13. Dezember 2017 · Kommentare deaktiviert für „Ein dunkles ‚Geheimnis‘ an Europas Außengrenze“ · Kategorien: Griechenland · Tags:

Telepolis | 12.12.2017

Lesbos – Flüchtlingsinsel wider Willen – Teil 1

Wassilis Aswestopoulos

Lesbos ist eine der Inseln, auf denen auch heute noch nahezu täglich neue Flüchtlinge und Immigranten aus der Türkei nach Europa per Schlauchboot übersetzen. Lesbos hat zwei Lager für Flüchtlinge, deren Unterschiede nicht extremer sein könnten. Das Lager Karatepe, welches das beste Lager in gesamt Griechenland ist, und das Lager Moria, gegen das die „Schande von Idomeni“ wie ein Erholungscamp wirkt. Es gibt aus der Zeit vor 2015 noch eine kleinere Flüchtlingsherberge, ein ehemaliges Sanatorium, welches weiter abgelegen von der Inselhauptstadt liegt.

Immigrationsminister Giannis Mouzalas schiebt sämtliche Verantwortung von sich. Wiederholt sucht er die Schuld bei anderen. An dem faktischen Gefangenendasein von Flüchtlingen und Immigranten auf den griechischen Inseln ist seiner Meinung nach die Europäische Union schuld, die einen entsprechenden Passus im Flüchtlingspakt mit der Türkei unterschrieben hat. Die schleppende Bearbeitung der Asylanträge der Ankommenden liegt an mangelnden Geldmitteln und Personalknappheit des griechischen Staats, wird von Seiten des Ministeriums angeführt.

Die schlechte Unterbringung der Flüchtlinge und Immigranten auf den Inseln hängt, wenn dem Ministerium Glauben geschenkt werden kann, mit dem Widerstand der Ortsansässigen zusammen. Kurzum, Mouzalas räumte dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel gegenüber ein, er könne auch in diesem Winter nicht ausschließen, dass Menschen in den Lagern auf den Inseln aufgrund der dort herrschenden untragbaren Zustände und bei den im Winter zu erwartenden Wetterverhältnisse sterben.

Der Minister fügte zudem an, Todesfälle seien umso wahrscheinlicher, wenn weiterhin Flüchtlinge und Immigranten aus der Türkei nach Griechenland kommen würden. Diese zynische Feststellung hat hinsichtlich Mouzalas Verbleib im Amt bislang keine Konsequenzen. Offenbar fällt niemandem in der Regierung auf, dass Mouzalas Äußerungen denen von Premierminister Alexis Tsipras diametral entgegenstehen. Tsipras hatte gesagt, er sei stolz darauf, wie Griechenland die Flüchtlinge und Immigranten behandeln würde.

Folgenlos bleibt auch, dass es hinsichtlich der Veröffentlichung der Zahl der Neuankömmlinge seitens des Ministeriums kaum mehr kongruente Informationen gibt. Dort, wo es über eine Mailingliste täglich neue statistische Zahlen gab, werden nunmehr Bulletins versandt, wenn – wie es in Griechenland heißt – „sich jemand daran erinnert“. Ähnlich sieht es mit der Informationslage vor Ort in und um die Lager aus. Theoretisch sind journalistische Reportagen dort möglich. Sie müssen nur beim Mediendienst des Immigrationsministeriums beantragt werden. Praktisch landen die entsprechenden Anträge in irgendeinem virtuellen Papierkorb. Denn der Mediendienst, der ansonsten rege für eigene Publikationen Fotos griechischer Fotoreporter per Email anfordert, antwortet nie auf die Anträge, wie eine Umfrage unter professionellen Bildberichterstattern ergab.

Grund genug für Telepolis, sich vor Ort auf Lesbos umzusehen. Lesbos hat gleich mehrere Krisen zu bewältigen. Im Juni 2017 hat ein verheerendes Erdbeben ein Todesopfer und mehrere Verletzte gefordert. Zahlreiche Häuser, darunter auch Verwaltungsgebäude der Stadtgemeinde der Inselhauptstadt Mytilene, wurden zerstört. Die Insel wurde daraufhin bis zum 12.12.2017 zum Katastrophengebiet erklärt.

