen – an Bord stoppen wollte. War es die libysche Küstenwache? Es ist bislang nicht klar, vielleicht ja, vielleicht nein. „Illegale Kräfte“ seien es gewesen, betont Mohanad Jammo im Interview von Fabrizio Gatti; aber es ist nicht einfach, in dem zerfallenden Libyen auszumachen, wer denn alles zu den möglichen „legalen“ oder „illegalen“ Akteuren der „Anti-Migrations“-Kontrollen gehört, zu einer Zeit, in der die Europäische Union im Rahmen der Mission EUBAM (EU Border Assistance Mission) wie auch Italien libysche Polizisten zu solchen Operationen wie den Stopp von Flüchtlingsbooten längs der libyschen Küsten ausbilden. Der zweite Grund: eine absolute Gleichgültigkeit seitens der italienischen Behörden nach den zahlreichen SOS-Anrufen. „Ruft Malta an“, haben sie im zweiten SOS-Telefonat geantwortet, das von diesem Flüchtlingsboot geführt wurde. Es befand sich damals tatsächlich in der maltesischen Rettungszone [SAR], aber geographisch war es viel näher an der Insel Lampedusa.
Seit Jahren gibt es einen juristischer Streit darüber, wer in der SAR-Zone (Search and Rescue) Maltas operieren sollte, wie auch über die Ausdehnung der Zone, die Malta aufrechterhalten und Italien dagegen für sich beanspruchen möchte, aus Gründen, die nichts mit der „Hilfe“ für Boat-people zu tun hat, sondern vielmehr aus bekannten wirtschaftlichen, zollrechtlichen und Erdöl-bestimmten Gründen stammt. Weniger bekannt ist vielleicht, in welcher Weise in jener Zone vorgegangen und nicht vorgegangen wird, und die Gleichgültigkeit gegenüber den SOS-Rufen wie in diesem Fall – und in wieviel anderen Fällen? – , die zur Vermeidung von Schiffskatastrophen führen sollten. Im Hintergrund steht die Migrationspolitik, für die die EU und einige ihrer Mitgliedsstaaten Verantwortung tragen. Gipfeltreffen über Gipfeltreffen, Schiffsunglück nach Schiffsunglück eignet sie die EU immer mehr dieses Meer und Territorien an, die auf der anderen Seite des Meeres liegen, und errichtet immer weitere Grenzen, auch gegenüber der Hilfe in Seenot und gegenüber den Reisen der Flüchtlinge und MigrantInnen.
Die Erzähung von „Said“ lässt noch mehr von dem erkennen, was nach dem Meer und nach der Schiffskatastrophe kam. Zwei Tage hat er auf dem italienischen Kriegsschiff verbracht, das ihn und weitere 55 Flüchtlinge gerettet hat, dann sind sie im sizilischen Hafen Porto Empedocle angekommen und und wurden in einer geschlossenen Einrichtung bis vor wenigen Tagen festgehalten, die wegen Überbelegung berüchtigt ist, in der Männer und Frauen provisorisch geparkt werden, und aus der keine Information über die anderen Überlebenden dieses Schiffsunglücks dringt, die sich auf Lampedusa und Malta befinden. Und in die keine Information über den Ort gelangt, wohin die Kinder und Babys gebracht wurden, die während der Rettungsaktion von demselben italienischen Marineschiff aufgenommen und die erst nach drei Wochen mit ihren Eltern zusammengebracht worden sind, die nach Malta verbracht worden waren. Und schließlich Die „Farce“ der abgenommenen Fingerabdrücke, mit der Italien Europa erzählt, dass es die Verträge und Regeln der EU und von Dublin II einhält: Einige Flüchtlinge wurden mit Gewalt zur Fingerabdruck-Abgabe gezwungen, wie man im Video über die Praxis in Catania erfährt. Viele Flüchtlinge wurden mit falschen Erklärungen dabei getäuscht. Jeder EU-Mitgliedsstaat muss die Fingerabdrücke von ankommenden Flüchtlingen in das System Eurodac einspeisen, so dass AsylantragstellerInnen in jedem anderen EU-Land sofort identifiziert und in den ersten EU-Staat, in dem sie angekommen sind, zurückgeschickt werden können. Seit mehreren Monaten kämpfen daher potentielle syrische, eritreische, somalische u.a. AsylantragstellerInnen individuell wie kollektiv gegen die Abnahme von Fingerabdrücken. Aber das Ganze ist eine Farce. Denn Schweden hat beispielsweise erklärt, dass es allen ankommenden syrischen Flüchtlingen den Flüchtlingsstatus zuerkennt. Im Fall von „Said“: Nachdem er dem libyschen Alptraum entfliehen konnte, über das Meer, und nach dem Schiffsunglück, nach diesen Schüssen und der unterlassenen Hilfeleistung, nach den Erfahrungen in Italien mit den Fingerabdrücken und nach dem Zurückschicken an der Grenze zu Österreich, Frankreich und der Schweiz, die die Flüchtlinge aus Italien blockieren: In jeder Etappe und an jeder Grenze wartet er darauf, dass irgendein Verwandter ihm nochmals Geld schickt, um eine sicherere Passage zu kaufen.
„Entschuldigt, dass wir nicht ertrunken sind“: das ist der Titel, den wir diesem Video gegeben haben. Das war auf einem Schild geschrieben, das einige MigrantInnen und Flüchtline auf der Demonstration am 19.10.2013 in Rom hochhielten.
Wir danken Mohamed (den man im Audio auf Italienisch hört), Marcella, Viola, Marco und Simone für ihre Unterstützung in unterschiedlichen Phase der Realisierung des Videos. Ein besonderer Dank geht an „Said“ und an seine Freunde M. und H. und an I., unseren ersten Übersetzter.