29. September 2017 · Kommentare deaktiviert für „Flüchtlinge: Rumänische Boulevardpresse schürt Panik“ · Kategorien: Rumänien, Türkei · Tags: ,

DW | 28.09.2017

Die Zahl der Flüchtlinge, die über das Schwarze Meer nach Rumänien gekommen sind, ist gestiegen. Die Boulevardpresse warnt vor einem „Überfall“. Cristian Stefanescu berichtet aus Bukarest.

An den Fenstern sind Gitter befestigt, eine Mauer steht zwischen dem Flüchtlingsheim und den anderen grauen Plattenbauten im Bukarester Viertel Baicului. Die Asylbewerber müssen spätestens um 22 Uhr wieder in der Unterkunft sein. Aber die meisten entfernen sich ohnehin auch tagsüber kaum von dem Gebäude, das genauso heruntergekommen ist wie die Wohnblocks der Rumänen aus dieser Gegend. Alles wirkt wie ein Ghetto. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass dort an den Fenstern höchstens Fliegengitter zu sehen sind.

An einem dieser Fenster steht eine Frau, die sich als Maria vorstellt. Sie kann direkt auf das Asylbewerberheim schauen. Angesprochen auf die Vorurteile und Schreckensnachrichten in Boulevardmedien über Flüchtlinge, die nur Chaos und Schmutz mitbringen würden, zuckt sie die Schultern: „Schauen Sie, hier war es schon immer dreckig. Vor zwei Wochen haben rumänische Kinder Papierflugzeuge hinunter geworfen, die liegen auch jetzt noch da.“ Während sie das erzählt, entsorgt unten eine Frau aus den Wohnblocks der Einheimischen leere Flaschen an der Ecke zum Hof des Flüchtlingsheims und verschwindet in einer Kneipe, die wie eine improvisierte Garage aussieht.

Angst vor dem „Überfall“

Auf der Straße sind die Asylbewerber optisch nicht von den Einheimischen zu unterscheiden. Hinter einer großen Mülltonne sitzen einige von ihnen auf einer Decke, sie unterhalten sich einsilbig und schüchtern. Knapp 100 Meter weiter ist ein Spielplatz, mittendrin drei kleine Kanonen: Als die lokalen Behörden ihn vor zehn Jahren eingeweiht haben, ahnte vermutlich noch niemand, dass eines Tages hier Flüchtlingskinder spielen würden, die Tausende von Kilometern zurücklegen mussten, um Kriegen zu entfliehen.

Nach Angaben der rumänischen Behörden sind in den vergangenen anderthalb Monaten 482 Flüchtlinge über das Schwarze Meer nach Rumänien gekommen – deutlich mehr als in anderen Zeiträumen. Boulevardmedien schüren Panik: „Rumänien wird von Flüchtlingen überfallen – das bestätigt die UN!“ titelte eine Bukarester Zeitung diese Woche. Das Titelbild mit mehreren Männern, die die Arme ausstrecken, hat aber nichts mit den aktuellen Entwicklungen zu tun, sondern wurde aus russischen Medien übernommen und stammt ironischerweise aus einem Buch von 2011 über Schwarzarbeiter in Italien. Der rumänische UN-Vertreter hat keinesfalls von „Überfällen“ gesprochen. Stattdessen sagte er bei der Eröffnung eines neuen Flüchtlingsheims in der Hafenstadt Constanta am Schwarzen Meer, die Zahl der Flüchtlinge sei nicht groß und deren Unterbringung und Betreuung sei „perfekt zu bewältigen“.

Freiwillige Rückkehr aus Rumänien nach Syrien

Im Schnitt bekommen nur rund 10 Prozent der Antragsteller in Rumänien Asyl, sagt Razvan Samoila von der rumänischen NGO Arca, die Flüchtlinge und Migranten unterstützt. Im Durchschnitt würden pro Jahr 400 Asylanträge in Rumänien gestellt. Über das Schwarze Meer sind zunächst Anfang August 69 Iraker aus der Türkei in die rumänische Hafenstadt Mangalia gekommen – eingepfercht im winzigen Boot eines bulgarischen und eines zyprischen Menschenschmugglers. Vor Kurzem hat die rumänische Küstenwache 150 Flüchtlinge aus einem Boot mit maximal 40 Plätzen gerettet: Die Wellen waren so hoch, dass auch die Grenzpolizisten Schwierigkeiten hatten, das Fischerboot zu erreichen. „Wir können noch nicht von einer Flüchtlingswelle sprechen“, sagt Fabian Badila, der Sprecher des rumänischen Grenzschutzes. „Es sind Flüchtlinge, die mit den Wellen kämpfen.“ Und das Meer werde nach dem Ende des Sommers immer gefährlicher. Vor der türkischen Küste sind vor Kurzem mindestens 21 Flüchtlinge im Schwarzen Meer ertrunken, teilte die Küstenwache der Türkei mit.

Wer es bis Rumänien schafft, will oft aber weiter in Richtung Westeuropa: Die rumänische Polizei hat die Hälfte aller illegalen Migranten bei der Einreise ins Land aufgegriffen – die andere Hälfte bei der Ausreise, insbesondere an der Grenze zu Ungarn. In Rumänien, einem der ärmsten EU-Länder, erhalten sie bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag nur 15 Lei pro Tag (das entspricht etwa 3 Euro und 30 Cent). Flüchtlinge, die Asyl bekommen, müssen nach spätestens einem Jahr auch ohne diese magere staatliche Zuwendung zurechtkommen. Dass viele gar nicht in Rumänien bleiben wollen, wundert auch Razvan Samoila von der NGO Arca nicht: „Sie finden nicht das, was sie gesucht haben, viele fühlen sich isoliert und werden depressiv.“ Der Flüchtlingshelfer ist auch schon Syrern und Irakern begegnet, die aus Rumänien in ihre alte Heimat zurückgekehrt sind.

Jene, die bleiben, integrieren sich in die rumänische Gesellschaft, berichtet Samoila. Außerdem gebe es unter den Flüchtlingen aus Syrien auch Ärzte, die vor 1989 in Rumänien Medizin studiert haben, als der kommunistische Diktator Ceausescu enge Freundschaften mit arabischen Autokraten pflegte. Doch heute dürfen sie in Rumänien nicht ihren Beruf ausüben – trotz des dramatischen Ärztemangels. Deshalb suchen geflüchtete syrische Mediziner – ebenso wie ihre oft unterbezahlten rumänischen Berufskollegen – woanders eine bessere Zukunft: In Westeuropa.

 

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