Das weitere Vorgehen der Regierung hängt zwar nicht direkt mit der Flüchtlingskrise zusammen, ist jedoch symptomatisch für die Glaubwürdigkeit der Administration von Ministerpräsident Alexis Tsipras und hat hinsichtlich des Vertrauens der Bevölkerung in Zusicherungen der Regierung ernste Folgen. Die Regierung sicherte den Eigentümern der vollständig zerstörten oder zum Abriss bestimmten Gebäude die Streichung der mit einem Gebäudebesitz zusammenhängenden Steuer ENFIA zu. Bis zum Ende des Katastrophenzustands wurden zudem sämtliche Steuerschulden gestundet.

Zum Wochenende wurde jedoch bekannt gegeben, dass das Finanzministerium die Liste der amtlich erfassten zerstörten Gebäude nicht in die Datenbank der unabhängigen Behörde für Staatseinnahmen eingepflegt hat. Die Unterlassung hat für die Betroffenen ernsthafte Folgen. Sie müssen, möchten sich nicht als Steuerpreller gelten, innerhalb von wenigen Tagen drei ausstehende – da nach geltender Aktenlage nur gestundeter – Raten der ENFIA-Steuer an den Staat abführen.

Dass diese Steuer für nicht mehr existente oder nicht mehr nutzbare Gebäude eigentlich überhaupt nicht erhoben werden kann, streitet das Finanzministerium nicht ab. Die zu viel gezahlten Steuern würden später mit einer anderen Steuerschuld verrechnet, heißt es. Für die Betroffenen bedeutet ein Zahlungsverzug unter anderen, dass sie nicht mehr in der Lage sind, vom Staat Geld für Rechnungen oder sonstige Schulden des Staates ihnen gegenüber zu erhalten. Freiberufler werden ihrer Geschäftsfähigkeit beraubt, Schuldnern droht die automatische Pfändung von Konten.

Es ist nicht der einzige finanzielle Rückschlag für die Wirtschaft der Insel. Die Pest der kleinen Wiederkäuer hat die Viehwirtschaft der Insel getroffen. Die Herden stehen unter Quarantäne, es kommt zu Notschlachtungen. Die Erzeugerpreise für Schafs- und Ziegenfleisch fielen um fünfzig Prozent.

Ab dem 1.1.2018 wird zudem die Umsatzsteuerbelastung der Insel drastisch erhöht. Die Ägäisinseln hatten seit Anfang der Neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts als Kompensation für die hohen Transportkosten für Waren einen verminderten Umsatzsteuersatz. Auf diese Weise wurden die Preise auf den Inseln auf gleichem Niveau mit dem übrigen Festland gehalten. Die Kreditgeber Griechenlands verlangten und erhielten seitens der Regierung die Streichung dieser Regelung.

Darüber hinaus gibt es von Seiten der Stadtverwaltung der Inselhauptstadt Mytilene die Feststellung, dass der griechische Staat der Gemeinde zur Bewältigung der Flüchtlingskrise seit 2015 insgesamt 750.000 Euro überwiesen hat. Es gibt keine Zusatzgelder für Angestellte, die wegen oder für die Flüchtlinge und Immigranten eingesetzt werden müssen. Allein die Abfallbehandlungskosten, die mit der Krise aufgrund der erhöhten Inselbevölkerung, aber auch der Lebensumstände der in den Lagern Lebenden stiegen, liegen auf dem Niveau mehrerer Millionen Euro, teilte das Abfallwirtschaftsamt auf Anfrage mit. Die entsprechenden Gebühren werden auf die Allgemeinheit der Inselbewohner umgelegt.

Ebenso wie bei den Mehrkosten, die den Inselgemeinden aufgrund der Krise entstanden sind, ist es auch beim Thema Tourismus nicht einfach, die finanziellen Folgen zu erfassen. Den ausbleibenden Gästen der Strandhotels stehen erhöhte Belegungszahlen für Hotels in der touristisch unattraktiven Inselhauptstadt Mytilene gegenüber. Hier leben, auch über die Wintermonate, hunderte Angestellte der Nichtregierungsorganisationen, die sich der Flüchtlingshilfe verschrieben haben.

Die NGO-Mitarbeiter genießen auf der Insel jedoch keinen guten Ruf. Sie verlangen zum Beispiel von Taxifahrern einen fünfzigprozentigen Rabatt sowie Respekt für ihre Person, weil sie „den Menschen helfen“.

