08. Mai 2018 · Kommentare deaktiviert für „Geflüchtete auf der Balkanroute: Zwischenstopp Sarajevo“ · Kategorien: Balkanroute

taz | 08.05.2018

Über Serbien und Montenegro gelangen immer mehr Geflüchtete nach Bosnien und Herzegowina. Die meisten wollen weiter nach Norden reisen.

Erich Rathfelder

SARAJEVO taz | Eigentlich wollte in Europa niemand mehr verstörende Bilder von Flüchtlingen sehen: auf dem Rasen sitzende junge Familien mit ihren Kleinkindern, Gruppen von scheu um sich blickenden Männern, verzweifelte Frauen, die um Essen und eine Unterkunft für ihre Kinder bitten. Daneben kranke Menschen, in Decken gewickelt, nur unzulänglich versorgt. Doch solche Szenen spielen sich jetzt in einem kleinen Park gegenüber der Vijećnica, dem alten Rathaus und der ehemaligen Staatsbibliothek der bosnischen Hauptstadt Sarajevo, ab.

Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, aus Syrien, dem Irak, Iran, aus Pakistan und dem Maghreb scheinen jetzt die neue Route weiter westlich zu nutzen. Über Serbien und Montenegro kommen sie über die gebirgigen Grenzregionen nach Bosnien und Herzegowina.

Über 400 sind es an diesem Tag, die jetzt hier in Sarajevo auf ihr Weiterkommen warten. Ein paar Helfer sind auch da. Wie Enisa, eine Berlinerin, die aus Livno in Bosnien und Herzegowina stammt. Seit vier Wochen versucht die Mitdreißigerin den Flüchtlingen zu helfen, die Essensspenden zu verteilen und für die Familien Zelte zu organisieren. Denn täglich regnet es dieser Tage kräftig.

Sie versucht sogar, die Flüchtlinge zu bewegen, das Terrain sauber zu halten. Niemand von der Stadt kümmere sich darum, Toiletten aufzustellen, beklagt sie. „Die Flüchtlinge gehen einfach in die Cafés der Altstadt oder erleichtern sich hier am Flussufer oder in der Umgebung.“ Einige der Menschen leiden Hunger und bitten die Besucher direkt um Geld, um sich etwas zu essen zu kaufen.

Monatelang in Griechenland

Muhamed stammt aus Algerien und antwortet aggressiv auf Fragen. Der 23-Jährige hat eine Odyssee hinter sich, er saß monatelang in Griechenland fest, schaffte es dann über die Berge nach Serbien und Montenegro. Er weist auf den Schorf auf seinen Armen. „Die serbische Polizei hat mich geschlagen.“

Dagegen loben die Umstehenden die bosnische Polizei und Bevölkerung. Die Polizei sei korrekt, die Menschen seien hilfsbereit. An einem Tisch werden die von der Bevölkerung gespendeten Hilfsgüter verteilt, Mineralwasser, Sandwiches, Obst. „Wir nehmen alles an, dazu Kleiderspenden“, sagt Enisa.

Die Menschen hier haben nicht vergessen, dass zwei Millionen ihrer Mitbürger damals während des Krieges der 90er Jahre zu Flüchtlingen und Vertriebenen geworden waren. Einige der Umstehenden haben schon davon gehört, dass Leute aus Sarajevo Flüchtlinge bei sich untergebracht haben. Jetzt hofft auch eine angeblich aus Syrien stammende Frau mit ihren Kleinkindern auf so ein Wunder. Andere wollen weiter. Sie warten hier nur darauf, von Schleusern nach Nordwestbosnien, nach Bihać und Velika Kladuša an der kroatischen Grenze gebracht zu werden.

„Manche haben auch Geld“, sagt Enisa. Denn viele seien ganz legal aus dem Irak und dem Iran kommend mit dem Flugzeug nach Serbien eingereist und dann nach Bosnien gekommen. Aber auch aus Griechenland, wo 50.000 Flüchtlinge festsitzen, kämen zunehmend Menschen in Bosnien an, sagen andere Helfer.

Andrang nicht zu bewältigen

Rund 1.400 wurden von den bosnischen Behörden registriert, schreibt das Nachrichtenmagazin Dani. Keine bosnische Zeitung zweifelt daran, dass diese Leute Bosnien in Richtung Deutschland oder Italien verlassen wollen. Mehrere Hundert hätten zwar Asyl beantragt, wollten jedoch nach Norden weiterziehen.

Von Sarajevo aus führt die Route 400 Kilometer in den nordwestlichen Kanton um die Stadt Bihać. Der Bürgermeister dort bittet die Regierung um Hilfe. Allein könne der Kanton den Andrang nicht bewältigen. Nach Presseberichten sollen die Flüchtlinge dort in Rohbauten untergekommen sein.

Die Grenze nach Kroatien ist nach im vorigen Jahr gemachten eigenen Erkundungen an vielen Stellen durchlässig. Das Gebiet auf kroatischer Seite ist nur sehr dünn besiedelt.

Denn hier war einmal ein serbisches Siedlungsgebiet, doch die meisten Serben flohen während der kroatischen Offensive im August 1995. Heute stehen die meisten Häuser leer oder sind überwachsene Ruinen. Die Region ist durch die kroatische Polizei nur schwer kontrollierbar.

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