Die Taxifahrer klagen über ausbleibende Kreuzfahrtschiffe und eine erhebliche Verminderung der Charterflüge auf die Insel. Zu den Gewinnern zählen dagegen die Autovermietungen, die nun ganzjährig ihre Flotte an die NGO-Mitarbeiter vermieten können. Es reicht, am berüchtigten Lager Moria vorbeizufahren, um zu erkennen, wie groß die Mietwagenflotte der NGOs ist. Nicht alle Fahrzeuge stammen von einheimischen Vermietern. Es finden sich Autos aus Athen und auch zahlreiche Mietfahrzeuge, welche über international operierende Mietwagenketten vermittelt wurden.

An der Krise gesundgestoßen haben sich im wahrsten Sinn des Wortes Cafés im Hafen. Hier hatte ein Café vor 2015 Schulden in Höhe von 200.000 Euro und stand am Rand des Bankrotts. In der Krise entwickelte es sich zunächst zur Anlaufstelle für Flüchtlinge und Migranten und später zum Treffpunkt von Reportern und Hilfsorganisationen. Dem massiven Umsatzanstieg folgte die Entschuldung. Ein Bewohner der Insel erklärte, dass es 2015 und 2016 für die Einheimischen nahezu unmöglich geworden war, einen Kaffee am Hafen zu trinken: „Alles war rund um die Uhr voll“.

So gibt es auch beim Tourismus der Insel Lesbos Verlierer und Gewinner der Krise. Unbestreitbar ist jedoch, dass es einen dramatischen Strukturwandel gab und zahlreiche Insulaner ihre Lebens- und Geschäftsplanungen umstellen mussten.

Nicht in die Kategorie Tourismus, aber immer noch maßgeblich zur Inselwirtschaft gehören die Agrarbetriebe von Lesbos. Einige der Olivenbauern konnten durchaus von den Flüchtlingen und Immigranten profitieren. Sie setzen sie als unterbezahlte Erntehelfer ein und knöpfen ihnen für einen Schlafplatz 100 Euro pro Kopf und Monat ab. So gibt es auch für ungenutzte und touristisch vollkommen unattraktive Räume auf Bauernhöfen einen – steuerfreien – Zugewinn. Leidtragende sind die einheimischen Saisonarbeiter, die sich mit der Olivenernte ein Zubrot verdienten.


Telepolis | 13.12.2017

Griechenland: Drogen und Prostitution im Flüchtlingslager Moira

Lesbos – Flüchtlingsinsel wider Willen – Teil 2

Wassilis Aswestopoulos

Lesbos bietet jedoch hinsichtlich der Flüchtlingskrise und deren Bewältigung durch amtliche Stellen einen eindrucksvollen Lichtblick. Nur ist es die Stadtgemeinde und nicht die Regierung, die hier zumindest ansatzweise glänzt. Das Lager Karatepe etwas außerhalb von Mytilene zählt zu den besten Lagern, welche in Griechenland auffindbar sind. Es befindet sich auf dem Gelände des Verkehrsübungsparks von Mytilene und wurde ab 2015 zunächst mit Zelten als Unterkunftsgelände für die Neuankömmlinge genutzt. Der Zugang ist für Journalisten und Bildberichterstatter relativ einfach. Der zuständigen städtischen Sozialbehörde muss ein gültiger Journalistenausweis oder ein entsprechendes Dokument eines Mediums samt Besuchsantrag vorgelegt werden. Dann gibt es einen Tagesausweis, der für die Zeit von 13 h bis 15 h gültig ist.

Dem Besucher wird ein Lager präsentiert, dessen Belegungszahl auf dem Niveau der Kapazität des Lagers gehalten wird. Die Zelte, die noch 2015 als Herberge für die Flüchtlinge dienten, wurden durch Wohncontainer ersetzt. Diese wurden individuell angestrichen, oder mit Mustern versehen, um die Monotonie des Lagerlebens zu vermeiden. Es gibt dezidierte Plätze zum Spielen für die Kinder, einen Platz im „Dorfzentrum“, dem Karatepe Square und Freizeitangebote.

Die Lagerverwaltung richtete eine Schule ein, in der Sprachunterricht für das Erlernen des Englischen und Griechischen angeboten wird. Es gibt darüber hinaus Mathematikkurse, weil – so die Lagerverwaltung – hier die Sprachbarrieren am leichtesten zu überwinden sind. Ein Musikcontainer bietet den entsprechenden Unterricht. Ein Café für Männer, sowie eine entsprechende Einrichtung für Frauen soll auf die Eigenheiten der sozialen Strukturen der Flüchtlinge Rücksicht nehmen.

Das tägliche Essen wird in Karatepe anders als in den übrigen Lagern im Land an die Container geliefert. Dies erspart den Flüchtlingen das tägliche Schlangestehen und die damit verbundenen Konflikte. „Es ist würdiger“, sagen die Lagermitarbeiter.

Einige der Zelte von 2015 dienen als Lagerräume. Am Rand des Camps gibt es eine Sickergrube für die Abwässer der hygienischen Einrichtungen. Diese wird ständig geleert, so dass es im Lager selbst keinen üblen Gerüche gibt.

Ein Teil der elektrischen Energierversorgung erfolgt über Solarpanels. Das Lagerleben wirkt ruhig. Die Bewohner können mit einer regelmäßigen Busverbindung ins Zentrum von Mytilene und wieder zurück fahren. Die Bekleidung für die Insassen wird nach individuellem Bedarf verteilt. Szenen einer Menschenansammlung um einen Haufen Spendenkleidung sucht man in Karatepe vergeblich. Wege im Lager, die noch zu Anfang der Krise schlammig waren, sind nun entweder asphaltiert oder anderweitig gegen Verschlammung geschützt.

Finanziert wird Karatepe auch mit Hilfe von NGOs, wie der deutschen Caritas, deren Name am Café für die Männer als Spender vermerkt ist. Die Lagerverwaltung koordiniert die einzelnen NGOs mit regelmäßigen „Familientreffen“. Dort werden die notwendigen Maßnahmen für das Lagerleben untereinander abgestimmt. Ethnische Konflikte versucht die Lagerleitung im Keim zu ersticken. Den Insassen wird beigebracht, die anderen beim Namen zu nennen. „Der Syrer hat…“, „der Afghane sagte….“ und ähnliche Sprüche werden von den Lagermitarbeitern moniert.

Die Frauen im Lager bewegen sich frei und wirken gelöst. Wer auf Lesbos allein Karatepe besucht, kann auf den ersten Blick kaum erkennen, wo das Problem liegen soll. Allerdings sind auch hier bei näherem Hinsehen Auswirkungen der Geschehnisse im zweiten berühmt-berüchtigten Lager der Insel, Moria, erkennbar.

In Moria kam es durch die Heizung mit offenem Feuer in den Zelten oft zu Bränden. Die bisherige Heizung der Container von Karatepe erfolgte über Gasheizungen. Aus Brandschutzgründen wurde dies nun untersagt. Beim Kälteeinbruch in der vergangenen Woche wurden stattdessen drei Wolldecken an jeden Insassen ausgegeben. Die Kapazität der elektrischen Versorgung des Lagers reicht noch nicht aus, um die einzelnen Container mit elektrischem Strom zu beheizen.

Jeder der Einwohner von Karatepe musste zunächst eine Zeit lang im Chaos von Moria leben und überleben. Nach Karatepe kommen nur diejenigen, deren Asylantrag erfolgreich war, und die zu den „zu schützenden Bevölkerungsschichten“ wie den Familien mit Kindern zählen. Die Frauen, die in Karatepe ankommen, gewöhnen sich langsam daran, dass sie hier auch nachts ohne Gefahr aufs WC gehen können.

Moria – der Schandfleck

Im Lager Moria dagegen betteln die Frauen um Windeln – nicht für ihre Babys, sondern für sich selbst. Sie haben berechtigte Angst, ansonsten vergewaltigt zu werden. Hier stehen nur einfarbige Wohncontainer mitten im Schlamm und von Zelten umgeben. In Moria gibt es zudem zweistöckige Container.

Der Schlamm im Lager ist allgegenwärtig. Die Wäsche der Bewohner, die in Karatepe nicht erkennbar war ist überall zum Trocknen aufgehängt. Moria ist hoffnungsvoll überfüllt. Die offizielle Zahl der Bewohner liegt konstant bei knapp weniger als 7000 Personen. Anfangs war das Lager für 1500 Personen Kapazität eingeplant worden, später bot es theoretisch für 2330 Personen Platz.

Früher, vor der Flüchtlingskrise, galt Moria als Traum für Wehrpflichtige, so sie das Pech hatten auf eine der griechischen Grenzinseln geschickt zu werden. Mitten in Olivenhainen nahe dem namensgebenden Dorf Moria war das Militärcamp großzügig für eine maximale Belegung mit 700 Soldaten ausgelegt worden. Es bot, verglichen zu den übrigen Kasernen auf der Insel, den maximalen Komfort. Heute wehren sich die Bewohner des Dorfes gegen die Bezeichnung „Moria“ unter der das Lager bekannt ist.

Vor dem Lager ist die Polizeipräsenz massiv. Das nur knapp drei Kilometer näher an Mytilene liegende Lager Karatepe ist dagegen nur durch private Sicherheitsdienste geschützt. Über den Zugang zum Lager wachen zudem Mitarbeiter der NGOs. Unbefugten ist der Zutritt verboten. Somit ist es für Journalisten mit vollständiger Kameraausstattung außerordentlich schwierig, die Lage im Lager zu untersuchen.

Jedoch gibt es wie an so vielen Punkten Griechenlands immer einen Weg. Seitlich des mit Stacheldrahtverhau geschützten Lagers existieren wilde Zeltdörfer, in denen ein Teil der überzähligen Flüchtlinge und Immigranten unter denkbar schlechten Bedingungen untergebracht sind. Kaum jemand interessiert sich für eine Person, die zwischen der Mauer des Lagers und dem Zeltdorf entlang am Lager vorbei spaziert, sofern nicht erkennbar ist, dass es sich um einen Journalisten handelt. Am Ende des Wegs gibt es Löcher im Zaun, durch die der Zugang zum Lager möglich ist.

Das Lager selbst gilt als Hauptumschlagplatz für Drogen aller Art, als Hort der Prostitution und auch als Anlaufstelle für die Suche nach Flüchtlingsschleusern. Ein jüngst auf Lesbos ermordeter Immigrant war in der Vergangenheit bereits als Schleuser aktenkundig. Er verbüßte eine kurze Strafe im Gefängnis und fuhr danach mit seinen Geschäften, zu denen mutmaßlich auch weitere kriminelle Aktivitäten zählten fort. Sein Tod wird mit konkurrierenden Interessen von Mitstreitern in Verbindung gebracht.

Die Frage, wie die Drogen nach Moria kommen beschäftigt viele auf der Insel. Hinter mehr oder weniger hervorgehaltener Hand erklären die Insulaner, dass ihrer Meinung nach auch Mitarbeiter von NGOs zu den Schmugglern zählen. Buchstäblich vor den Augen der NGOs spielt sich jedenfalls das Drama der (Zwangs)prostitution ab, wenn man zahlreichen unabhängig darüber berichtenden Insulanern mit vollkommen unterschiedlicher Vita Glauben schenken darf. Es ist ein Thema, bei dem eine präzisere Berichterstattung an ihre Grenzen stößt. Denn nicht wenige der Gesprächspartner auf der Insel wurden bereits körperlich bedroht oder tätlich angegriffen.

Niemandem scheint es möglich zu sein, zumindest Minderjährige und geistig Behinderte vor der sexuellen Ausbeutung zu schützen. Telepolis ist der Fall einer geistig unterentwickelten, jedoch überaus attraktiven Flüchtlingsfrau bekannt, die gleich mehrfach das Opfer einer Massenvergewaltigung wurde. Erst durch persönlichen Einsatz eines moslemischen Geistlichen konnte eine Verlegung der Frau von der Insel in ein geschütztes Wohnen auf dem griechischen Festland erreicht werden.

Zwischenzeitlich befand sich die Frau in der Obhut einer NGO-Mitarbeiterin, wurde jedoch von dieser wieder vor die Tür gesetzt. Grund war ein Panikanfall mit anschließender Randale der jungen Frau, den sie erlitt, als der Lebensgefährte der NGO-Betreuerin an ihre Zimmertür klopfte. Dokumentiert ist zudem ein Fall, bei dem eine siebenundzwanzigjährige NGO-Mitarbeiterin einen fünfzehnjährigen Flüchtlingsjungen zu sich nach Hause nahm und diesem offenbar körperlich zu nahe kam.

Derartige Geschichten werden auf Lesbos von Kritikern der NGOs gern als Beleg für deren angeblich komplett dubiose Tätigkeit angeführt. Eher selten wird erwähnt, dass die Freier der ausgenutzten Prostituierten beiderlei Geschlechts überwiegend in den Dörfern der Insel zu finden sind und dort ein Leben als angesehene Familienväter führen. Der Preis für die sexuelle Dienstleistung liegt dabei in der Regel bei fünf Euro.

Die teuer bei privaten Catering-Diensten eingekaufte Verpflegung im Lager ist denkbar schlecht. Mal gibt es zum Frühstück ein trockenes Fladenbrot ohne Aufschnitt jedoch samt Apfel und Wasserflasche. Ein anderes Mal wird im zerknitterten Aluminiumbecher ein undefinierbares und offensichtlich ungenießbares Bohnengericht gereicht. Hin und wieder gibt es verschimmelte Kartoffeln mit Würmern als unfreiwillige Fleischzugabe. Es ist unübersehbar, dass die von der EU und Spendern überwiesenen Millionen an Geldgaben für Flüchtlinge denkbar besser verwertet werden könnten.

Jede Essensausgabe ist mit ermüdendem Schlangestehen verbunden, was im übervölkerten Lager für weiteren Konfliktstoff sorgt. Wer zu schwach ist, kommt bei diesem Überlebenskampf zu kurz.

Eigentlich sollten ihrem eigenen Anspruch gemäß die NGOs die Schwachen schützen. Es ist unbestritten, dass viele der Hilfsdienste ihrer Aufgabe entsprechend ihren eigenen Mitteln auch nachkommen. Ebenso selbstverständlich ist es aber bereits anhand der statistischen Wahrscheinlichkeit, dass unter den 2015 gezählten 122 Hilfsorganisationen auch schwarze Schafe existieren und dass unter den Mitarbeitern der eine oder andere private Interessen verfolgt.

Wenn dann Szenen dokumentiert werden, in denen Mitarbeiter einer Flüchtlingsorganisation in einem einer Stiftung gehörenden großen deutschen Supermarktkette Einkaufswagen randvoll füllen, sich dann als Gruppe samt dem Einkaufswagen fotografieren und das Bild offensichtlich per Internet versenden, den Supermarkt aber unter Zurücklassung des Einkaufswagens vor der Kasse verlassen, welcher Schluss ist daraus zu ziehen?

Besonders extrem erscheint der Fall des moslemischen Friedhofs, der provisorisch für die auf der Flucht Ertrunkenen und im Lager Verstorbenen angelegt wurde. Dieser erschien bereits in Filmen, bei denen die Hollywoodschauspielerin und Aktivistin Susan Sarandon als Gallionsfigur eingesetzt wurde, als Werk von NGOs. Die engagierte Schauspielerin war offensichtlich nicht darüber informiert worden, dass der Friedhof von der Stadtgemeinde Mytilene gestellt wurde.

Dafür ließ Vizebürgermeister Georgios Katsanos im Herbst 2015 einen städtischen Olivenhain abholzen und setzte die städtischen Bulldozer übers Wochenende zum Einebnen ein. Die Eile war notwendig, weil vor dem Krankenhaus von Mytilene in Kühlcontainern knapp fünfzig Leichen nackt übereinander gestapelt vor sich hin faulten.

Die Initiative ging von ortsansässigen Muslimen und Flüchtlingen aus, welche zu diesem Zweck und um Druck auszuüben das Rathaus besetzt hatten. Der Friedhof, für den es noch keine Mittel der Zentralregierung gab, ist immer noch ein Provisorium. Es gibt keine Friedhofsmauer, nur einen rostigen Zaun. Viele Gräber sind ohne Namen, die Opfer, von denen oft nur ein Körpertorso gefunden wurde, bleiben anonym. In anderen Gräberreihen finden sich komplette Familien, deren Schicksal in der Ägäis endete. Besucht werden kann der Friedhof von Angehörigen in Begleitung eines moslemischen Geistlichen, des dreißigjährigen Ägypters Mustafa Daoua.

Der mehrsprachige Theologe, der legal nach Griechenland einreiste, um hier als Aufbaustudium christliche Theologie und Philosophie zu erlernen, diente zunächst auch den NGOs als Übersetzer. Trotz perfekter Sprachkenntnisse ist er seit seinem ehrenamtlichen Engagement für den Friedhof nun eine Unperson für die NGOs. Auch er wurde bereits „von Unbekannten“ angegriffen und mit Knüppelschlägen an Kopf und Körper schwer verletzt.

Unabhängig davon, wer auf Lesbos legal oder illegal handelt, gibt es Hauptverantwortliche für das Dilemma, den griechische Staat und die EU, die beide ihre Hände in Unschuld waschen. Sie haben durch ihr Tun und Nichtstun das Milieu geschaffen, in denen die oben angeführten Vorgänge gedeihen können. Für die Repräsentanten der Staatsgewalt, die Polizisten und Küstenwachoffiziere, gilt eine Versetzung nach Lesbos als harte Disziplinarstrafe.

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